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Bundeswehr: Wehrpflicht: Weniger ist Mehr

Ein Vorschlag im Streit um die Wehrpflicht: kürzere Dienstzeit, bessere Ausbildung.

Von Michael Schmidt

Berlin - Derzeit ist es doch so, sagt Andreas Ahammer: Auf drei Monate allgemeine Grundausbildung folgten im besten Falle drei Monate Spezialgrundausbildung – und dann drei Monate „Führungsunterstützungsaufgaben, sprich: Abhängen, Kopieren, Kaffeekochen“. Eine solche Verschwendung von Zeit und Talent – Ahammer spricht von einem „verlorenen Jahr für Jugendliche“ – könne nicht richtig sein, befand der 25-jährige Student der Rechtswissenschaften. Gemeinsam mit Stephan Nachtigall, den er aus gemeinsamen Tagen als Beisitzer der Grundwehrdienstleistenden im Bundesvorstand des Deutschen Bundeswehrverbandes kennt, hat er ein Konzept zur Reform der Wehrpflicht erarbeitet. Das Ergebnis ist die „Wehrpflicht der Zukunft im Gesellschaftsdienst“. Es verfolgt zwei Ziele: mehr Wehrgerechtigkeit und eine bessere Qualifizierung im Dienst.

Mehr als acht Millionen junge Männer haben in den vergangenen fünf Jahrzehnten im Rahmen der allgemeinen Wehrpflicht ihren Dienst geleistet. Heutzutage aber rückt von einem Jahrgang junger Männer nicht einmal mehr jeder sechste in eine Kaserne ein und die Hälfte wird ausgemustert. Ahammer und Nachtigall schlagen eine Verkürzung des Wehrdienstes auf sechs Monate vor: fünf Monate Grundwehrdienst bei der Bundeswehr, ein Monat berufsfördernde Maßnahmen – „5 plus 1“. Auf diese Weise ließen sich rund 57 Millionen Euro an Kosten sparen, rechnen sie vor. Das wiederum erlaube es, 25 000 junge Männer mehr einzuberufen und so die Dienstgerechtigkeit zu fördern.

Zweiter Pfeiler des Reformkonzepts: Die verkürzte Dienstzeit wird für eine bessere Ausbildung genutzt, für berufliche Vorbereitungsmaßnahmen, für eine Qualifikation vor allem in den Bereichen Sanitätsdienst und Katastrophenschutz.

Dem möglichen Vorwurf, die Bundeswehr dadurch zu entmilitarisieren, begegnen die beiden Autoren mit dem Hinweis, es handle sich lediglich um eine „Anpassung an die Realität“. Erstens habe der Wehrdienstleistende heutzutage kaum noch Kontakt zur Truppe: Beim Funktionswandel der Bundeswehr zur „Armee im Einsatz“ würden die Streitkräfte an den Wehrpflichtigen „vorbei transformiert“. Die Bundeswehr finde hauptsächlich im Ausland statt – dort komme der Wehrdienstleistende aber nicht hin.

Der werde aber in der Praxis, zweitens, vor allem bei Naturkatastrophen im Rahmen der Amtshilfe tätig: beim Jahrhunderthochwasser 1995, bei der Oderflut 1997, beim Elbehochwasser 2002, bei der Schweinepest und Vogelgrippe und zur Fußball-WM 2006 sowie beim G-8-Gipfel 2007. Dem wolle das Konzept Rechnung tragen.

Die individuellen „Bedürfnisse der Betroffenen“ und der „Dienst an der Gesellschaft“ stünden dabei gleichermaßen im Vordergrund. Ein „so nachhaltiger Grundrechtseingriff in die Freiheit eines jungen Heranwachsenden“ wie sie die Wehrpflicht darstelle, müsse gut begründet und „honoriert“ werden, sagen Ahammer und Nachtigall. Ihre Qualifizierungsoffensive berücksichtige zugleich „den Status der Bundesrepublik Deutschland als Exportland und Bildungsrepublik“ – und produziere so für beide Seiten „einen Mehrwert“: für Individuum und Gesellschaft.

Der verteidigungspolitische Sprecher der Grünen, Winfried Nachtwei, begrüßte das Konzept als einen „belebenden Vorschlag in einer seit Jahren nur noch als lähmend empfundenen Diskussion über das Für und Wider der Wehrpflicht“. Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe (SPD), erhofft sich von dem Beitrag einen Impuls „zur Diskussion um die Weiterentwicklung der Wehr- und Dienstgerechtigkeit“.

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