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Bundeswehrreform: Schließen und streichen

Die Bundeswehr braucht für weniger Soldaten weniger Kasernen – die betroffenen Kommunen verlangen nach Kompensation. Es gibt aber auch Gewinner: zum Beispiel die Hauptstadtregion.

Von Robert Birnbaum

Die letzte Einzelentscheidung ist am Dienstagabend kurz nach sechs gefallen; genau um 18:25 Uhr, Thomas de Maizières Sprecher hat auf die Uhr geguckt. Danach hat der Verteidigungsminister erst einmal durchgeatmet, und dann hat er zum Telefon gegriffen. Das neue Standortkonzept der Bundeswehr ist ein tiefer Einschnitt für tausende Soldaten, aber auch für hunderte Städte und Gemeinden. Zumindest die Ministerpräsidenten und die Verantwortlichen in den hauptbetroffenen Kommunen sollten vorab erfahren, was auf sie zukommt.

Oder, um es präziser zu sagen: was von ihnen weggeht. Denn bis auf sehr wenige Ausnahmen verlieren alle knapp 400 bisher gezählten Standorte der Bundeswehr massiv an Stellen – im Schnitt ein Drittel.

Dabei wirken die Zahlen auf den ersten Blick noch undramatisch. Als sein Vorgänger Peter Struck (SPD) die Bundeswehr zur Armee im Einsatz schrumpfte, mussten 105 Standorte schließen. Diesmal gibt die Bundeswehr 31 Standorte komplett auf. Darunter sind kleinere Kasernen, aber auch darunter große Traditionsstandorte wie die Stauffenberg-Kaserne im baden-württembergischen Sigmaringen, das Flottenkommando in Glücksburg oder der Fliegerhorst Fürstenfeldbruck bei München. 90 weitere Standorte werden massiv ausgedünnt, davon 33 derart, dass es der Schließung gleich kommt. In Ellwangen in Baden-Württemberg etwa dürfte die Freude kurz gewesen sein bei der Nachricht, dass der Standort fortbesteht – von 1340 Posten bleiben ganze 30.

Hinter diesen Zahlen steht die Streichung von rund 90 000 Dienstposten. Um 30 000 Mann und Frau sinkt der Umfang der künftigen Berufs- und Freiwilligen-Armee. Vor allem aber rücken 55 000 Wehrpflichtige nicht mehr ein. „Jeder Wehrpflichtige, der nicht mehr da ist, hatte einen Standort“, rechnet de Maizière vor – eine Stube, einen Kantinenplatz, einen Platz im Stellenschlüssel der Sanitätsbereiche und so weiter.

Die Aussetzung der Wehrpflicht ist der Hauptgrund dafür, dass so massiv wie diesmal noch nie geschlossen und gestrichen wurde. De Maizière legt dabei Wert auf die Feststellung, dass eine Armee im und für den Einsatz kein Instrument der Regionalpolitik sein könne. Zwar hat er früh die Parole ausgegeben, dass die Bundeswehr in der Fläche präsent bleibe. Aber oberste Kriterien für das Streichkonzert seien Funktion, Kosten, Attraktivität – und erst ganz zuletzt regionale Aspekte. Sehr vereinzelt, sagt der Minister, habe er für einen Standort in einer wirtschaftlichen Randregion anstelle eines anderen entschieden, wenn beide ansonsten gleich geeignet gewesen wären.

Trotzdem zeigt sich ein regionales Muster. Die neuen Bundesländer bleiben überwiegend verschont – die Kasernen sind dort oft frisch renoviert, die Stationierung war zudem schon bisher anders als im Westen nicht so stark von Herkommen geprägt. Schleswig-Holstein büßt mit acht komplett geschlossenen und etlichen massiv geschrumpften Standorten am meisten ein. Doch de Maizière weist darauf hin, dass die Bundeswehr im nördlichsten Bundesland immer besonders stark vertreten war, weil die Marine im Kalten Krieg die Ostseefront zu sichern hatte. Die Front ist weg, die Marine wandert schwerpunktmäßig nach Wilhelmshaven und Rostock. Dort sitzt künftig auch das Führungskommando der Marine – Folge der neuen Führungsstruktur, die die bisher verteilten Ämter, Kommandos und Inspekteursämter in je eine Einheit zusammenfasst. Das Heer schlägt demnächst seine Zentrale in Strausberg auf, die Luftwaffe in Berlin-Gatow, die Streitkräftebasis in Bonn und der Sanitätsdienst in Koblenz.

Mangelnder Protest der Länderchefs als Indiz für die Qualität der Standortentscheidungen? - Lesen Sie weiter auf Seite 2.

Bild der Vergangenheit. Auf dem Bundeswehrflugplatz Trollenhagen in Mecklenburg-Vorpommern soll es künftig keine Übungen mehr geben. Er wird geschlossen. Foto: Jens Koehler/dapd
Bild der Vergangenheit. Auf dem Bundeswehrflugplatz Trollenhagen in Mecklenburg-Vorpommern soll es künftig keine Übungen mehr geben. Er wird geschlossen. Foto: Jens Koehler/dapd

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Wert legt de Maizière auch darauf, dass das Verfahren für die Auswahl der Standorte so sachlich wie möglich abgelaufen sei. Für alle über 6000 Organisationseinheiten – vom Drei-Mann-Technikerstab bei einem Flugzeugbauer bis zum kompletten Flugplatz – habe man einen eigenen Steckbrief erstellt: Fotos „von vorne, von hinten, von der Seite und von oben“, bisherige Investitionen und künftiger Bedarf und so weiter. Heer, Marine, Luftwaffe und andere haben eine eigene Idealplanung vorgelegt. Dazu kam haufenweise ungebetene Hilfe: eine Flut von Briefen, in denen Bürgermeister, Landräte und Abgeordnete für ihre Standorte warben. Über seine Gespräche mit Ministerpräsidenten will der Minister nichts sagen, nur so viel: Sie hätten alle „sehr engagiert und sehr sachkundig“ für ihr Land gefochten, oft auch bedenkenswerte Alternativvorschläge gemacht.

Aber entschieden, daran lässt de Maizière keinen Zweifel, entschieden hat am Ende er. Einfach gewesen sei das nicht. „Ich kann das jedenfalls nicht so kühl“, sagt der CDU-Politiker. So etwas wie die Stauffenberg-Kaserne, „die schließt man nicht eben so mit leichter Hand.“ Aber wenn der Protest der Länderchefs ein Indiz für die Qualität dieser Entscheidungen ist, dann müssen sie ganz gut gewesen sein. Kein einziger Ministerpräsident regt sich auf, selbst aus relativ schwer getroffenen Ländern kommt Verständnis: Er sei mit der Grundstruktur „durchaus einverstanden“, sagt SPD-Mann Kurt Beck aus Rheinland-Pfalz, das fünf Standorte verliert. Beck will aber gemeinsam mit den anderen Länderkollegen einen Katalog von Forderungen ausarbeiten, um vom Bund zum Ausgleich für die Streichungen Geld zu bekommen. Dass da in seinem Etat nichts zu holen ist, stellt de Maizière aber klar.

Auffällig schweigsam übrigens verhält sich ein Land, das zu den am stärksten von Streichungen betroffenen zählt. Aus Bayern kommt bis Nachmittag kein Mucks. Vielleicht liegt es am Wissen darüber, wer das Streichkonzert einst ausgelöst hat – der CSU-Ex-Hoffnungsträger Karl-Theodor zu Guttenberg nämlich.

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