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Camerons Rede zur Europäischen Union: Es gilt das ungehaltene Wort

Sie wäre die EU-kritischste Rede eines britischen Premiers geworden. Wenn, ja wenn David Cameron sie denn gehalten hätte.

Sie wäre die EU-kritischste Rede eines britischen Premiers geworden. Wenn, ja wenn David Cameron sie denn gehalten hätte. Hat er aber bekanntlich nicht, wegen der Geiselkrise in Algerien. Doch was er gesagt hätte, wenn er denn geredet hätte, wissen wir jetzt irgendwie doch. Denn die Rede wurde am Donnerstag an ausgewählte Journalisten in Auszügen verteilt – bevor sie dann abgesagt wurde. Eine Panne der Downing Street? Eine gezielte Aktion? Wer weiß das schon so genau.

Offen ist auch, wie Cameron die Forderung eines Europa-Referendums genau formuliert hätte. Seine Kernaussage in dem verbreiteten Manuskript ist, dass Großbritannien das in den Römischen Verträgen festgelegte Grundprinzip der „immer engeren Union“ nicht mehr akzeptiere. Trotzdem will Cameron sein Land in der EU halten. „Ich stehe hier als ein britischer Premier mit einer positiven Vision für die Zukunft der Europäischen Union. Eine Zukunft, in der Großbritannien eine engagierte und aktive Rolle spielen will und spielen sollte.“ Das hätte der Premier gesagt. Aber er hätte auch darauf bestanden, dass Kompetenzen, beispielsweise in der Justizpolitik oder bei der Arbeitszeitenregelung, künftig auch in umgekehrter Richtung fließen können – von Brüssel nach London.

Cameron hätte drei Grundprobleme der derzeitigen EU aufgezeigt: die Krise der Euro-Zone, die zu „fundamentalen Veränderungen“ in Europa führen werde; die Krise der europäischen Wettbewerbsfähigkeit, weil Europa gegenüber den neuen Industrie- und Handelsländern zurückfällt; das Fehlen demokratischer Legitimation. Gerade letzteres sei in den vergangenen Jahren immer deutlicher geworden – ein Mangel, den Briten besonders scharf empfänden.

Unter Bezug auf die den Südländern abverlangte Sparpolitik hätte Cameron von wachsender Frustration gesprochen, „dass die EU als etwas gesehen wird, das den Menschen zugefügt, statt in ihrem Namen gemacht wird“. Und er hätte gewarnt: „Wenn wir diese Herausforderungen nicht bewältigen, besteht die Gefahr, dass Europa scheitert und das britische Volk auf den Austritt zutreibt.“ Hat er aber nicht. Oder irgendwie doch?

Umfragen zufolge würden rund 50 Prozent der Briten in einem Referendum für den Austritt stimmen, nur ein Drittel für den Verbleib. Ob Cameron seine Rede nachholt und wenn ja, wie, ist offen. Genauso, ob er sich in Amsterdam an das Manuskript gehalten hätte. Aber die nicht gehaltene Rede ist ja in der Welt. Und bis zum Beweis des Gegenteils gilt das ungesprochene Wort. Matthias Thibaut

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