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Kultur im Kampf. Ein als Clown verkleideter Castor-Gegner spricht am Montag in Laase an einem Camp namens „Musen-Palast“ mit einem Polizisten. Foto: Axel Heimken/dapd

© dapd

Castor-Transport: Pyramide, Treckerjagd und Kleinkunst

Die Proteste gegen die Castor-Transporte im Wendland haben viele Facetten. Manchmal bleibt die Polizei nur zweiter Sieger.

Am Ende wurde es doch noch einmal ruppig. Bei der Räumung einer Sitzblockade am Ortsrand von Gorleben und einer spontanen Demonstration im Nachbardorf Laase ging die Polizei gestern Abend massiv gegen Castor-Gegner vor. Demo-Sanitäter zählten Dutzende Verletzte. Wenig später erreichte der Castor-Transport sein Ziel. Um 22.05 Uhr fuhren die mit den Atommüllbehältern beladenen Lastwagen ins Zwischenlager Gorleben ein. Der Transport war am Mittwochmorgen in Frankreich gestartet. Bereits am Sonntagmittag überschritt er den bisherigen Negativ-Zeitrekord von 92 Stunden. Insgesamt war der Transport mehr als fünf Tage unterwegs.

Im östlichen Teil des Landkreises Lüchow-Dannenberg gibt es am Montagnachmittag auch für Journalisten kaum noch ein Durchkommen. Alle paar hundert Meter kontrolliert die Polizei Fahrzeuge und Insassen. Wer weiterfahren darf, hängt wenige Augenblicke später wieder fest. Die Einsatzleitung hat zahlreiche Hundertschaften von der Bahnstrecke an die Straßen zwischen Dannenberg und Gorleben verlegt. Um 4.15 Uhr am Morgen erreichte der Castor-Transport aus Frankreich die Dannenberger Verladestation. Zuvor hatten die atomkraftkritischen Landwirte der „Bäuerlichen Notgemeinschaft“ nach 15 Stunden Dauer eine letzte Schienenblockade in Hitzacker beendet. Freiwillig, denn Bahn- und Polizeitechnikern war es nicht gelungen, die vier angeketteten Bauern aus einer auf den Schienen deponierten Betonpyramide zu lösen.

Als Gegenleistung für die Aufgabe ihrer Aktion handelten die Blockierer eine öffentliche Erklärung der Polizei aus. „Die vor Ort eingesetzten Polizeitechniker stellten nach mehrstündiger Arbeit an der Pyramide fest, dass hier augenscheinlich ein durchdachtes, ausgeklügeltes und nach Angaben der Aktivisten sicheres System vorliegt“, hieß es darin. „Die Polizei sieht sich nach derzeitigem Stand in zumutbarer Zeit nicht in der Lage, die Personen unverletzt zu befreien.“ In einer Lautsprecherdurchsage bestätigte der Einsatzleiter vor Ort, die Polizei sei in diesem Fall nur „zweiter Sieger“ geblieben.

Ab sechs Uhr morgens hievte ein Kran in der von dicken Stacheldrahtrollen gesicherten Umladestation die Castoren auf Tieflader. Um 18.40 Uhr erfolgte ihre Abfahrt. Der Konvoi verließ die Station auf der so genannten „Südroute“. Diese Strecke war tagsüber für Stunden versperrt. Ein Greenpeace-Laster hatte auf der Dorfstraße von Gusborn eine Betonkonstruktion abgesenkt. Darin waren eine Frau und ein Mann verankert. Auf fast identische Art und Weise hatte die Umweltorganisation auch im vergangenen Jahr den Transport aufgehalten. Zunächst versuchen Beamte, den Betonblock mit den Aktivisten darin mit technischen Geräten zu bearbeiten. Dann spannen sie Gurte um die ganze Konstruktion, um den Block, das Fahrzeug und die Aktivisten als Ganzes anzuheben. Die Aktion hatte schließlich Erfolg, um halb vier war das Hindernis beseitigt. Zudem zogen Polizeifahrzeuge einen dichten Ring um das Dorf. Abgewiesene Demonstranten berichteten von Wortgefechten und Handgemengen mit den Beamten.

Im „Musen-Palast“ in Laase war die Stimmung bis in den Abend hinein entspannter. In dem kleinen Elbdorf kurz vor Gorleben waren auf einer Pferdekoppel eine Bühne, ein paar Bauwagen und Zelte aufgebaut worden. Bereits seit zehn Jahren organisiert der Entertainer und Atomkraftgegner Willem Wittstamm hier eine „Oase im Castor-Trubel“, wie er sagte. Das Non-Stop-Kulturprogramm aus Musik und Kleinkunst beginnt immer dann, sobald die Atommüllbehälter Dannenberg erreicht haben. Eine Samba-Band, Liedermacher und Gaukler wechselten sich gestern mit Auftritten ab. Um 18 Uhr eskalierte die Situation an der Straße neben dem „Musen-Palast“. Die Polizei ging mit Wasserwerfern und Reiterstaffeln gegen eine Mahnwache vor, Demonstranten warfen Böller und zündeten Strohballen an.

Ein paar Kilometer weiter, am Ortsrand von Gorleben, hatte die Polizei am Nachmittag mit der Räumung einer seit fast 24 Stunden von etwa 1000 Atomkraftgegnern besetzten Straße begonnen. Betroffene und Beobachter beklagten ein teilweise ruppiges Vorgehen der Beamten. „Die Polizei trägt die Sitzblockierer nicht weg, sondern fügt ihnen Schmerzen zu, damit sie laufen“, sagte ein Augenzeuge. Teilweise seien die Demonstranten von jeweils zwei Polizisten „über einen Zaun geworfen“ worden. 60 Menschen sollen hier verletzt worden sein.

Die Anti-Atomkraft-Bewegung zeigte sich insgesamt zufrieden mit dem Verlauf der Protestaktionen. „Es war der Castor-Transport, der mit Abstand am längsten dauerte. Die Beteiligung der Demonstranten war ähnlich groß wie im Rekordjahr 2010“, sagte der Sprecher der Initiative „ausgestrahlt“. Der Bundesvorstand der Grünen erklärte sich bei einer Sitzung in Trebel solidarisch. „Wir erleben erneut einen sehr bunten, erfolgreichen und kreativen Protest, den wir unterstützen“, sagte Grünen-Chefin Claudia Roth.

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