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CDU-Bildungsministerin Johanna Wanka

© Thilo Rückeis

CDU-Bildungsministerin Johanna Wanka im Interview: „Für mich ist Kinderpornografie eines der schlimmsten Verbrechen“

Im Tagesspiegel-Interview spricht CDU-Bildungsministerin Johanna Wanka über die Affäre Edathy, die Folgen von Kinderpornografie und neue Strategien in der Bildungspolitik.

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Frau Wanka, hat die Affäre Edathy das Vertrauen in der Koalition zerstört?
Wir gehen in der Regierung weiter freundlich miteinander um. Aber die politische Situation war diese Woche nicht einfach. Grundsätzlich ist eine Koalition auf Vertrauen angewiesen, um auch schwierige Situationen zu verkraften.

Wie baut man neues Vertrauen auf?
Manche sagen, durch fleißiges Arbeiten. Da wird man sehen, ob das reicht. Am Mittwoch ist das Kabinett zu den deutsch-französischen Regierungskonsultationen nach Paris geflogen. Dabei hat man auch gemerkt, dass etwas geschehen ist. Aber es gab dann intensive Gespräche zur Sache.

Wird die Koalition diese Affäre überstehen?
Sie muss.

In einem Vierteljahr ist alles vergessen?
So was braucht seine Zeit. Und man kennt das ja auch aus einer Ehe: Wenn etwas vorgefallen ist, muss es auf den Tisch. Und dann kommt es darauf an, dass alle ruhig und besonnen ihrer Arbeit nachgehen. Dann steigt auch wieder das Vertrauen.

Horst Seehofer sagt, die SPD muss es wiederherstellen. Hat Ihr Koalitionspartner eine Bringschuld?
Es hilft, wenn jeder Koalitionspartner die Rolle des anderen berücksichtigt, also die ganze Koalition versucht mitzudenken und seine Entscheidungen im Blick aufs Ganze trifft.

Sind alle vor dem Gesetz gleich, oder haben Politiker die Möglichkeit, sich vor Ermittlungen zu schützen, indem sie sich warnen, bevor der Staatsanwalt vor der Tür steht?
Niemand darf sich solche Privilegien herausnehmen, das darf nicht sein. Ich kann auch nicht erkennen, dass Derartiges geschehen ist.

Wie berührt Sie das Thema Kinderpornografie?
Für mich ist Kinderpornografie eines der schlimmsten Verbrechen. Dabei werden Leben zerstört. Auch wenn ich nicht für das Strafrecht zuständig bin, ist es sicher richtig, darüber zu diskutieren, ob wir in Deutschland Gesetzeslücken haben. Was wir seitens des Bundesministeriums tun, ist einerseits die Erforschung von besseren Instrumenten zur Täterermittlung zu fördern. Zudem vermitteln wir Lehrern und Erziehern Kenntnisse und Fähigkeiten, um Anzeichen von Kindesmissbrauch noch besser erkennen zu können. Diese Weiterbildungen helfen auch im Kampf gegen Kinderpornografie. Das Internet vergisst nichts, auch nicht Bilder von Kindern, die wir heute vielleicht als nicht strafwürdig betrachten, die aber die Würde der jungen Menschen verletzen können, wenn sie älter werden und die Bilder ihrer Kindheit dann immer noch im Netz zu finden sind.

Das Wissenschaftsjahr 2014 steht unter dem Motto „Digitale Gesellschaft“…
Dabei geht es auch um die Privatheit der Menschen im Zeitalter des Internets. Nicht nur im Verhältnis von Staat und Bürger. Wir brauchen daneben auch eine breite gesellschaftliche Diskussion über die Folgen einer technischen Entwicklung, bei der Menschen ohne Arg ganz persönliche Informationen und Bilder der Öffentlichkeit preisgeben, die auch Jahre später noch Einfluss auf ihre persönliche und berufliche Entwicklung haben können.

Wir haben lange nichts mehr von Angela Merkels „Bildungsrepublik Deutschland“ gehört. Was ist daraus geworden?
Die „Bildungsrepublik“ geht auf eine Initiative der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten im Jahr 2008 zurück. Und wir können heute sagen: Wir haben noch nicht alles, aber doch viel erreicht. So war unser Ziel, die Zahl der Schulabbrecher bis 2015 zu halbieren. Damals waren es noch 8,7 Prozent, heute sind wir bei 5,9. Das sind Tausende junge Menschen mehr, die heute die Schule abschließen. Seit 2008 ist die gesellschaftliche Wertschätzung von Bildung enorm gestiegen. Und die Zahlen belegen, dass es vor allem für Kinder aus bildungsferneren sozialen Schichten leichter geworden ist, gute Bildung zu erreichen. Heute ist das Abitur kein Privileg mehr, und auch die Zahl der Migrantenkinder mit Abiturabschluss ist gestiegen.

Lesen Sie hier, wie Johanna Wanka dem Fachkräftemangel begegnen will

Dennoch gilt das deutsche Bildungssystem als eines der am wenigsten durchlässigen.
Auch hier ist viel geschehen. Mittlerweile gibt es in allen Bundesländern auch für Bewerber ohne Abitur die Möglichkeit zum Studium, wenn sie einen Berufsabschluss und Berufspraxis haben. Das ist für viele junge Menschen eine gute Nachricht, denn es gibt ihnen die Möglichkeit, ihre berufliche Qualifikation auf unterschiedliche Weise zu erweitern. Mancher, der mit 16 noch nicht das Ziel Abitur gewählt und einen Beruf erlernt hat, erkennt mit 26, dass er mehr kann und will. Auf diesem Weg müssen wir weitergehen. Die Hochschulen müssen sich mit dieser Frage beschäftigen und auch die Berufsberatungen in den Schulen. Es gibt noch zu viele Hürden für diese jungen Leute, insbesondere bei der Aufnahme an den Hochschulen. Aber die Praxis zeigt, dass sie dort Vergleichbares leisten können. Es muss in Deutschland möglich sein, dass eine Rechtsanwaltsfachangestellte auch Anwältin werden kann.

Die Wirtschaft beklagt nicht mehr, dass es zu wenige Studenten gibt, sondern zu wenig Fachkräfte.
Die demografische Entwicklung macht es nötig, dass wir uns intensiv mit diesem Problem befassen. Für die Bundesregierung ist die Stärkung der beruflichen Ausbildung in dieser Legislaturperiode deshalb ein absoluter Schwerpunkt. Die Qualität der Facharbeiter war und ist das Rückgrat des deutschen Wohlstands und muss daher in den Fokus der Bildungspolitik gestellt werden.

Was wollen Sie verändern?
Wir bereiten verschiedene Initiativen vor. Zunächst geht es um Prävention schon in der Schule. Wir wollen erreichen, dass bereits in der siebten Klasse intensiv mit möglichst vielen Schülern darüber gesprochen wird, wo die individuellen Stärken liegen und welche Berufe passen würden. Danach sollen die Schüler ihre Neigungen in der Praxis austesten können. Auch um die Älteren Mitte 20, von denen 15 Prozent keinen Berufsabschluss haben, wollen wir uns stärker kümmern. Sie müssen eine zweite Chance erhalten. Ein entsprechendes Bundesprogramm liegt vor.

Gilt das auch für gescheiterte Studenten?
Auch Studienabbrecher dürfen wir nicht sich selbst überlassen. Oft sind das kluge Köpfe, die Abitur gemacht haben, aber erst nach ein paar Semestern Studium merken, dass das nicht ihr Weg ins Berufsleben ist. Hier will ich die Hürden senken für die Berufsausbildung. Warum soll jemand, der bereits Leistungen etwa im Elektronikstudium vorzuweisen hat, diese bei einer Ausbildung in dieser Fachrichtung nicht anerkannt bekommen? Auch die Transparenz von modernen Berufen muss erhöht werden. Ein Beispiel: Wegen oft falscher Vorstellungen würde wohl kaum ein Vater seinem Sohn eine Ausbildung im Sägewerk empfehlen. Dabei sind diese Werke mittlerweile voller Hightech, Menschen, die dort arbeiten, sind hoch qualifiziert und haben hervorragende Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Die Koalition hat sich zwar vorgenommen, das Bafög zu erhöhen, dafür aber kein Geld bereitgestellt. Ist das Thema damit auf lange Sicht verschoben?
Auf keinen Fall. Wir haben bereits mit den Bundesländern intensiv darüber diskutiert, welche strukturellen Anpassungen beim Bafög nötig sind. Dass wir das Bafög weiterentwickeln werden, ist sicher. Nun müssen wir mit den Ländern alles weitere klären.

Die Länder haben bereits klargestellt, dass sie nicht mitbezahlen wollen.
Es ist immer schön, wenn man etwas geschenkt bekommt, wofür man eigentlich mitverantwortlich ist. Wenn ich mir das Länder-Finanz-Benchmarking von 2013 ansehe, dann ist der Bund finanziell eigentlich in keiner einfachen Situation. Auch wir haben Belastungen. Aber jeder muss bei begrenzten Mitteln Prioritäten setzen. Bafög ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern. Wenn die Steuereinnahmen steigen, sind die Länder daran ja auch beteiligt.

Wann werden Sie ein Gesetz vorlegen?
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man sich am besten zuerst mit den Beteiligten an einen Tisch setzen und die Notwendigkeiten besprechen sollte, bevor ein Gesetzentwurf auf den Tisch kommt. Das will ich auch in diesem Fall beherzigen.

Das Gespräch führten Rainer Woratschka und Antje Sirleschtov.

Politisch: Insidern war Johanna Wanka (63) schon lange ein Begriff. Sie war Hochschulrektorin und Bildungsministerin in Brandenburg. 2010 hat sie der damalige niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff zur ersten ostdeutschen Ministerin (Wissenschaft und Kultur) in einem westdeutschen Landeskabinett gemacht. 2013 wurde sie bundesweit bekannt: Als Annette Schavan wegen eines Plagiats ihren Ministerposten aufgeben musste, wurde Wanka nach Berlin berufen.

Privat: Geboren in Sachsen, hat Johanna Wanka eine „typische“ DDR-Karriere gemacht: Abitur, Lehre zur Agrotechnikerin, Mathematik-Studium an der Universität Leipzig.

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