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Für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) könnte das Obergrenzenthema langsam in den Hintergrund rücken.

© imago/Martin Müller

CDU, CSU und die Flüchtlinge: Wiederannäherung in Trippelschritten

Das Thema Obergrenze hat die Union fast gespalten. Jetzt sind Horst Seehofer und Angela Merkel möglicherweise bereit, den Streit beizulegen - schleichend.

Von Robert Birnbaum

Mit dem Einmarsch der CDU in Bayern wird es vorerst nichts. Der Einmarsch, wäre es nach Michael Kosmala gegangen, sollte von Amberg in der Oberpfalz seinen Ausgang nehmen. Da wohnt Kosmala, vormals CSU-Mitglied, heute aber Fan von Angela Merkel und speziell ihrer Flüchtlingspolitik. Anfang März hat er sich in einem Internetaufruf als „designierter Vorsitzender“ einer „CDU in Bayern e.V. in Gründung“ vorgestellt und Gleichgesinnte gesucht. Gemeldet hat sich bei ihm aber auch der Justiziar der CDU Deutschlands, und vor Kurzem kam ein Brief vom Bonner Landgericht. Angela Merkels Partei legt keinen Wert auf die ungebetene Schützenhilfe, bei Androhung von Ordnungshaft oder bis zu 250.000 Euro Ordnungsgeld.

Damit hat sich das erledigt, auch wenn Kosmala der „Süddeutschen Zeitung“, die den Fall publik gemacht hat, für den Notfall den Gang nach Karlsruhe ankündigte. Aber selbst wenn er es bis zum Verfassungsgericht schaffen sollte – die Bundestagswahl ist dann lange vorbei.

Anders stehen die Dinge, was den Einmarsch der CSU ins Bundesgebiet angeht. Nimmt man zusammen, was in CDU und CSU darüber dieser Tag so geredet wird und was der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer öffentlich hat verlauten lassen – und nimmt man insbesondere Letzteres einfach mal ernst –, dann könnte zumindest die Ausdehnung des Horst Seehofer aufs Bundesgebiet in vollem Gange sein. Das hängt mit Obergrenzen zusammen. Aber der Reihe nach.

Die Reihe beginnt mit der Rätselfrage, wie Merkel und Seehofer den „Obergrenzen“-Streit auflösen wollen. Theoretisch ist beiden Beteiligten klar, dass es keine Lösung geben darf, bei der eine Seite gewinnt. Dann verliert die andere. Das wäre für eine Kanzlerkandidatin in spe, die sich ihrem Parteitag als Parteivorsitzende der Wiederwahl stellen dürfte, so wenig akzeptabel wie für den CSU-Chef.

Von Formelkompromissen, die die „Obergrenze“ zum unverbindlichen „Richtwert“ erklären, hätte aber nach Einschätzung beider Seiten auch niemand etwas. Die CSU – Seehofers Generalsekretär Andreas Scheuer hat daran diese Woche erinnert – hat ihre „Obergrenze“ von 200 000 Zuwanderern jetzt mehrfach förmlich beschlossen. Für das eigene Wahlprogramm gilt sie damit als gesetzt: Er halte es für „sehr fix, dass die Obergrenze bei uns im Bayernplan steht“, sagt Scheuer. Seehofer selbst hat seine starken Worte gegen Merkel inzwischen eingestellt, benutzt sie aber an diesem Punkt weiter: Es gehe um die „Seele“ der CSU und „schlicht und einfach um unsere Glaubwürdigkeit“. Merkel sagt öffentlich nichts zum Thema, dafür sind ihre Truppen unter der Hand umso deutlicher: „Obergrenze“ – niemals!

Inzwischen ist die Frage nach einer Obergrenze eher eine akademische geworden

Im Wilden Westen wäre der Konflikt um zwölf Uhr mittags auf der Hauptstraße ausgetragen worden. In der Politik gibt es einen unblutigen Weg: „Ganz langsam wegschleichen“, sagt einer, der auf CDU-Seite etwas von den internen Abläufen versteht. „Das ist das einzig Sinnvolle.“ Die schiere Zahl der Flüchtlinge stehe sowieso nicht mehr so im Zentrum wie an den Tagen, als Zehntausende über die Grenze strömten. Damit sei die einst akute Obergrenzenfrage zur eher akademischen geworden. Und die könne man gut im Raum stehen lassen – die CSU beharrt darauf, die CDU geht nicht groß darauf ein, die Bayern ziehen mit zusätzlichem eigenem Programm in die Bundestagswahl, und ansonsten sieht man zu, durch Schulterschluss auf möglichst vielen anderen Feldern und ein gemeinsames Wahlprogramm den brutalen Zwist des letzten Jahres vergessen zu machen.

Auch auf CSU-Seite wird die Amnesiemethode als „möglich“ eingestuft. „Die Zeit heilt ja immer viele Wunden“, sagt einer aus dem Führungskreis. Seehofer und Merkel könnten sie Ende nächster Woche bereden. Seehofer ist bis Freitag in Rostock bei der Ministerpräsidentenkonferenz, da liegt Berlin praktischerweise auf dem Rückweg. In der CSU werden übrigens aufmerksam Merkels Friedenssignale vermerkt: Dass die Kanzlerin beim EU-Gipfel den Antrag ausgerechnet Ungarns verhindert hat, die EU-Binnengrenzen wieder für sicher zu erklären und dort die Kontrollen aufzuheben, wird als Eingehen auf bayerische Empfindlichkeiten gewertet.

Tatsächlich deuten auch die jüngsten Züge in der Parteitagsfrage in Richtung des „langsam Wegschleichen“. CDU wie CSU stellen sich darauf ein, dass ihre Kongresse diesmal ohne Grußwort der jeweils anderen Parteivorsitzenden stattfinden. „Man darf ja auch die eigenen Parteitage nicht überfordern“, sagt ein Christsozialer. Den Chef aber erst recht nicht. Seehofer muss damit rechnen, dass seine Basisdelegierten bei einer Friedensinszenierung auf der Bühne nicht mitspielen – zumal Merkel in ihrer Rede das Reizthema nicht aussparen könnte.

Wie macht Seehofer weiter?

Bliebe jetzt also noch die Sache mit dem Einmarsch. Seehofer hat erst intern, dann auch öffentlich einen für seine Verhältnisse klaren Satz zur Konsequenz aus einem absehbaren Sieben-Parteien-Bundestag ab 2017 gesagt: „Damit wir da den anderen die Stirn bieten können, brauchen wir den CSU-Chef und weitere starke Kräfte in Berlin.“ Damit, sagen selbst Leute, die dem Spielertypen Seehofer sonst praktisch alles zutrauen, sei es ihm schon sehr ernst. Wen er meint als CSU-Chef, sagt er nicht; dass er intern auf sich selber gezeigt haben soll, bestreiten Leute, die das wissen müssten.

Aber da ist noch eine zweite Ansage: dass er nämlich 2017 eins seiner zwei Ämter räumen wolle. Sinnvoll wäre so ein Zug für den Job des Ministerpräsidenten. Denn der zweite für Seehofers Verhältnisse klare Satz in diesem Spiel war die Zusage, dass er 2018 nicht noch einmal in Bayern antritt. Für Nachfolger wäre eine Landtagswahl aus einer Position mit Amtsbonus allemal einfacher.

Eine Obergrenze für den Parteivorsitz hat Seehofer sich hingegen niemals selbst gesetzt, intern nicht, öffentlich schon gar nicht. Wenn sie in München aber schon erwägen, mit dem Spitzenkandidaten Seehofer in die Bundestagswahl zu ziehen, dann ist ein Kabinettsplatz neben Merkel ein sehr viel logischeres Ziel als die Rente. Zumal, wie einer in der CSU über den Chef nur halb im Spott anmerkt, „niemand glaubt, dass er denkt, dass es ein anderer besser könnte“.

Nur eins spricht dagegen: Für die CSU ist nicht 2017 das entscheidende Datum, sondern 2018. Dann wird die Schlacht um die absolute Mehrheit in Bayern geschlagen. Die zu retten, hat Seehofer sein „Lebenswerk“ genannt. Da gilt des Spötters Satz also genauso.

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