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Annette Schavan

© picture alliance / dpa

CDU: Die Streitfrage lautet: Wer macht Schulpolitik?

In der CDU spitzt sich vor dem Parteitag im November die Debatte um Schulen und Universitäten zu – sie könnte noch ziemlich grundsätzlich werden.

„CDU schafft Hauptschule ab“ – seit diese Schlagzeile in die Welt geraten ist, hat Annette Schavan ein Problem. Denn die Bundesbildungsministerin muss nun landauf, landab der eigenen Basis Rede und Antwort stehen. Gymnasium, Realschule, Hauptschule – die Dreigliedrigkeit gehörte lange zum bildungspolitischen Markenkern der Union. Die CSU will daran festhalten, viele in der CDU auch. Aber Schavan und der Bundesvorstand haben andere Pläne. Sie plädieren für die Zweigliedrigkeit, die sich ausgehend von Sachsen – und dort regiert bekanntlich die CDU seit 1990 – langsam über die Republik verbreitet. So ist der programmatische Bundesbeschluss zwar keineswegs revolutionär, aber er muss eben vermittelt werden.

Und deshalb reist die vom Niederrhein stammende, den Wahlkreis Ulm vertretende und in Berlin amtierende Ministerin derzeit tapfer durch die Lande, um zu erklären. Zum Beispiel, dass man die Hauptschule gar nicht ratzeputz aus der Welt schaffen will, sondern durchaus den Landtagen als Gesetzgebern und den Kommunen als Schulträgern Spielraum lassen will, wie sie die künftige Oberschule als Kombination von Real- und Hauptschule ausgestalten. Schulpolitische Flexibilität also bei der CDU.

In Freiburg im Breisgau, im Land der schärfsten Schavan-Kritiker, hatte die Ministerin unlängst einen Auftritt bei ihrem Unternehmen Mitgliederbeschwichtigung. Der Termin bei der Basis verlief überraschend glimpflich. In der Sache gab es eher wenig Kritik, gemault wurde über die mangelhafte Kommunikation. Aber ausgestanden ist die Angelegenheit für Schavan noch nicht. In einem Hotel in Wiesbaden gab es in der vorigen Woche nämlich eine weitere Begegnung mit der Basis, bei der Schavan nicht so gut wegkam. Nicht zuletzt der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier, generell kein großer Freund des Berliner Politikbetriebs, ereiferte sich. Die Bundespartei, sagte er, solle die Bildungspolitik „bei den Ländern lassen“.

Hinter der Pampigkeit des sonst eher pragmatischen Bouffier steckt wohl mehr als nur die Sorge um die Hauptschule. Denn das zweigliedrige System, in welchem Variantenreichtum auch immer, dürfte sich durchsetzen in der Bildungsrepublik Deutschland. Die propagieren alle Parteien, weshalb die Parteiführungen die Bildungspolitik, Schule inklusive, gern auf der Bundesebene ansiedeln würden. Die Landespolitiker aber wehren sich, zumindest jene in den Regierungszentralen. Und die Ministerpräsidenten haben die Verfassung auf ihrer Seite. Dem Grundgesetz nach ist Bildungspolitik vor allem Ländersache. Mit der Föderalismusreform von 2006 ist das bestätigt und sogar verstärkt worden. Seither ist es dem Bund nicht mehr möglich, sich mit Finanzhilfen an Vorhaben der Länder zu beteiligen, bei denen diese die Gesetzgebungsmacht haben. Also vor allem bei Schulen und Hochschulen. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber die Regel ist klar. Einmischungsverbot nennen das die Befürworter, die sich mit der Politik des goldenen Zügels, dem Lenken und Koordinieren der Länder durch den Bund mithilfe von Geld nicht anfreunden wollen. Die Kritiker der länderfreundlichen Grundgesetzänderung haben dem Kind einen anderen Namen gegeben: Kooperationsverbot.

Und das Kooperationsverbot soll weg. SPD, Grüne und Linke im Bund verlangen das schon lange. CDU und FDP kommen nun hinterher. Obwohl vor allem sie (und die CSU, die noch standhaft ist) das „Kooperationsverbot“ einst befürwortet hatten. Nun aber kippt die Stimmung in beiden Parteien. Schavan und FDP-Generalsekretär Christian Lindner haben sich weit aus dem Fenster gehängt und die Abschaffung verlangt. Lindner musste aber erkennen, dass zwar eine Mehrheit der FDP-Bundestagsfraktion wieder mehr Bund-Länder-Kooperation will, nicht aber viele Liberale in den Ländern. Und auch Schavan, die meint, die Grundgesetzänderung habe sich nicht bewährt, die Fesseln für den Bund müssten abgestreift werden, kann die nächste Erklärtournee schon mal planen.

Denn zwar ist eine Mehrheit der Bürger, jedenfalls laut Umfragen, dafür, dass der Bund Schulpolitik machen soll. Aber in den Ländern sind bei Weitem nicht alle christdemokratischen Verantwortungsträger bereit, ihre letzte Gestaltungsbastion so einfach schleifen zu lassen. Zumal die Erinnerung an die jahrzehntelange Bund- Länder-Kooperation in der Bildungspolitik kaum Glücksgefühle auslöst. Die Grundgesetzänderung von 2006 rührte auch daher, dass diese Kooperation oft umständlich, langwierig und bürokratisch war und teuer noch dazu.

Zwar hat Schavan die für sie günstige demoskopische Wirklichkeit zum Anlass genommen, im Frühjahr mutig das Ende des Kooperationsverbots zu fordern. Aber in den bildungspolitischen Leitantrag für den CDU-Parteitag im November hat es Schavans Begehr nicht geschafft, jedenfalls nicht ausdrücklich. Offenkundig gab es Widerstand. Die gegensätzlichen Positionen wurden in den Satz gefasst: „Die Union steht für eine Bildungspolitik mit Kooperation und klaren Zuständigkeiten.“ Was natürlich schwierig ist. Immerhin wird klargestellt, dass die Länder „die grundgesetzliche Verantwortung für die Bildung“ hätten. Um dann zwei Sätze später festzuhalten, dass „mögliche Hemmnisse“ bei der Kooperation der Länder untereinander „und mit dem Bund“ einvernehmlich abzubauen seien.

Der Wunsch nach einem Mehr an Bund-Länder-Kooperation zieht sich durch die 97 Punkte des Leitantrags wie ein dezent gefärbter roter Faden. Mehr Vergleichbarkeit, mehr Gemeinsamkeiten, und dann noch einen zentralen Bildungsrat, der Empfehlungen geben soll. Man könnte sagen: Kein Knockout, aber ein Punktsieg für Schavan und all jene, die den Bund Schule machen lassen wollen. Die Rückkehr zum alten Modell des kooperativen Föderalismus mag damit nicht besiegelt sein, vorbereitet aber wird sie. Damit will auch die CDU zurück zu jenem Politikmodell, in dem die Formulierung von Schul- und Hochschulpolitik weniger von den Parlamenten ausgeht, sondern vor allem ein Ergebnis von Verhandlungen der Ministerialbürokratien des Bundes und der Länder im Verein mit den Interessengruppen der Bildungslandschaft ist.

Dabei geht es weniger um eine bessere Schul- und Hochschulpolitik. Die kann auf Landesebene gemacht werden, dafür braucht es den Bund nicht. Die eigentlichen Gründe für eine Aufweichung der Verantwortungstrennung sind das Geld – Schavan sitzt auf einem kleinen Berg davon, kann aber nicht alles verfassungskonform ausgeben – und der Anspruch der Bundesspitze, mehr Gestaltungsmacht in der Bildungspolitik zu bekommen. Da ist die CDU nicht allein. Denn hinter diesem Wunsch nach einer Bundesbildungspolitik stehen die Marketinginteressen der Parteiführungen, in denen Bildung als äußerst zukunftsträchtiges Wahlkampfthema gilt. So kommt es nicht von ungefähr, dass die CDU in dem Leitantrag auch auf Positionen von SPD und Grünen einschwenkt, etwa bei der Förderung von Ganztagsschulen.

Doch wie weit trägt die CDU die im Leitantrag skizzierte Wende wirklich mit? Und wie stark wollen sich die Länder wieder an den bundespolitischen Zügel nehmen lassen? In der innerparteilichen Debatte lassen sich deutlich zwei Konfliktlinien erkennen, eine geographische und eine ressortpolitische. Da ist zum einen die traditionelle Nord-Süd-Spaltung, wenn es um die Machtverteilung zwischen Bund und Ländern geht. Die läuft freilich etwas nördlicher als die einst berühmte Main-Linie. Nicht nur in Baden-Württemberg und Bayern, auch in Hessen, Thüringen und vor allem Sachsen befürwortet die Union die Eigenverantwortung der Länder. Zumal diese süddeutschen Länder mit der Leistungsfähigkeit ihrer Schulsysteme in Vergleichsstudien regelmäßig punkten können. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass das Argument, ein Mehr an Bund sei besser, dort verfängt. Auch im SPD-regierten Rheinland-Pfalz übrigens will man vom Bund in der Bildungspolitik möglichst in Ruhe gelassen werden, Ministerpräsident Kurt Beck und seine Kultusministerin Doris Ahnen machen Schule lieber selbst. Und Winfried Kretschmann, der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, ist sowieso ein Erzföderalist. Selbst wenn sich also im Bundestag eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit ergäbe, ist die im Bundesrat alles andere als sicher. Er könne nicht erkennen, dass das „Kooperationsverbot“ wieder aufgehoben werde, sagt daher der sächsische Kultusminister Roland Wöller, der den CDU-Leitantrag mitgeprägt hat. „Das ist kein Thema mehr.“ Jedenfalls für ihn.

Etwas anders sieht das der niedersächsische Kultusminister Bernd Althusmann. Der CDU-Mann aus Hannover fordert, den Bildungsföderalismus „weiterzuentwickeln“ – den Begriff benutzt auch Schavan gern, um mehr Bundeseinfluss einzufordern. Althusmann kann sich wie Schavan eine Grundgesetzänderung durchaus vorstellen, „damit eine gezielte Zusammenarbeit in wichtigen Fragen ermöglicht wird, zum Beispiel in Form einer programmbezogenen Zusammenarbeit“. Aber die „Kernkompetenz“ müsse bei den Ländern bleiben, betont Althusmann. Über die Größe des Kerns dürften die Meinungen zwischen Bund und Ländern auseinandergehen.

Dem Druck der Bundespartei können freilich auch die Standhaften nicht völlig ausweichen. So lehnt auch Wöller Bund-Länder-Kooperation nicht rundweg ab. Er weiß ja auch, wo viel Geld ungenutzt liegt. Und die Hoffnung der Ministerpräsidenten, der Bund komme ihrer Forderung nach und gebe den Ländern einen höheren Anteil der Umsatzsteuer für die Bildungsfinanzierung, diese Hoffnung hat man in den Kultus- und Wissenschaftsressorts nie geteilt. Zudem hat die Bildungsbürokratie trotz der Verfassungsänderung in den vergangenen Jahren Wege gefunden, das Wasser des Bundes auf die Mühlen der Länder zu lenken. Bund-Länder-Kooperation findet durchaus statt. Doch die entscheidende Frage ist: Wer hat den Hut auf? Wöller etwa will dem Bund nicht die eindeutige Führungsrolle zuweisen, was nach einer abermaligen Grundgesetzänderung wohl der Fall wäre. „Es hat noch niemand den Beweis erbracht, dass Zentralisierung per se zu besseren Ergebnissen führt“, sagt der Dresdner Minister. Lehrer, Eltern und Schüler hätten auch kein Interesse an Zuständigkeitsdebatten, sondern wollten Qualität, und die kommt seinem Verständnis nach eher aus der Landes- als der Bundeshauptstadt. Aber wenn es etwa um die Lehrerausbildung geht, ist auch Wöller dafür, Bundesmittel gezielt an die pädagogischen Fakultäten leiten zu können. Verfassungsrechtlich mag da nicht alles ganz sauber sein, aber verfassungspolitisch ist die Kooperation trotz Kooperationsverbots für die Länder eine annehmbare Sache: Sie haben die Freiheit, sich dem Zügel zu entziehen, wenn der Bund zu viel Entgegenkommen verlangt. Im Status quo muss der Bund stärker auf die Länder achten.

Die ressortpolitische Konfliktlinie verläuft derweil zwischen der Schul- und Hochschulpolitik. Die Schule ist den meisten CDU-Landespolitikern heilig. Sie müsse Ländersache bleiben, fordert etwa die thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht. Hier sei „bundespolitischer Zentralismus“ fehl am Platz. Aber bei den Hochschulen und der Forschungsförderung ist man in den Ländern eher bereit zum Gespräch. Auch hier ist der Norden williger, dem Bund wieder die Tür zu öffnen. Der Kieler Wissenschaftsminister Jost de Jager etwa, auch designierter CDU-Landeschef, will das Kooperationsverbot zumindest für den gesamten Hochschulbereich kippen. Denn hier bestünden in nahezu allen Ländern „erhebliche finanzielle Defizite“, konstatiert er in einem Positionspapier.

Vor allem fehlt das Geld in strukturschwachen, hoch verschuldeten Ländern wie Schleswig-Holstein. De Jager hat neben gezielten Förderprogrammen vor allem den Hochschulbau im Blick, der 2006 komplett an die Länder übertragen worden war. Ergebnis der größeren bildungspolitischen Eigenständigkeit der Länder ist laut de Jager ein „sich beschleunigendes Auseinanderdriften zwischen reichen und armen Bundesländern“. Ausgerechnet jetzt, wo Bildungsförderung ein noch wichtigerer Teil der regionalen Strukturpolitik ist als bisher schon. In seiner Verzweiflung kann sich de Jager sogar eine Lösung vorstellen, die dem Bund erlaubt, gezielt einzelne Länder zu fördern – was freilich spätestens in Karlsruhe scheitern dürfte, wo man diese Form des Geldverteilens schon vor 50 Jahren verworfen hat. Eine weitere Idee de Jagers ist die Übernahme von Hochschulen durch den Bund. Denkbar sei auch, den Finanzausgleich um eine neue Zuweisungsvariante zu erweitern, die dem Bund das Fördern von Hochschulen in schwachen Ländern erlaubt. Was de Jager, hoch im Norden und tief in den Miesen, für unproblematisch hält, ist weiter südlich aber undenkbar. „Das Geld des Bundes kann keine Begründung sein für die Änderung des Grundgesetzes“, sagt Minister Wöller in Sachsen.

So hat die CDU über die Hauptschulfrage hinaus eine bildungspolitische Debatte vor sich, die noch ziemlich hart werden könnte. Denn es geht dabei nicht um einzelne Programme für Universitätsförderung, Kantinenbau und Pädagogenausbildung. Oder die konkrete Ausgestaltung der Oberschule. Es geht um eine Kernfrage: Wer macht Bildungspolitik im deutschen Bundesstaat? Es ist eine Verfassungsfrage. Verfassungsfragen aber sind Machtfragen. Da werden selbst Pragmatiker grundsätzlich. Und gehört der Föderalismus nicht zum Markenkern der Union?

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