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© Kitty Kleist-Heinrich

CDU-Generalsekretär Gröhe: „Konkrete Arbeit ist besser als flotte Sprüche“

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe über Westerwelles Sozialthesen, den Streit in der Koalition und Vorwürfe wegen Sponsoren-Werbung.

Herr Gröhe, sind Sie ein mitfühlender Mensch?



Ja, das würde ich von mir behaupten.

Dann haben Sie sicher Mitleid mit den Wählern der bürgerlichen Koalition, deren Erwartungen an solide Regierungsarbeit seit Monaten enttäuscht werden.

Wir sind gegenüber unseren Wählern in der Pflicht, gute Arbeit zu machen. Umso mehr bedaure ich, dass manch unnützer Streit verdeckt hat, was die christlich-liberale Koalition bereits geleistet hat. Kindergelderhöhung, Unternehmen- und Erbschaftsteuerreform, Verlängerung des Kurzarbeitergeldes - darüber sollten wir reden, anstatt uns Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit zu liefern.

Das heißt, Sie haben Verständnis für die Enttäuschung vieler Unionswähler?

Dass von uns viel erwartet wird, verstehe ich. Ich sage aber auch, dass die CDU in der Regierungsarbeit keinen Grund für Enttäuschung liefert. Unsere Minister tragen wesentlich dazu bei, die Zufriedenheit der bürgerlichen Wähler zu steigern.

Also sind CSU und FDP schuld?

Sie haben den Generalsekretär der CDU gefragt, und der weist gerne auf die Leistungen der christlich-demokratischen Kabinettsmitglieder hin. Aber die Koalition hat insgesamt eine starke Mannschaft.

Seit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages hat Schwarz-Gelb unaufhörlich gestritten. Den vorläufigen Höhepunkt haben wir vergangene Woche erlebt, als Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren Vizekanzler Guido Westerwelle zur Ordnung gerufen hat. Wie lange soll das so weitergehen?

Wir haben nicht nur gestritten, sondern Wichtiges und Gutes sofort auf den Weg gebracht. Das ist entscheidend. Andere Aufgaben wie die Steuerstrukturreform oder die Reform des Gesundheitswesens haben wir noch vor der Brust. Bei diesen Themen halte ich Vorfestlegungen und krachende Begleitmusik im Übrigen für unnötig. Wir sollten mit Ruhe und Sachlichkeit unsere Aufgaben abarbeiten.

Hat das Auftreten von Westerwelle in der Sozialstaatsdebatte dem Erscheinungsbild der Koalition geschadet?

Ich kann nicht erkennen, dass wir großen Nutzen daraus gezogen haben. Wenn ein Partner den Anschein erweckt, er müsse sich das Recht erkämpfen, über ein angebliches Tabuthema zu reden, das doch in Wahrheit gar keines ist, trägt das sicher nicht zu einer besseren Außendarstellung der Koalition bei.

Westerwelle lässt aber nicht locker. Am Freitag hat er erklärt, seine Sozialstaatsdebatte sei notwendig gewesen, um wachzu- rütteln. Hat die CDU bisher geschlafen?

Gerade der Vizekanzler weiß, dass die Union beim Thema Sozialstaat hellwach ist - er saß mit am Tisch, als wir uns in der Koalition auf Maßnahmen in der Arbeitsmarktpolitik verständigt haben. Jetzt sollten wir uns darauf konzentrieren, die Arbeitsanreize für Hartz-IV-Empfänger zu verbessern, die Schwarzarbeit zu bekämpfen und die Hartz-Sätze für Kinder nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil neu zu gestalten.

Trotz dieser Verabredung wird die FDP eigene Vorschläge zur Reform von Hartz IV vorlegen. Irritiert Sie das?

Mich irritiert nicht, wenn konkret an Themen gearbeitet wird. Konkrete Arbeit ist besser als flotte Sprüche.

Aus FPD-Führungskreisen heißt es, die Kanzlerin gehe zu gemächlich zu Werke und beschränke sich auf eine "Schaun-wir- mal-Politik".

Die FDP scheint sich in der Rolle des Antreibers zu gefallen, auch wenn diese gar nicht besetzt werden muss. Wir haben alle Zeitpläne für unser Vorgehen gemeinsam festgelegt - nicht nur in der Arbeitsmarktpolitik. Alle Regierungspartner wollen zügig und zugleich solide arbeiten. Dieser gemeinsame Wille ist Antrieb genug. Im Übrigen sollten wir - nicht nur aufgrund der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen - endlich damit aufhören, uns in der Koalition öffentlich Zensuren zu erteilen. Es wäre besser, wenn die Menschen uns bei der Arbeit anstatt beim Streiten zusehen könnten.

Es deutet aber wenig darauf hin, dass bald Ruhe einkehrt. Im Streit um die Zukunft des Gesundheitswesens fordern Kanzlerin und FDP die Kopfpauschale, während die CSU Front gegen den Systemwechsel macht.

Die Gesundheitskosten von den Arbeitskosten stärker abzukoppeln, ist richtig. Es ist nun Aufgabe der Regierungskommission, dies so zu gestalten, dass niemand überfordert wird. Ich bin zuversichtlich, dass uns dies gelingen wird. Auch der Gesundheitsminister weiß, dass tiefgreifende Reformen nur schrittweise umzusetzen sind. Ziel aller Koalitionäre ist es, das solidarische Gesundheitswesen angesichts einer zunehmenden Alterung der Gesellschaft zukunftsfest zu machen. Es geht um mehr, nicht um weniger Solidarität. Angemessene und moderne medizinische Hilfe unabhängig vom Geldbeutel sind für uns dabei selbstverständlich.

Der Dauerzwist geht offenbar auf Kosten der Union, wie Umfragen zeigen. Muss die in Zukunft klarmachen, wer Koch und wer Kellner ist in der Koalition?

Man sollte sich nicht täuschen: Streit in der Koalition schadet am Ende allen Beteiligten. Wer glaubt, auf Kosten des anderen nachhaltig punkten zu können, irrt. Die Unzufriedenheit der Wählerinnen und Wähler muss uns deshalb ein deutliches Warnsignal sein. Weniger öffentliche Selbstinszenierung, dafür mehr Sacharbeit, das wäre das richtige Gegenmittel.

Für Verstimmung in der Koalition sorgte auch die harte Kritik von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) an der katholischen Kirche im Zusammenhang mit Missbrauchsfällen. Steht die CDU an der Seite der Bischöfe?

Der Papst und die katholischen Bischöfe haben Missbrauch unmissverständlich und in aller Schärfe verurteilt. Es gibt keinen Grund, der Kirche heute eine unzureichende Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen vorzuwerfen. Diesen Eindruck sollte man auch nicht vermitteln. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Zollitsch, hat eine Überprüfung der geltenden Richtlinien angekündigt und einen Sonderbeauftragten für Missbrauchsfälle ernannt. Zudem hat er erklärt, wie wichtig eine frühzeitige Einschaltung der Behörden und die Unterstützung der Staatsanwaltschaft sind. Ich bin für diese deutliche Positionierung sehr dankbar.

Herr Gröhe, schließen Sie eine schwarz-grüne Koalition in Nordrhein-Westfalen nach der Landtagswahl aus?

Union und Grüne trennen weiterhin Welten. Ich nenne nur die Energie- und Industriepolitik. Darüber hinaus wollen die Grünen eine rot-grüne Regierung in Düsseldorf. Damit sind sie unser erklärter Gegner bei der Wahl.

Und hinterher gelten dann andere Prioritäten?

Ich bin sehr zuversichtlich, dass Jürgen Rüttgers seine erfolgreiche christlich-liberale Koalition fortführen kann.

Mit dem Ende der schwarz-gelben Koalition in Nordrhein-Westfalen hätte die Bundesregierung ihre Mehrheit im Bundesrat verloren. Könnte sie dann überhaupt weitermachen?

Auch mit einer christlich-liberalen Mehrheit im Bundesrat ist es für die Bundesregierung nicht immer einfach. Mit einer anderen Mehrheit würde es für uns aber deutlich schwerer werden. Zugleich wäre es nicht das erste Mal in der Geschichte, dass eine Bundesregierung einer andersfarbigen Bundesratsmehrheit gegenüber- steht. Ich gehe aber nicht davon aus, dass es so weit kommt.

Manche bei den Liberalen argwöhnen, es sei der Kanzlerin ganz recht, wenn eine schwarz-grüne Koalition in Düsseldorf die übertriebenen Erwartungen der FDP im Bund dämpft.

Das ist Unsinn. Die CDU-Vorsitzende wird im Wahlkampf mit ganzer Kraft für die Fortsetzung der christlich-liberalen Koalition in Düsseldorf kämpfen.

Welchen Schaden hat die Sponsoring-Affäre um Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) für Ihre Partei angerichtet?

Wenige Wochen vor der Landtagswahl ist das natürlich keine einfache Situation für die CDU. Die Vorwürfe der SPD sind dabei völlig absurd! Keiner kümmert sich in Nordrhein-Westfalen in der Krise mehr um die Menschen und um die Betriebe als Jürgen Rüttgers. Keiner spricht häufiger mit Unternehmern und Betriebsräten, steht ununterbrochen für Gespräche zur Verfügung. Selbstverständlich ohne jede Zahlung. Mit ihren heuchlerischen Attacken und hysterischen Übersteigerungen wird die SPD ganz sicher nicht das Vertrauen der Wähler gewinnen.

Lassen Sie uns zum Schluss noch einmal über die Erwartungen der bürgerlichen Wähler reden. Können Sie diesen guten Herzens versprechen, dass die schwarz-gelbe Koalition in weiteren hundert Tagen Tritt gefasst haben wird?

Ganz sicher. Wir werden die Herausforderungen beherzt angehen und gemeinsam erfolgreich sein. So haben wir am Freitag den Afghanistan-Einsatz verlängert und dabei ein runderneuertes Konzept durchgesetzt. Gerade der zivile Aufbau wird massiv verstärkt. Wenn jetzt noch unnütze Streitereien unterbleiben, wird auch das öffentliche Bild der Regierung mehr Glanz bekommen.

Die Fragen stellten Stephan Haselberger und Hans Monath. Das Foto machte Kitty Kleist-Heinrich.


ZUR PERSON

PARTEIGENERAL

Seit Oktober 2009 ist der 49-jährige Jurist aus dem Rheinland CDU-Generalsekretär. Als klassischer Polarisierer gilt er nicht. Zuvor hatte er sich als Staatsminister im Kanzleramt unter anderem um die Beziehungen zu den Ländern gekümmert. Gröhe ist gut vernetzt. Er war Chef der Jungen Union, Obmann der Unionsfraktion im BND-Untersuchungsausschuss und Fraktionsjustitiar.


ENGAGIERTER CHRIST

Zwölf Jahre lang war der Vater von vier Kindern Mitglied des Rats der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD). Einen Namen hat er sich auch als Menschenrechtspolitiker gemacht. Mit der sozialen Realität setzte er sich als Vorsitzender des Diakonischen Werks seiner Heimatstadt Neuss auseinander.

BRÜCKENBAUER

Gröhe gehört zu der Generation von CDU-Politikern, die Mitte der 90er Jahre im Bundestag in Bonn enge Kontakte zu den bis dahin von der Union gemiedenen Grünen aufbaute („Pizza Connection“) . Mit Grünen-Parteichef Cem Özdemir ist er befreundet.

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