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Helmut Kohl und Angela Merkel.

© Reuters

CDU: Unterweisung vom Übervater Kohl

"Die CDU ist und bleibt eine Volkspartei": Helmut Kohl schwört die Partei auf ihre Werte ein - und macht Wolfgang Schäuble ein Versöhnungsangebot.

Von Robert Birnbaum

Berlin - Er hat ihr die Hand geküsst. Angela Merkel holt den großen alten Mann in seinem Rollstuhl draußen vor dem Palais am Funkturm ab, die Sonne strahlt, die drei Dutzend Jungunionisten beginnen enthusiastische Gesänge – „Wer ist u-hu-unser Idol – Helmut Ko-hol“ –, da nimmt er die Hand seiner Nachfolgerin und haucht einen galanten Handkuss darüber. Womit also schon vor der Gedenkveranstaltung zum 20. Jahrestag der Vereinigung von CDU Ost und CDU West symbolisch klargestellt ist, dass hier übers Historische hinaus Parteigeschichte verortet werden soll.

Natürlich ist es Zufall, dass das Jubiläum genau auf einen Zeitpunkt fällt, an dem die Kanzlerin der verunglückten Wunschkoalition sich augenfällig auf ihre Rolle als Parteivorsitzende zurückbesinnt. Aber sie kann es jetzt besonders brauchen. Das erklärt auch ein wenig die überraschende Rollenverteilung: Angela Merkel hält eine geschichtsbetonte Rede über die Einheit und auf deren Kanzler. Helmut Kohl aber spricht über die Zukunft. „Um es gleich vorwegzunehmen“, sagt der 80-Jährige mit schwerer, doch wieder recht deutlicher Stimme, „die CDU ist kein Auslaufmodell. Die CDU bleibt ein Zukunftsmodell!“ Durch die Reihen der etwa 1000 geladenen Gäste geht ein Raunen, dann prasselt der Applaus.

Was dann folgt, ist eine Mischung aus Ermutigung, leisem Unmut und sehr dringlicher Ermahnung. „Die CDU ist und bleibt eine Volkspartei“, ermutigt Kohl. Sie dürfe sich nur nicht einreden lassen, dass konservativ und fortschrittlich Gegensätze seien – zwei Seiten einer Medaille seien das. Sie müsse nur zu ihren Werten stehen. Und: „Lassen wir uns doch nicht einreden, dass unser Wählerpotenzial schwindet: Das Volk ist unser Potenzial!“ Und sofort folgt die Ermahnung: „Es liegt an uns, es für uns zu gewinnen.“ Wieder applaudiert der Saal. „Aber ich bin auch skeptisch“, fährt der Mann fort, der ein Vierteljahrhundert lang für diese CDU stand, „wenn ich sehe, wie die Tagespolitik zunehmend unser Programm bestimmt und wie Positionen immer kürzer Gültigkeit haben.“ An der Stelle blättert die Nachfolgerin gerade dringend in ihrem eigenen Redemanuskript und hat infolgedessen keine Hand frei für Applaus.

Auch einige ganz konkrete Entwicklungen machen Kohl Sorge: „Nach allem, was ich lese und höre“, ätzt er, „kann ich nicht erkennen, dass sich die Welt in den vergangenen Jahren so sehr verändert hat, dass die Wehrpflicht nicht mehr möglich sein soll – wenn man denn will!“ Ein „Kernthema“ der Union sei das, das er auch in den Gesprächen über die Einheit immer aus Überzeugung vertreten habe. Die Partei müsse darüber gründlich diskutieren – „und ich sage: gründlich!“

Nicht minder deutlich fällt die Mahnung aus, sich um Integration zu kümmern, um Bildung, um die Kinder. „Unsere Gesellschaft ist dabei, sich zu spalten“, warnt Kohl und zählt auf: Arme und Reiche, Gebildete und Ungebildete, Deutsche und Nichtdeutsche, Arbeitslose und Arbeitende, und so weiter. Der gesellschaftliche Konsens, für den die CDU nach dem Krieg immer gestanden habe, dürfe nicht verloren gehen. „Die Zeit ist reif, dass wir eine Diskussion führen über unsere Identität!“ Denn wenn sich die CDU ihrer Werte und Inhalte selbst bewusst sei, dann könne sie auch selbstbewusst und über den Tag hinaus Politik gestalten. „Die CDU“, zitiert Kohl einen der Parteigründer, Karl Arnold, „ist durch nichts und niemanden umzubringen – es sei denn durch sich selbst.“

Der Applaus klingt jetzt doch ein wenig zaghaft. Vielleicht hat Kohl das gespürt, er fügt noch ein paar Sätze übers Manuskript hinaus an. In ihren 60 Jahren habe die CDU so viel Auf und Ab erlebt – „Wir werden die Zukunft bestimmen!“

Aber da ist noch etwas, was er loswerden muss. Ein Wort an „unseren Freund Wolfgang Schäuble“. „Schäuble hat mehr Einsatz gebracht als viele andere“, sagt Kohl. Mit „großer Herzlichkeit“ von hier ein Gruß ins Krankenhaus. Seit der Spendenaffäre haben die beiden kein Wort mehr miteinander geredet. Es ist ein Angebot, fast eine Bitte um Versöhnung.

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