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Politik: Chancen reichen nicht

Wolfgang Thierse hat „Akzente“ für ein neues SPD-Programm gesetzt – seine Politik soll mehr verteilen als nur Möglichkeiten

Die SPD-interne Debatte um ein neues Parteiprogramm hat plötzlich Dynamik bekommen. Nach den jungen haben nun auch die linken Sozialdemokraten ihre „Akzente eines neuen Parteiprogramms vorgelegt“, in dem sie unter anderem der Forderung von SPD-Generalsekretär Olaf Scholz entgegentreten, den „Demokratischen Sozialismus“ aus dem Parteiprogramm zu drängen. Der Begriff müsse „prägender Bestandteil“ eines neuen Grundsatzprogramms bleiben. „Demokratischer Sozialismus ist nicht nur ein Schlüsselbegriff unserer Geschichte, sondern er bündelt auch Hoffnungen, Zukunftsvorstellungen und Orientierungen der Sozialdemokratie heute“, heißt es in dem Papier, das neben Parteivize Wolfgang Thierse von weiteren Politikern des linken SPD-Flügels verfasst wurde, darunter Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, Michael Müller und die Vorstandsmitglieder Gernot Erler und Detlev Albers. Sie alle sind zugleich Mitglieder der parteiinternen „Redaktionsgruppe Programmkommission“, die bis zum Frühjahr 2004 einen ersten gemeinsamen Entwurf vorlegen will. Verabschiedet werden soll ein neues SPD-Programm auf einem Sonderparteitag Ende 2004.

Das 18-seitige „Akzente“-Papier, das Thierse am Donnerstag bei einer Sitzung der Kommission erstmals vorstellte, sei der Versuch, verschiedene Stränge der Debatte zusammenzuführen, sagte der Bundestagspräsident dem Tagesspiegel. Im Zentrum des Papiers steht der Begriff der „öffentlichen Güter“. Einen „fruchtbaren Ansatz“ für die Formulierung sozialdemokratischer Politik biete die Frage nach „öffentlichen Gütern“ wie Sicherheit, Nachhaltigkeit oder finanzielle Stabilität, die der Staat gewährleisten müsse. Soziale Gerechtigkeit sei ebenso ein allgemeines öffentliches Gut, „das durch eine ganze Infrastruktur von konkreten öffentlichen Gütern“ gewährleistet werden müsse. Öffentliche kulturelle und soziale Güter hätten eine hohe Bedeutung für die Demokratie. Eine humane Gesellschaft sei nur möglich, wenn diese ausreichend und in großer Vielfalt bereitgestellt würden“, heißt es in dem Papier.

Den Fragen der sozialen Gerechtigkeit solle sich die SPD besonders unter dem Gesichtspunkt der „Beteiligungsgerechtigkeit“ stellen, schreiben die Autoren. Dies setze eine „gerechte Verteilung“ des gemeinsam erwirtschafteten gesellschaftlichen Reichtums voraus. „Es ist unser Ziel, dass nicht Personen oder Personengruppen auf Grund höherer Einkommen oder Vermögen außerordentliche Einflussmöglichkeiten aufbauen und dadurch die Beteiligungsmöglichkeiten anderer beschädigen können“, heißt es. Es wird davor gewarnt, den Bürgern „lediglich gleiche Startchancen“ zu gewähren, „auf deren Grundlage alle Menschen ihres eigenen Glückes Schmied und deshalb von wechselseitigen Verpflichtungen befreit sind“.

Am Donnerstag einigte sich die Redaktionsgruppe auf ein Klausurwochenende am 12. und 13. Dezember. Thierse forderte seine Parteikollegen zu einer fairen Diskussion auf. „Ich glaube, das wird uns nun auch gelingen“, sagte er. Zuvor hatte es in der SPD-Spitze Unmut über die Jung-Sozialdemokraten um den Ex-Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel gegeben. Deren Positionspapier „Die Neue SPD: Menschen stärken, Wege öffnen“ war als Konkurrenz zur Arbeit der Redaktionsgruppe empfunden worden. Gabriel lobte Thierses Konzept: „Der Staat als Bewahrer der globalen öffentlichen Güter – das ist ein kluger Ansatz“, sagte er dem Tagesspiegel am Donnerstag.

Markus Feldenkirchen

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