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Politik: Chatami in Deutschland: Warum sich zahlreiche Abgeordnete gegen den Staatsbesuch gewandt haben, ohne die Hintergründe zu kennen

Als gestandene Linke hat Annelie Buntenbach schon viel unterschrieben in ihrem politischen Leben. Unterschriftenlisten sind ein altes Mittel von Minderheiten, ihre Forderungen mehrheitsfähig zu machen - oder wenigstens als mehrheitsfähig darzustellen.

Als gestandene Linke hat Annelie Buntenbach schon viel unterschrieben in ihrem politischen Leben. Unterschriftenlisten sind ein altes Mittel von Minderheiten, ihre Forderungen mehrheitsfähig zu machen - oder wenigstens als mehrheitsfähig darzustellen. Aber diesmal bereut die Bundestagsabgeordnete der Grünen, ihren Namen unter einen Aufruf gesetzt zu haben. "Wäre erkennbar gewesen, wer das betreibt", sagt sie dem Tagesspiegel, "hätte ich nicht unterzeichnet." Die Rede ist von der Resolution gegen den Besuch des iranischen Staatsoberhauptes Mohammed Chatami, für die seit einigen Wochen von Aktivisten des iranischen Exilwiderstandes geworben wird.

Urheber ist der auch unter Oppositionellen nicht unumstrittene "Widerstandsrat", der in den Augen seiner Kritiker und des Verfassungsschutzes ein Instrument der militanten Volksmujahedin darstellt. Mit gewaltsamem Umsturz aber will die linke Grüne nichts zu tun haben, gehörte sie doch zu den führenden Vertretern des unterlegenen pazifistischen Flügels der Grünen im Streit um die deutsche Beteiligung am Krieg im Kosovo. Seit von dem lange verschobenen Besuch die Rede ist, haben die Widerstandsrätler keine Mühe gescheut, nach eigenen Angaben insgesamt 42 000 Unterschriften zu sammeln.

Viele Gespräche mit deutschen Bekannten haben sie geführt und Infotische organisiert - unter anderem vor den Landtagen und vor dem Bundestag in Berlin. Ausbeute, wiederum ihren Angaben zufolge: Die Namenszüge von 300 Landtags- und 175 Bundestagsabgeordneten.

So mancher Parlamentarier zückte den Kuli, weil er die beredten Menschen auf seinem Weg zwischen Brandenburger Tor und Reichtstag so sympathisch und ihre Analyse ziemlich treffend fand, dass im Iran ziemlich systematisch die Menschenrechte malträtiert werden. So mancher Mitarbeiter solcher Abgeordneten merkt - vom Tagesspiegel befragt - allerdings an, dass er seinem Chef nicht zur Unterschrift geraten hätte, wäre das Ansinnen über seinen Schreibtisch gegangen. In der SPD-Fraktion bekamen die Unterzeichner gar vom Vorsitzenden Peter Struck persönlich einen Rüffel und von seinem linken Stellevertreter Gernot Erler die Begründung, dass der Besuch der Aufwertung der Reformkräfte, nicht der reaktionären Mullahs diene.

"Zum falschen Zeitpunkt"

Joachim Tappe ficht derlei Kritik allerdings nicht an. Er hat auch nicht an irgendeinem Infostand unterschrieben, sondern wohl überlegt nach Gesprächen mit iranischen Exil-Intellektuellen, die der ehemalige Gesamtschulrektor aus Kassel kennt. Seit 20 Jahren beschäftigt sich der 58-Jährige mit dem Iran und organisiert eine informelle Gruppe von Abgeordneten, die ebenfalls am Thema interessiert sind. Für den Sozialdemokraten steht fest: "Der Besuch findet zum falschen Zeitpunkt statt. Chatami ist nicht die Lösung, sondern Teil des Problems."

Deshalb hat er sich auch an einer Veranstaltung des Widerstandsrates beteiligt, an der unter anderem CDU-Kollege Arnold Vaatz teilnahm. Der hätte am liebsten auf der Kundgebung am Montag vor dem Brandenburger Tor gesprochen. Weil er keine Zeit hatte, empfahl er nur seinen Fraktionskollegen die Teilnahme. Ein erfolgloser Aufruf. Auch Joachim Tappe war anderweitig beschäftigt, übermittelte jedoch den Demonstranten ein handschriftliches Grußwort. Die haben den Ertrag ihrer politischen Schriftprobensammlung in Kopie dem Kanzleramt zukommen lassen. Ohne Erfolg, wie der Empfang des Präsidenten durch seine deutschen Gastgeber zeigt. Dass man den Besuch auch jenseits des Streits um den iranischen Widerstand kritisieren kann, zeigt ein Interview des Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Berlin mit der Deutschen Welle.

Andreas Nachama bezweifelt, dass man den Reformkräften einen Gefallen tue, indem man das "Regime als Ganzes jetzt schon salonfähig" mache. Für den streitbaren Juden ist der Staatsbesuch daher schlicht "Quatsch".

Thomas Kröter

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