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Politik: Chefanklägerin des UN-Kriegsverbrechertribunals war in ihrer Amtszeit eine unbequeme, aber erfolgreiche Streiterin für Gerechtigkeit

Ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn war Louise Arbour immer zueigen. "Ich will nicht naiv wirken, aber ich glaube an das Gesetz", reagierte die Chefanklägerin des UN-Tribunals im Mai auf die Kritik, sie torpediere mit ihrer Anklage gegen den serbischen Premier Slobodan Milosevic die Friedensverhandlungen im Kosovo-Konflikt.

Ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn war Louise Arbour immer zueigen. "Ich will nicht naiv wirken, aber ich glaube an das Gesetz", reagierte die Chefanklägerin des UN-Tribunals im Mai auf die Kritik, sie torpediere mit ihrer Anklage gegen den serbischen Premier Slobodan Milosevic die Friedensverhandlungen im Kosovo-Konflikt.

Politische Rücksicht hat die zierliche Juristin nie genommen. Beharrlich pochte die unbequeme Streiterin für Gerechtigkeit darauf, angeklagte Kriegsverbrecher auch festzunehmen: Staaten, die in ihren Augen bei der Umsetzung ihrer Haftbefehle zu nachlässig waren, stellte die einstige Klosterschülerin notfalls auch öffentlich an den Pranger. Auch durch zahlreiche Todesdrohungen ließ sich die Kanadierin nicht beirren: Hartnäckig forderte sie von den betroffenen Staaten Ermittlungsunterlagen und den Zugang zu den Schauplätzen begangener Kriegsverbrechen ein. Doch nach drei Jahren im Dienst des UN-Tribunals erfüllt sich die scheinbar nimmermüde Arbour nun den Wunsch nach einem "anderen Lebenstempo": Im September tritt die 52jährige ihren neuen Job als Richterin am Obersten Gerichtshof Kanadas an.

Obwohl sie ihrer Nachfolgerin, der Schweizerin Carla del Ponte, die Amtsgeschäfte ein Jahr vor Ablauf ihrer Amtsperiode übergibt, kann sich Arbour zufrieden aus Den Haag verabschieden. Seit sie im Oktober 1996 das Amt der Chefanklägerin des UN-Kriegsverbrechertribunals von dem Südafrikaner Richard Goldstone übernahm, hat der einst belächelte Gerichtshof eine erstaunliche Wandlung erfahren. Die Zahl der verhafteten Angeklagten ist von sieben auf 27 gestiegen, das Budget des Tribunals hat sich verdoppelt. Auch hochrangige Drahtzieher der im früheren Jugoslawien begangenen Gräueltaten sitzen inzwischen in den Zellen des UN-Gefängnis ein: Mit Milosovic hatte Arbour gar erstmals ein amtierendes Staatsoberhaupt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. "Kriegsverbrecher können sich nicht mehr sicher fühlen", freut sich die 52jährige über die erzielten Fortschritte.

Als Arbour den Job der Chefanklägerin von Goldstone übernahm, waren die Ausgangsbedingungen alles andere als gut. Zwar war es dem Südafrikaner in den schwierigen Anfangsjahren des Tribunals gelungen, die in Bosnien begangenen Verbrechen mit Anklagen und Zeugenanhörungen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen. Doch die Zellen im Scheveninger UN-Gefängnis blieben lange leer.

Mit einer Dreifachstrategie sorgte Arbour jedoch dafür, dass der vermeintliche Tribunal-Papiertiger endlich Zähne erhielt. Neue Anklagen wurden nur noch geheim erlassen, um die Angeklagten besser überraschen zu können. Goldstone hatte möglichst viele Anklagen erhoben, um das Tribunal nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Arbour konzentrierte ihre Ermittlungen auf die Hauptverantwortlichen für die begangenen Kriegsverbrechen. Um das Gericht von untergeordneten Fällen zu entlasten, setzte die Kanadierin 19 der 75 von Goldstone erlassenen Anklagen wieder aus.

Entscheidend war jedoch, dass die unermüdliche Arbour die Nato-Partner endlich zu einer aktiveren Unterstützung des Tribunals bewegen konnte: Im Sommer 1997 nahmen SFOR-Truppen erstmals einen angeklagten Kriegsverbrecher fest. "Das Tribunal hatte zuvor kaum eine abschreckende Wirkung, weil ihm ein wichtiges Werkzeug fehlte: die Verhaftung", so Arbour. Inzwischen sei die Verhaftung eines Angeklagten fast "Routine" geworden: "Früher sprangen wir vor Aufregung an die Decke. Nun telefoniere ich nur, um zu klären, wer den Angeklagten abholt." Als "Meilenstein" ihrer Amtszeit wertet sie das Urteil des Internationalen Gerichtshof, der Kroatien zur Kooperation mit dem Tribunal verdonnerte: "Erst waren wir abhängig vom guten Willen der betroffenen Staaten. Nun können wir die Zusammenarbeit erzwingen."

Als den "attraktivsten und herausfordernsten Job für einen Juristen" hatte Arbour ihr Amt bei ihrem Dienstantritt bezeichnet. Drei Jahre lang pendelte sie hektisch zwischen Den Haag, den Schauplätzen der Kriegsgräuel und den internationalen Schaltstellen der Macht hin und her. Doch auch das Energiebündel Arbour musste der hohen Belastung Tribut zollen. Das aufreibende Amt kostete viel Kraft. Sehnsucht nach ihren beiden Kindern, den Freunden und die Heimat erleichterten ihr die Entscheidung, schon vor dem eigentlichen Ablauf ihrer Amtszeit die Berufung an den Obersten Gerichtshof Kanadas anzunehmen. Trotz ihres frühzeitigen Abschieds fällt ihr Fazit positiv aus: Das UN-Tribunal habe in den fünf vergangenen Jahren mehr für die Errichtung eines ständigen internationalen Strafgerichtshof getan als alle UN-Kongresse in den 50 Jahren zuvor.

Thomas Roser

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