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In Syrien beschuldigen sich Regierung und Opposition gegenseitig, Chemiewaffen einzusetzen.

© dpa

Chemiewaffen im syrischen Bürgerkrieg: Regierung und Opposition beschuldigen sich gegenseitig

Die Regierung und die Rebellen in Syrien beschuldigen sich gegenseitig, Chemiewaffen einzusetzen. Die Opposition wählte sich derweil einen Übergangspremier.

Die Kriegsparteien in Syrien haben sich gegenseitig vorgeworfen, Chemiewaffen einzusetzen. Informationsminister Omran al Soabi sprach von einer gefährlichen Eskalation durch die Aufständischen. Ein Rebellen-Sprecher machte hingegen regierungstreue Kräfte für den Angriff auf die bei Aleppo gelegene Stadt Chan al Assal verantwortlich. Eine Bestätigung für einen Chemiewaffen-Einsatz von unabhängiger Stelle gab es nicht. Bei dem Angriff wurden nach Angaben einer oppositionsnahen Beobachtungsstelle 26 Menschen getötet. Soabi erklärte, die Aufständischen hätten vom Bezirk Nairab in Aleppo aus eine mit chemischen Kampfstoffen bestückte Rakete abgefeuert. Die syrischen Streitkräfte würden niemals international verbotene Waffen einsetzen, selbst wenn sie über solche verfügten, wurde er im Staatsfernsehen zitiert. Die Rebellen machten ihrerseits Regierungskräfte verantwortlich: „Wir glauben, dass sie eine Scud(-Rakete) mit chemischen Stoffen abgefeuert haben“, sagte ein hochrangiger Aufständischer in Aleppo. „Die Rebellen stecken nicht hinter dem Angriff.“ Die britische Regierung kündigte ernste Konsequenzen an, sollte der Einsatz von Chemiewaffen bestätigt werden. Die Toten könnten nach einem Bericht des Senders Al Dschasira auf einen Angriff mit Pestiziden zurückzuführen sein. „Einige Opfer sprachen von einem stechenden Geruch. Chemiewaffen sind normalerweise geruchlos“, sagte der Mediziner Siad Haddad dem Sender in Aleppo. Nach Haddads Angaben sind Betroffene nach akuten Atembeschwerden gestorben, darunter Armeesoldaten und regierungstreue Milizen. Ein Einsatz von Nervengas hätte nach Haddads Einschätzung deutlich mehr Menschen getötet.

Derweil wählte Syriens Opposition den 50-jährigen Ghassan Hitto zum Übergangspremier. Als er am Dienstag am Ende einer zweitägigen Konferenz der Opposition in Istanbul ankündigte, als Interims-Premier in den von den Rebellen kontrollierten Gebieten zu arbeiten und dort „die Keimzelle eines neuen Syrien“ zu schaffen, bekam er viel Applaus. Doch die Begeisterung täuschte. Viele im Saal sehen Hitto sehr kritisch. Er hat einen großen Teil seines Lebens in den USA verbracht, wo er Mathematik und Computerwissenschaften studierte und in Hightech-Firmen arbeitete. Erst im vorigen Jahr war er in die Türkei gekommen, um für die Versorgung syrischer Flüchtlinge zu arbeiten. In Syrien selbst ist er weitgehend unbekannt – und er hat einen US-Pass. „Damit hatten einige hier Probleme“, sagte ein prominentes Mitglied des Oppositions-Dachverbandes SNC in Istanbul. Probleme hatten Skeptiker auch damit, dass Hitto kaum über Erfahrung in der Verwaltung und im Kriegshandwerk verfügt. Trotzdem soll er dafür sorgen, dass Schulen, Krankenhäuser und die Wasserversorgung funktioniert, dass bewaffnete Banden in die Schranken gewiesen werden, dass internationale Hilfe ins Land kommt und die vielen verschiedenen Rebellen- Milizen diszipliniert werden. „Er hat eine ganze Menge zu tun“, sagte ein Delegierter, der mit seinen Zweifeln an Hittos Fähigkeiten nicht hinter dem Berg hielt. Einige Teilnehmer der Versammlung hatten vergeblich versucht, die Abstimmung zu verschieben. Die mächtige Muslimbruderschaft unterstützte Hitto, der als frommer Muslim gilt, bei der Abstimmung. Zwei vorherige Versuche des SNC, einen Übergangspremier zu bestimmen, waren gescheitert. Hitto versprach, alles dafür zu tun, um die Lebensumstände der Menschen in den „befreiten Gebieten“ Syriens schnell zu verbessern. An die internationale Gemeinschaft appellierte er, sie solle die Aufständischen unterstützen. Außerdem reklamierte er die Sitze Syriens in den UN und der Arabischen Liga für seine Übergangsregierung. Jeder, der den syrischen Präsidenten jetzt noch unterstütze, stehe „auf der falschen Seite der Geschichte“. Der SNC-Vertreter in den Golf-Staaten, Adib Shishakly, warf aber die Frage auf, wie eine zivile Regierung dazu komme, den Kämpfern in Syrien Befehle zu erteilen. Die Führung der Rebellenarmee FSA sicherte der Übergangsregierung zwar Loyalität zu, doch ist unklar, ob das die vielen Milizen genauso sehen.

Widersprüche zwischen al Khatib und seinem neuen Übergangspremier wurden am Dienstag nicht aufgelöst. Al Khatib fordert Verhandlungen zwischen der Opposition und dem Regime, doch Hitto lehnte alle Gespräche mit der Führung in Damaskus ab. Der Sieg sei nahe, sagte er vor den Delegierten. Den Rest seines Teams will er in den kommenden Wochen benennen. Am Rande der Konferenz hieß es, die anderen Posten in der Übergangsregierung sollten mit Aktivisten aus Syrien selbst besetzt werden, nicht mit Exil-Syrern.
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ist bereit, eine größere Anzahl von Flüchtlingen aus Syrien nach Deutschland zu holen. Die SPD begrüßt das, lehnt aber Bestrebungen ab, christliche Flüchtlinge zu bevorzugen. Wie der Evangelische Pressedienst (epd) aus Kreisen des Innenministeriums erfuhr, will Friedrich sich im Laufe der Woche unter anderem bei der EU-Kommissarin Cecilia Malmström für ein Aufnahmeprogramm einsetzen. Im Vorgriff auf eine europäische Lösung wolle die Bundesrepublik aber bereits verstärkt Flüchtlinge aufnehmen, hieß es. (mit rtr/dpa/epd)

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