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China: Die Abgeordnete Hu hat viel zu tun

Hu Xiaoyan ist als Delegierte der Wanderarbeiter im Pekinger Volkskongress. Aber ihr Einfluss der geht gegen Null.

„Xiaoyan, komm her“, ruft die Pressekoordinatorin und zerstört mit ihrem Komisston sogleich den schönen Schein, den aufzubauen eigentlich ihre Aufgabe sein sollte: den Schein, Hu Xiaoyan hätte etwas zu sagen. Schließlich ist die junge Frau in dem grauen Kostüm, die nun dienstbeflissen durch die Hotelhalle herbeieilt, Mitglied im Nationalen Volkskongress, dem chinesischen Parlament, das – zumindest nominell – die Regierung wählt und kontrolliert. Bei der einwöchigen Jahrestagung, die derzeit in Pekings Großer Halle des Volkes stattfindet, gehört Hu zu den meistfotografierten Abgeordneten, denn sie repräsentiert eine der größten chinesischen Bevölkerungsgruppen: die rund 200 Millionen Wanderarbeiter. „Xiaoyan hat sehr viel zu tun“, erklärt die Pressefrau und die Volksvertreterin nickt schüchtern. Sie hat gelernt, erst zu reden, wenn sie gefragt wird.

Die 35-Jährige ist in Peking zum zweiten Mal dabei. Vor einem Jahr hatte die Parteispitze die Vorarbeiterin einer Keramikfabrik im südchinesischen Foshan und zwei weitere Wanderarbeiter in das dreitausendköpfige Kulissenparlament aufgenommen. Damit wollte die Regierung zeigen, dass sie auch die Schwachen hört. Denn der Umgang mit den Migrantenheeren, die in den Städten auf Baustellen oder an Fließbändern Geld verdienen und damit meist ihre Familien im armen Hinterland ernähren, gehört zu Chinas großen ungelösten Fragen. Weil sie oft ohne Verträge oder soziale Absicherung arbeiten, ist das Konfliktpotential hoch. Und die Wirtschaftskrise dürfte nach offiziellen Schätzungen jeden fünften Wanderarbeiter um seinen Job bringen.

Das Migrantentrio im Volkskongress passt deshalb gut in die staatliche Propaganda, und im Gespräch wird schnell klar, welche Rolle der Apparat Hu Xiaoyan zugedacht hat: Sie soll die Interessen der Regierung gegenüber dem Volk vertreten, nicht umgekehrt. „Die Wirtschaftskrise ist für alle Menschen eine große Belastung, aber die Behörden sind gut darauf vorbereitet, die Probleme zu bewältigen“, sagt sie in bestem Technokratenchinesisch. „Gerade für uns Wanderarbeiter kann die Krise eine Chance sein, wenn wir die Zeit nutzen, um uns weiterzubilden.“ Dabei dürfte sie aus eigener Erfahrung wissen, dass es für Migranten nur dort Entwicklungsmöglichkeiten gibt, wo sie Arbeit finden. Weil sie in ihrer Heimatprovinz Sichuan mit ihrem Mittelschulabschluss keine ordentliche Anstellung fand, zog sie vor elf Jahren mit ihrem Mann in die Boomprovinz Guangdong; ihre Zwillingstöchter wachsen bei ihren Schwiegereltern auf. In ihrer Fabrik stieg Hu Schritt für Schritt zur Schichtleiterin auf und verdient heute monatlich 2600 Yuan (300 Euro). Vor einigen Jahren wurde sie Mitglied im staatlichen Gewerkschaftsbund, der sie 2008 als Parlamentarierin auswählte.

Eine Ehre, die sich schnell als Belastung entpuppte. Zwar nehmen die Gewerkschaftskader Hu die Formulierung der Gesetzesvorschläge, die man in Peking von ihr erwartet, weitgehend ab. Doch den Kontakt mit dem Volk muss Hu selbst pflegen. „Ich bekomme mehr Zuschriften, als ich zählen kann“, erzählt sie. „Jeden Tag verbringe ich nach der Arbeit drei bis vier Stunden mit Antworten, aber ich komme nicht hinterher.“ In Wanderarbeiterkreisen sorgte das für Unmut. Im Internet häufen sich Beschwerden, die Abgeordnete Hu habe ihr Handy stets abgeschaltet und sei kaum in ihrem Chatforum anzutreffen. Für praktische Hilfe verweise sie stets nur an die offiziellen Stellen, denen die meisten Chinesen kaum Vertrauen entgegenbringen. Der Druck macht Hu zu schaffen. „Die Menschen haben hohe Erwartungen“, sagt sie, „aber ich kann ja nichts für sie tun außer mit ihnen wie eine Freundin zu reden und sie zu trösten.“ Macht, sich für Einzelfälle einzusetzen, hat sie schließlich keine.

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