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Xinjiang

© dpa

China: Fremdheit statt Einheit

In China gehören 100 Millionen Menschen einer Minderheit an – ihre Lebensumstände sind oft schwierig.

Unmittelbar an der nördlichen vierten Ringstraße Pekings liegt das Disneyland der chinesischen Minderheiten. Min Zu Yuan, Minderheitenpark, nennen die Chinesen ein 1992 erbautes Gelände in unmittelbarer Nähe des Vogelneststadions. Hier drängeln sich zwischen künstlichen Bergen und Seen die unterschiedlichsten Baustile auf wenigen Quadratmetern. Alle 55 Minderheiten Chinas sind mit einem kulturtypischen Bauwerk vertreten. Täglich singen und tanzen Parkmitarbeiter in folkloristischen Kostümen für die Touristen. Der Park der Minderheiten, so heißt es auf seiner Internetseite, solle die ethnische Einheit Chinas erhöhen. Doch die ethnische Einheit Chinas ist auch in fast 60 Jahren des Bestehens der Volksrepublik China noch nicht weit fortgeschritten, das haben die jüngsten Unruhen in Urumqi in der nordwestchinesischen Provinz Xinjiang gezeigt.

Bei Ausschreitungen zwischen der uigurischen Minderheit und der han-chinesischen Mehrheit wurden nach offiziellen Angaben 184 Menschen getötet. Die chinesischen Behörden veröffentlichten erstmals eine ethnisch getrennte Opferstatistik. Demnach sollen unter den Toten 137 Han-Chinesen, 46 Uiguren und ein Hui-Muslim sein. Exil-Uiguren berichten hingegen von bis zu 800 Toten. In Urumqi und Kashgar, Xinjiangs größten Städten, ist die Lage weiter angespannt. Am 14. März 2008 hatte es bereits in Tibet tödliche Auseinandersetzungen zwischen Tibetern und Han-Chinesen gegeben.

Die zweiten Unruhen innerhalb von 18 Monaten zeugen vom schwierigen Verhältnis der 56 ethnischen Gruppen in China. Im Reich der Mitte stellen die Han-Chinesen mit 92 Prozent die Bevölkerungsmehrheit. Neben 55 anerkannten Minderheiten gibt es noch bis zu 20 nicht offiziell anerkannte. Insgesamt gehören rund 100 Millionen Menschen einer Minderheit in China an. Vor allem die Uiguren und Tibeter wehren sich gegen die kulturelle Hegemonie der Han-Chinesen. Doch auch die rund fünf Millionen Mongolen, die in der Mehrzahl in der Inneren Mongolei leben, stellen für China ein mögliches Unruhepotenzial dar. Obwohl es dort vergleichsweise ruhig ist, haben die Behörden in der Inneren Mongolei schon mal Rock-Konzerte abgesagt und Chat-Räume im Internet gesperrt.

Geht es nach der chinesischen Regierung, so gibt es eine funktionierende Minderheitenpolitik in China. Sie drückt sich durch gesetzliche Verankerungen wie das Recht auf die Anwendung von Schrift und Sprache oder eine unabhängige Entwicklung der Wissenschaft, Kultur und Bildung aus. Auch sind Minderheiten von der Ein-Kind-Politik ausgenommen und dürfen zwei oder mehr Nachkommen haben. Tibet und Xinjiang gelten neben Guangxi, Ningxia und der Inneren Mongolei als autonome Gebiete, doch eine politische Unabhängigkeit ist kaum vorhanden. Mit großer Skepsis und Argwohn betrachtet Peking diese politisch sensiblen und strategisch wichtigen Gebiete.

Tatsächlich sind die Lebensumstände vieler Minderheiten in China schwierig. So geben auch die Staatsmedien ein gravierendes Wirtschaftsgefälle zu. Die Hälfte der ärmsten Bewohner Chinas gehören einer Minderheit an. Die meisten von ihnen wohnen nicht im reichen Osten oder Südosten Chinas, sondern in den wirtschaftlich schwächer entwickelten Regionen im Westen und Norden. Auch beschweren sich die muslimischen Uiguren und die buddhistischen Tibeter immer wieder über die Einschränkung ihrer Religionsausübung. „Es ist kein einfach gestricktes Problem, sondern ein komplexes, das von kulturellen, historischen und religiösen Faktoren gespeist wird“, sagt der Historiker Chen Qianping von der Nanjing-Universität.

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