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China: Zhaos späte Rache

Der ehemalige Vorsitzender Zhao Ziyang bringt Licht in eines ihrer dunkelsten Kapitel Chinas: Der in Ungnade gefallene Ziyang, der 1989 wegen seines Widerstands gegen die militärische Niederschlagung der Pekinger Studentendemonstrationen gestürzt wurde, hat der Nachwelt seine Memoiren über das Tiananmen-Massaker hinterlassen.

Chinas Kommunistische Partei ist undurchsichtig, und sie ist stolz darauf. Schließlich hängt ihr Machterhalt maßgeblich davon ab, Schein und Sein fein säuberlich zu trennen. Umso verheerender ist es für die Partei, dass nun ausgerechnet ein ehemaliger Vorsitzender Licht in eines ihrer dunkelsten Kapitel bringt: Zhao Ziyang, der 1989 wegen seines Widerstands gegen die militärische Niederschlagung der Pekinger Studentendemonstrationen gestürzt wurde und bis zu seinem Tod im Jahr 2005 unter Hausarrest stand, hat der Nachwelt einen Bericht über die Machenschaften hinterlassen, die zum Massaker des 4. Juni führten. Drei Wochen vor dem 20. Jahrestag der Tragödie werden Zhaos auf Kassette gesprochene und außer Landes geschmuggelte Erinnerungen jetzt veröffentlicht. Allerdings nicht in der Volksrepublik, wo Zhaos Name bis heute totgeschwiegen wird.

Zhaos Report enthält eine bittere Abrechnung mit Chinas Reformpatriarchen Deng Xiaoping und dem damaligen Premierminister Li Peng, denen er vorwirft, ohne eine formelle Abstimmung im Politbüro den Schießbefehl erteilt zu haben. „Das Hauptproblem bei der ganzen Angelegenheit war Deng Xiaoping“, urteilt Zhao. „Deng zeichnete sich unter den Parteiältesten immer dadurch aus, dass er die Nützlichkeit der Diktatur betonte. Wenn er von Stabilität sprach, sprach er automatisch auch von diktatorischen Mitteln.“

Zhao hatte als Parteichef einen Dialog mit den Studenten führen und diesen eine gesichtswahrende Rückkehr an ihre Universitäten ermöglichen wollen. Unter anderem sollte eine offizielle Stellungnahme verkünden, die Partei befürworte das „patriotische Engagement“ der Demonstranten. Premier Li verweigerte sich diesem Zugeständnis und nutzte eine Nordkoreareise Zhaos, um Deng mit erfundenen Umsturzszenarien zu harten Maßnahmen zu bewegen. Als Deng die Studentenbewegung intern als „Aufruhr gegen die Partei und gegen den Sozialismus“ bezeichnete, ließ Li das veröffentlichen und zerstörte damit jede Chance auf eine friedliche Einigung. Als Zhao in einem verzweifelten Versuch, eine Tragödie zu vermeiden, zu den Studenten ging, habe Li ihn zunächst begleiten wollen, sei aber „aus Angst geflohen, sobald wir auf dem Platz ankamen“. Hintergrund für die harte Haltung gegenüber den Studenten war ein parteiinterner Disput darüber, inwiefern den wirtschaftlichen Reformen auch politische folgen sollten. Zhao forderte damals, „mehr Kanäle“ zwischen Volk und Führung einzurichten. Auf seinen Tonbändern geht er noch einen Schritt weiter und fordert für China eine Demokratie nach westlichem Vorbild.

Zhaos ehemaliger Sekretär und Redenschreiber Bao Tong, der 1989 mit seinem Chef in Ungnade fiel und heute in Peking unter polizeilicher Bewachung lebt, glaubt, dass die „geheimen Aufzeichnungen“ Chinas Politikern zu denken geben würden. „Ich denke, einige hochrangige Beamte werde es lesen“, erklärte Bao, der selbst an der Aufbereitung von Zhaos Tonbändern mitarbeitete. Wenn die Partei langfristig überleben wolle, müsse sie die Gesetze respektieren lernen, „sonst macht sie die gleichen Fehler wie am 4. Juni noch einmal“. Dafür sorgen könnte ein Mann, der Zhao vor zwanzig Jahren auf den Tiananmen-Platz begleitete: Chinas heutiger Premier Wen Jiabao. Doch der macht bisher keine Anstalten, sich zu seinem ehemaligen Mentor zu bekennen.

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