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Politik: Chirac in tiefer Krise

Präsident Jacques Chirac ist bei den Franzosen abgeblitzt - das schallende "Non" der Bürger gegen die EU-Verfassung ist auch ein Misstrauensvotum gegen den Staatschef. (29.05.2005, 22:53 Uhr)

Paris - Bis zuletzt hat der Präsident beschwörend für das Ja geworben. Der starke soziale Unmut im Land - neben den Zukunftsängsten in einer globalisierten Welt - wog aber letztlich schwerer als die Aufbauarbeit der Nationen.

Nach monatelangen und leidenschaftlich geführten Debatten für und gegen das EU-Vertragswerk stürzt damit ausgerechnet ein Gründer- und Kernland der europäischen Aufbauarbeit die EU in eine Krise und lässt sich damit in die Ecke der Nein-Sager abdrängen. Dem Land blüht nun innenpolitisch eine turbulente Zeit mit einem unsicherem Ausgang.

Man nehme eine gute Portion Angst vor der Globalisierung und der von den meisten abgelehnte mögliche EU-Beitritt der Türkei. Dazu kommen dann auch die als zu wirtschaftsliberal und damit als bitter empfundene Ausrichtung der EU und Würze der große Frust über die Sozialreformen der Regierung von Jean-Pierre Raffarin. Und fertig ist das vor allem von linken Wählern zubereitete massive «Nein». Es wird Europa und auch Jacques Chirac äußerst schwer im Magen liegen. Dass es diese Mixtur in sich hat, das dürfte Premierminister Raffarin als erster deutlich zu spüren bekommen - seine Tage gelten als gezählt.

Es war ganz überwiegend eine außerparlamentarische Opposition, die das Vertragswerk zu Fall gebracht hat. Der «Nouvel Observateur» gab ihr diesen Steckbrief: In dem Gesicht des Ex-Premierministers und sozialistischen Abweichlers Laurent Fabius sprießt der Schnauzbart des Bauernführers und Globalisierungskritikers José Bové. In die Stirn fallen die blonden Strähnen der Tochter des Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen. Und die nasale Stimme des Souveränisten Philippe de Villiers mache das ganze dann zum Horrorfilm, meinte das Magazin.

«Das Wunder von Maastricht» ist am Sonntag ausgeblieben. Diesem EU-Vertrag hatten die Franzosen im Jahr 1992 schließlich noch ganz knapp zugestimmt. «Wer nicht hören will, der muss fühlen», nach dem Muster quittierten die Franzosen diesmal die Politik von Chirac und Raffarin. Ihr negatives Votum bei den Regional- und Europawahlen 2004 war im Elysée-Palast des Präsidenten ungehört verhallt. Ihre Angst vor Arbeitslosigkeit, Job-Verlagerung und dem Sozialdumping ist auch nicht geschrumpft - im Gegenteil. Und niemand kann sagen, im Land sei dabei nicht genügend über Europa diskutiert worden. Die Franzosen haben sich alles angehört, debattiert und dann entschieden: So nicht. (Von Petra Klingbeil und Hanns-Jochen Kaffsack)

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