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Politik: Chirac wählt die Kontinuität- und den Wandel

Nach dem Debakel des EU-Referendums hatte Jacques Chirac bei der Erneuerung der Regierung die Wahl zwischen Kontinuität und radikalem Kurswechsel. Er wählte beides.

Paris (31.05.2005, 13:43 Uhr) - Mit Premierminister Dominique de Villepin machte der Staatschef einen seiner Getreuesten zur Nummer eins im Kabinett. Ihm stellt er nach inoffiziellen Informationen als Nummer zwei Nicolas Sarkozy zur Seite, der einen radikalen Kurswechsel in der umstrittenen Sozial- und Wirtschaftspolitik fordert. Sowohl Villepin als auch Sarkozy haben Ambitionen, Chirac 2007 als Präsident nachzufolgen. Der Konflikt in der Regierung scheint damit vorprogrammiert.

Sarkozy ist der Mann der Partei. Die von Wahlniederlagen im vergangenen Jahr und vom Nein beim Referendum verunsicherte Fraktion der Neogaullisten wollte den Macher, der als Parteichef die UMP hinter sich scharte und ihr neue Zuversicht vermittelte. Doch Chirac wollte seinen Rivalen für die Präsidentenwahl 2007 unbedingt außen vor halten und setzte auf Villepin. Beide Politiker stehen zueinander wie Hund und Katze. Noch am Abend des Referendums hatte Sarkozy spitze Pfeile auf Villepin abgeschossen, der sich noch nie einer Wahl gestellt habe. In der Fraktion hat Villepin wenig Freunde.

Nun sollen die beiden im Kabinett gemeinsam regieren. Der in Marokko geborene Adelsspross Villepin ist weltgewandt und hat vor allem als Außenminister im Streit mit den USA über den Irak-Krieg eine starke Figur gemacht. Er wäre ein Zeichen an Berlin, dass Frankreich auch in der EU-Krise nach dem Nein zur EU-Verfassung zur deutsch-französischen Achse steht. Nach innen steht Villepin für die Kontinuität der Sozialpolitik, wie sie Chirac versprochen hat.

Sarkozy wieder im Innenministerium: Die unbestätigte Nachricht löste umgehend Beifall bis hin zu den Polizeigewerkschaften aus. Im Innenressort hatte sich der politische Wirbelwind den Spitznamen «Super-Sarko» verdient. Allerdings ist Sarkozy eher den USA als Deutschland zugewandt und sieht das rheinische Modell des Sozialstaats am Ende. Als UMP-Chef forderte Sarkozy radikale Reformen zum Beispiel beim Kündigungsschutz. Seine «liberalen» Ideen zur Beschäftigungs- und Sozialpolitik kann er im neuen, alten Amt als Innenminister nicht direkt umsetzen. Aber als «starker Mann» im Kabinett wird er sich kaum die Meinung verbieten lassen.

Nur 22 Monate haben Villepin und Sarkozy, um die Regierung bis zu den Wahlen aus ihrem Umfragetief zu führen. Dass auch Villepin sich als Kandidat bei der Präsidentenwahl 2007 sieht, lässt ihre Kooperation als Quadratur des Kreises erscheinen. Gemeinsame Nenner finden beide Neogaullisten vor allem in der Industriepolitik. Bei aller Marktliebe ist auch Sarkozy ein großer Advokat von Staatseingriffen zugunsten von Arbeitsplätzen und Unternehmen. Dabei scheut er den Konflikt mit Brüssel und engsten Verbündeten nicht.

Neben der inneren Sicherheit dürften die Arbeitsmarkt- und die Industriepolitik Schwerpunkte des ungleichen Duos an der Regierung bilden. Der Präsident der Nationalversammlung, Jean-Louis Debré, gab die Linie bereits vor: Die neue Regierung müsse auf «öffentliche Investitionen, die Verteidigung der Beschäftigung und die Solidarität» setzen. Auf den EU-Stabilitätspakt und seine Beschränkung des Staatsdefizits dürfe die neue Regierung dabei nicht Rücksicht nehmen, meint der Neogaullist. «Das ist heute kein Problem mehr.» In Brüssel dürfte man das anders sehen. (Von Hans-Hermann Nikolei, dpa)

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