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Christian Lindner.

© Mike Wolff

Christian Lindner im Interview: "Wer mehr hat, der kauft mehr"

"Das Wachstum kann man pflegen, indem man den Menschen mehr Geld in der Tasche lässt", sagt Christian Lindner. Der FDP-Generalsekretär spricht im Interview über Steuersenkungen, Sozialdemokraten und Schäuble.

Von
  • Hans Monath
  • Antje Sirleschtov

Herr Lindner, bei seiner Wahl zum Parteivorsitzenden hat Philipp Rösler vor sechs Wochen versprochen, die FDP werde jetzt „liefern“. Wo liefert sie denn?

Wir sprechen konkret über gerechtere Steuern für die Mittelschicht, also eine Entlastung. Wir arbeiten an einem Ausgleich zwischen wirksamer Sicherheit und dem Respekt vor der Privatsphäre unbescholtener Bürger. Die Koalition wird Zuwanderung gezielt steuern, damit wir in einer alternden Gesellschaft langfristig Fachkräfte haben. Auch am Arbeitsmarkt wird es weitere Reformprojekte geben.

Was macht Sie so sicher, dass die Union Steuersenkungen jetzt zustimmen wird?

Die Partei- und Fraktionsführungen von FDP und CDU/CSU haben in den vergangenen Tagen klargemacht, dass wir die Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen entlasten. Das ist jetzt ein eindeutiger Arbeitsauftrag an Herrn Schäuble. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben den Aufschwung erarbeitet, aber im Gegensatz zu Unternehmen und Staat haben sie davon nichts. Wir wollen aber einen Aufschwung für alle. Deshalb ist Entlastung eine Frage der Gerechtigkeit. Das Wann, Wie und den Umfang werden wir jetzt im Einzelnen konkretisieren. Infrage kommen der Verlauf des Steuertarifs und der Grundfreibetrag, also das Existenzminimum. Rainer Brüderle und Volker Kauder haben auch den Solidaritätszuschlag ins Gespräch gebracht. Zwanzig Jahre nach der deutschen Einheit kann man ja auch über dessen Zukunft diskutieren.

Die meisten Bezieher von kleinen Einkommen bezahlen überhaupt keine Steuern. Wäre es nicht gerechter, die Sozialversicherungsbeiträge zu senken, um diese Bevölkerungsschichten zu entlasten?

Wir arbeiten auch daran. Die Finanzen der Sozialversicherungen werden ja durch den Aufschwung stabiler. Bei den Beiträgen zur Rentenversicherung könnte das genutzt werden.

Warum wollen Sie Gerechtigkeit erst 2013, also im Jahr der Bundestagswahl, herstellen und nicht schon im nächsten Jahr?

Zum einen ist der Vorlauf für eine Gesetzgebung bis zum 1. Januar 2012 zu kurz. Und zum anderen ist es für nachhaltiges Wachstum klüger, Impulse zu setzen, wenn die Konjunktur sich einzutrüben droht. Dann schaffen Entlastungen die Voraussetzungen dafür, dass die Entschuldung besser funktioniert.

Steuern senken, damit der Staatshaushalt saniert werden kann? Das müssen Sie erklären.

Wer mehr hat, der kauft mehr. Das Wachstum kann man pflegen, indem man den Menschen mehr Geld in der Tasche lässt, damit die Binnennachfrage funktioniert. Nur so können die Steuerquellen weiter sprudeln. Ohne eine stabile Volkswirtschaft sinken die Steuereinnahmen und steigt die Arbeitslosigkeit. Das würde die Entschuldung gefährden.

Im Grundgesetz steht die Schuldenbremse, die dafür sorgen soll, dass der Staat nicht weiter uferlos Kredite aufnimmt. Auf dem Weg dahin gibt es gewaltige Löcher im Bundeshaushalt, von der ausbleibenden Kernbrennstoffsteuer und der teurer werdenden Bundeswehrreform bis hin zu den Milliardenkosten für den Euro-Rettungsschirm und die Energiewende. Wo soll das Geld für Steuersenkungen herkommen?

Die Begrenzung der Staatsverschuldung ist ein Anliegen der FDP seit den neunziger Jahren. Die Schuldenbremse halten wir deshalb in jedem Fall strikt ein. Im Vergleich zum Vorjahr hat der Staat aber 18 Milliarden Euro mehr in der Kasse. Diese zusätzlichen Steuereinnahmen dürfen wir nicht für Ausgabenprogramme verpulvern. Fachleute schätzen, dass fast die Hälfte der zusätzlichen Einnahmen auf die kalte Progression zurückgeht. Die Leute bekommen mehr Lohn, haben aber weniger Kaufkraft. Fiskus und Inflation fressen die Gehaltserhöhungen auf. Über eine Entlastung in etwa dieser Größenordnung beraten wir.

Finanzminister Wolfgang Schäuble hat gesagt, die Zusatzeinnahmen werden gebraucht, um den Euro zu retten, die Energiewende zu bezahlen und die Schulden abzubauen.

Wenn wir weiter Disziplin haben, können wir diese Ziele verbinden. Deshalb hat die FDP ja bei den jüngsten Energiebeschlüssen darauf geachtet, dass die Steuer auf Brennstoffe in Kernkraftwerken nicht vollständig abgeschafft wird, wie manche das wollten.

Eine Steuersenkung, die nicht im gleichen Umfang durch Einsparungen finanziert wird, ist eine Steuersenkung auf Pump.

Das ist mir zu mechanisch. Sogar Peer Steinbrück hat anerkannt, dass sich eine Steuersenkung bis zur Hälfte dynamisch selbst finanziert. Gleichzeitig werden wir uns in den nächsten Monaten zum Beispiel die arbeitsmarktpolitischen Programme näher ansehen. Die FDP ist dafür, die Hinzuverdienstgrenzen für Hartz-IV-Empfänger attraktiver zu gestalten und den Wald an Förderprogrammen zu lichten. Auch darin stecken Einsparpotenziale. Wir wollen den Staat effizienter und den Sozialstaat treffsicher machen.

Wie wollen Sie die Bundesländer davon überzeugen, einer Steuersenkung zuzustimmen?

Ich wundere mich darüber, dass das nicht ein eigenes Anliegen der Sozialdemokraten ist. Im Gegenteil sind erste Gesprächsangebote barsch zurückgewiesen worden. Die SPD will die durch die kalte Progression stagnierenden Reallöhne der Mittelschicht also einfach so akzeptieren. Wenn es nach denen geht, sollen in der Konsequenz die Unternehmen und der Staat vom Aufschwung profitieren, aber die Arbeitnehmer nicht. Die SPD verrät da ihre Wähler. Wir finden es zutiefst ungerecht, wenn vor allem die Mittelschicht die Haushaltssanierung bezahlen soll.

Ist die FDP bereit, im Gegenzug zur Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen den Spitzensteuersatz anzuheben, wie es die SPD vorschlägt?

Das ist die alte Umverteilungspolitik. Die obere Hälfte der Zahler der Einkommensteuer bringt heute schon 90 Prozent der Einnahmen auf. Die leisten also ihren Beitrag. Vor allem ginge dieses Geschäft zulasten des Aufschwungs. Klingt also gut für rote Ohren, ist aber schlecht für uns alle.

Ihre Koalitionspartner sprechen von einem Paket, das Schwarz-Gelb im Juli auf den Weg bringen will. Wird die FDP im Gegenzug zu Steuersenkungen Zugeständnisse bei der Vorratsdatenspeicherung und den Anti-Terror-Gesetzen machen?

Es gibt nicht mehr als einen zeitlichen Zusammenhang der Einzelfragen. Aber es wird keine sachfremden Tauschgeschäfte geben. Wir müssen in jedem Themenbereich zu vernünftigen Lösungen kommen.

Wie soll so eine Lösung bei der Datenspeicherung aussehen?

Wir wollen wirksame Sicherheitsbehörden. Wir werden aber nicht zulassen, dass unbescholtene Bürger bespitzelt werden und der Staat massenhaft ihre Daten sammelt. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat Kompromissvorschläge vorgelegt, die Sicherheitsinteressen mit dem Schutz der Grundrechte versöhnen. Die CSU will aber zum Beispiel Schließfächer durchsuchen lassen, ohne dass es eine richterliche Anordnung gibt. Das ist natürlich problematisch.

Zu welchen Kompromissen sind Sie bereit?

Darüber sprechen wir mit unserem Koalitionspartner intern. Das Bundesverfassungsgericht hat die alte anlasslose Vorratsdatenspeicherung der großen Koalition verworfen. Eine Neuauflage der gleichen Regelung kann es daher nicht geben. Die FDP schließt in der Innen- und Rechtspolitik nur Kompromisse, die sachgerecht und mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Eine anlasslose, massenhafte Auswertung von Daten ohne richterliche Kontrolle ist das sicher nicht.

Herr Lindner, die Grünen haben an diesem Samstag über ihre Haltung zum Atomausstieg der schwarz-gelben Koalition entschieden. Ärgert Sie das?

Nein, im Gegenteil. Ich begrüße, dass die grüne Chefetage langsam in der Realität ankommt. Deren Forderung nach einem Ausstieg 2017 war ja von einem anderen Stern. Jetzt haben sie sich unser Datum 2022 zu eigen gemacht. Leider machen die grünen Chefs sich aber nach wie vor einen schlanken Fuß bei den Herausforderungen bis dahin. Ohne schnelleren Bau von Stromtrassen, Stromspeichern und Kraftwerken werden wir die Ziele verfehlen. Da wollen die Grünen aber nicht die Protestler verschrecken, die vor Ort dagegen demonstrieren. Wenn man es mit dem Ausstieg aus der Kernenergie aber ernst meint, dann geht das nur mit dem Mut zur Veränderung.

Das Gespräch führten Hans Monath und Antje Sirleschtov.

ZUR PERSON

DER PRIVATMENSCH

Christian Lindners Heimat ist das katholisch geprägte Bergische Land, nordöstlich von Köln. Geboren wurde er am 7. Januar 1979 in Wuppertal, aufgewachsen ist er in der Kleinstadt Wermelskirchen, zu Hause ist er jetzt in Berlin.

DER GESCHÄFTSMANN

Nach eigener Auskunft wollte Lindner „möglichst früh auf eigenen Beinen stehen“. Als Schüler habe sich mit Werbegrafik etwas hinzuverdient. Daraus ging eine Werbeagentur hervor, die er bis 2004 führte.

DER POLITIKER

Seit 1995 ist Lindner Mitglied der FDP. Seit 1998 Mitglied des Landesvorstandes der FDP in Nordrhein-Westfalen, seit 2002 Vorsitzender des FDP-Kreisverbandes Rheinisch-Bergischer Kreis, seit 2007 Mitglied des Bundesvorstands und seit Dezember 2009 Generalsekretär der FDP.

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