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Für Christian Lindner ist NRW nur eine Zwischenstation.

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Christian Lindner: Der Mann, den sie Zugpferd nannten

Am Sonntag will Christian Lindner in Nordrhein-Westfalen die Ehre der FDP wiederherstellen. Das kann ihm sogar gelingen. Dabei ist der Retter und liberale Star aber nur auf Durchreise.

Von Antje Sirleschtov

Wenn Christian Lindner besonders überzeugend wirken will, dann benutzt er Wörter wie „felsenfest“ oder noch lieber: „glasklar“. Und überzeugend wollen Politiker oft wirken, um wahre Absichten zu vernebeln. Es ist ein bisschen wie beim Pokern: Man spielt das eigene Blatt runter, um später umso beeindruckender mit drei Assen auftrumpfen zu können. Christian Lindner stünde eine große Karriere bevor, stiege er ins internationale Pokergeschäft ein.

Dieser Christian Lindner war im vergangenen Herbst „felsenfest“ der Überzeugung, vom Amt des Generalsekretärs seiner Partei nicht zurückgetreten zu sein, um seinem Vorsitzenden Philipp Rösler zu schaden. Und „glasklar“ sei, das sagte Lindner etwas später, dass er lieber seinen Job als „technologiepolitischer Sprecher“ der Bundestagsfraktion behalten wolle, als an der Spitze der FDP in Nordrhein- Westfalen in den Wahlkampf zu ziehen.

Bildergalerie: Wie Christian Lindner 2011 als Generalsekretär zurücktrat

Letzteres war vor knapp acht Wochen. Jetzt ist Christian Lindner der Vorsitzende dieses größten und einflussreichsten Landesverbandes der FDP, der Techno-Job ist Geschichte, in drei Tagen ist in NRW Wahlsonntag, und Lindner wird als Spitzenkandidat wahrscheinlich schaffen, was noch vor kurzem niemand für möglich gehalten hätte, nämlich die FDP über die Fünfprozenthürde in den Landtag zu hieven.

Es wäre eine kleine politische Sensation, wachte die FDP wirklich aus ihrer monatelangen Todesstarre wieder auf. Es wäre zweifellos Lindners Verdienst. Man kann ihn, wenn man genau hinsieht, schon jetzt erkennen, den blau-gelben Heiligenschein, den die Liberalen ihrem Christian Lindner am Sonntag Punkt 18 Uhr aufsetzen werden, wenn es so kommt. Wie eine Lichtgestalt sähe er aus, wenn der Balken weit über die Fünfprozentmarke hinaus klettert. Sogar von schwarz-gelben Mehrheiten 2013 im Bund wird man mit ihm dann wieder träumen dürfen.

Und dieser Lindner will ab kommendem Montag im Landtag zu Düsseldorf auf der harten Oppositionsbank als Fraktionschef sitzen, „felsenfest“, wie er sagt. Und was will er dort in den nächsten fünf Jahren machen? Über Regeln für Abwasserzweckverbände und den Stellenschlüssel für Landratsämter diskutieren? Wäre es da nicht besser, baldmöglichst nach Berlin zurückzueilen, den ungeliebten Rösler aus dem Amt zu drängen und die ganze FDP zu retten? Nein, sagt Lindner und setzt ein sehr ernstes Pokergesicht auf, das sei nicht sein Ziel. Glasklar.

Lindner könnte die Liberalen in die Landesregierung führen

An diesem Montagmittag sitzt Lindner am Erftplatz in Düsseldorf-Hamm. Er hat die lokale Presse zum Gespräch ins „Breuer’s“ eingeladen, ein gemütliches Ecklokal mit Holzbänken und gutem Kaffee. Als die FDP in seinem Heimatland NRW vor acht Wochen den rot-grünen Landeshaushalt wegen einer internen Kommunikationspanne abgelehnt hat und damit Neuwahlen auslöste, stand die Partei in den Umfragen bei magersten zwei Prozent. Jetzt sind es sechs und manche sagen, fünf davon, mindestens, sind allein Christian Lindners Spitzenkandidatur zuzuschreiben. So was schmeichelt, aber Lindner kommentiert so etwas nicht. Doch glauben tut er es bestimmt.

Ins „Breuer’s“ sind an diesem Montag unerwartet viele Kameraleute gekommen, Lindner nimmt an einem Tisch Platz, Blumen stehen darauf. Gleich wird er klarmachen, „glasklar“, dass er SPD und Grünen als Steigbügelhalter für eine Ampelkoalition nach dem Wahlsonntag nicht zur Verfügung stehen wird, weil die seinen Forderungen nach radikalen Haushaltseinsparungen nicht nachkommen würden. Den Ausgang auch dieser Glasklarheit wird man in wenigen Tagen überprüfen können. Vielleicht wird Lindner ja am Ende doch die FDP aus dem Nichts in eine Regierung bugsiert haben. Der Heiligenschein würde dann noch greller bis in die Berliner FDP-Zentrale scheinen.

Doch zuvor richtet Lindner die Serviette auf dem Platz vor sich akkurat nach der rechten Tischkante aus, stellt die Kaffeetasse darauf und verbannt den Blumenschmuck vor ihm schwungvoll in die Ecke. Die Lichtgestalt kontrolliert gern, Blümchen passen nicht zu ihm. Erfolgreiches Pokern, das weiß man, ist nichts für Amateure, da kommt es nicht nur darauf an, was man sagt. Da steht und fällt der Erfolg mit dem ganzen Auftritt.

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Auch mit der Wahl des Ortes: Man muss sich dieses Düsseldorf-Hamm wie eine Mischung aus Berlin-Prenzlauer Berg und -Schöneberg vorstellen. Junge, aber nicht zu junge Leute, überwiegend gut gekleidet, gepflegte Gaststätten an jeder Ecke. Lockere Gediegenheit eben. Und damit genau das, was der Spitzenmann der FDP in diesem Wahlkampf ausstrahlen will: eine neue FDP, seine neue FDP. Die alte FDP in ihrem Traditionsland Nordrhein-Westfalen soll vergessen werden. Leute wie Jürgen Möllemann und Guido Westerwelle, die die FDP hier jahrzehntelang geprägt haben, verhalfen ihr mit guten Wahlergebnissen zwar oft zu Glanz und Regierungsbeteiligung. Doch der Glanz hatte immer auch etwas Schrilles, etwas Unseriöses. Wem das zu doof war, der ist längst zur CDU oder zu den Grünen abgewandert.

Damit soll jetzt Schluss sein. Christian Lindner schlägt einen neuen Ton an und hat für diesen Wahlkampf drei Themen ausgesucht: Sparen, Gymnasium und Wirtschaftspolitik. Auf den ersten Blick dröge Themen. Doch das stört Lindner nicht. Ganz im Gegenteil. Es geht ihm, ob beim Haushalt oder bei den Gymnasien, nicht ums Inhaltliche. Lindner setzt vielmehr auf die „liberale Haltung“, wie er sagt. „Auf jede politische Frage“ gebe es eine liberale Antwort. Das klingt nachdenklich, auf keinen Fall besserwisserisch. Und es stößt niemanden vor den Kopf. Mit so einer Einstellung kann man glaubwürdig mit den Schwarzen und mit den Roten regieren. Man ist immer irgendwie Zünglein an der Waage, Stimme der Vernunft sozusagen. Mit diesem Anspruch hat die FDP jahrzehntelang Deutschland mitregiert. Erst Guido Westerwelle wollte seine Partei aus dem ewigen Dasein des Anhängsels befreien und zur kleinen Volkspartei aufpumpen, was bekanntlich nach hinten losging.

Lindner ist solch Übermut fremd. Er liest im Flugzeug die Kulturseiten der Zeitung und liebäugelt mit einem eleganten, nicht zu aufgedonnerten Mercedes-Oldtimer. „Bescheidenheit“ und einen „guten Stil“ hat er von seinen Parteifreunden erbeten. „Das ist meine FDP“, schreibt er auf seine Plakate. Mit „Mätzchen“, wie dem Kanzlerinnen-Frosch-Vergleich von Philipp Rösler, will er nichts zu tun haben. In Lindners Wunsch-FDP wird gedacht und nicht geholzt oder gedübelt.

Draußen auf den Plakatwänden zwischen Aachen und Essen sieht man denn auch einen ruhigen Wahlkämpfer. Immer schaut Lindner nachdenklich, analysierend, nie sieht er reißerisch aus. Kein Mensch käme auf die Idee, dass sich dieser junge Mann mit dem eleganten Anzug und der hellgrauen Krawatte in ein grellblaues Bambi-Mobil setzen oder gar in seine Schuhsohlen Zahlen einbrennen ließe, wie es einer seiner Vorgänger aus NRW, nämlich Westerwelle, gern tat, um Aufsehen zu erregen.

Warum Lindner keinen Putsch gegen Rösler anführen wird

Christian Lindner
Christian Lindner

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Irgendwie ist es ein Paradoxon. Ausgerechnet Christian Lindner, einer der schillerndsten Newcomer am politischen Himmel der vergangenen Jahre, nimmt sich selbst als Person in seinem ersten Wahlkampf bewusst zurück. Bis zur Unkenntlichkeit. Als schäme er sich für seine Jugend, als wolle er seinen Intellekt, seine Redegewandtheit, einfach jedes Talent, das er mitbringt, vor der Öffentlichkeit verstecken. Es scheint sogar, als habe sich der 33 Jahre alte Lindner mit den Grübchen und den blondsträhnigen Haaren, von den Plakatwänden, von denen er quer durch NRW herabsieht, jede Jugendlichkeit wegretouchieren lassen. Noch vor einem Jahr war gerade das eines seiner Markenzeichen, war er neben Rösler und dem Gesundheitsminister Daniel Bahr einer aus der Boygroup. Drei Jungs, die die FDP entstauben wollten und es am Ende doch nicht taten. Als Lindner die unklaren und zum Teil peinlichen Botschaften seines Parteichefs Rösler nicht mehr ertragen konnte, trat er vom Amt des Generalsekretärs zurück. Mit diesem Wahlkampf setzt er sich endgültig von der alten Jungstruppe ab.

Und er greift gleichzeitig an. Es ist ein leiser Angriff. Man kann noch nicht genau sagen, wann dieser Mann zum Vorsitzenden der FDP werden wird. Lediglich der Weg dahin scheint klar zu sein: Lindner wird keinen Putsch organisieren, er ist keiner, der mit Macht nach der Macht greift. Lindner wird sich als Chef des größten Landesverbandes aus Düsseldorf im Hintergrund in die Bundespolitik einmischen. Er wird abwarten, bis zum Jahresende die Frage in den Mittelpunkt rückt, mit welchem Gesicht diese FDP in den Bundestagswahlkampf ziehen will. Das wird der rechte Augenblick sein, sich bitten zu lassen, nach Berlin zurückzukommen. So, wie es vor acht Wochen gewesen ist, als sie ihn baten in diesen Wahlkampf in NRW einzusteigen. Zu seinen Bedingungen. Ohne Voraussetzungen, die ihn einengen oder binden würden.

Bis jetzt funktioniert das Spiel. Im Grunde hat Christian Lindner, seit ihn Westerwelle 2009 als Generalsekretär nach Berlin geholt hat, nur zwei Dinge gemacht: ein paar intelligente Reden gehalten und zum richtigen Zeitpunkt clevere Spielzüge mit großer Öffentlichkeitswirkung hingelegt. Zulasten zweier FDP-Vorsitzender. Anderen wirft man in dieser Lage Illoyalität vor, man zeiht sie, nichts anderes zu tun, als zu bluffen. Doch Lindner scheint gegen solcherlei Anwürfe immun zu sein. Die älteren Herren in der Partei loben ihn als Visionär eines neuen Liberalismus. Und am Düsseldorfer Flughafen kommen ihm strahlend und winkend wildfremde Leute entgegen und versprechen schon von weitem: „Herr Lindner, wir wählen Sie.“

Vor sechs Monaten wäre so etwas noch undenkbar gewesen. Niemand hätte sich öffentlich zu einem Liberalen bekannt. Auch heute genießt kein deutscher Politiker so wenig Ansehen in der Öffentlichkeit wie der FDP-Vorsitzende Rösler. Doch der Beliebtheit des Christian Lindner kann das nichts anhaben. Mit ihm ist der ehemalige SPD-Superminister Wolfgang Clement auf die Bühne gestiegen, für ihn hat sogar Hans-Dietrich Genscher sein vor Jahren gegebenes Versprechen gebrochen, nie wieder auf einem Parteitag zu reden. Die Bewunderung für diesen jungen Mann, sagte unlängst einer der Nachdenklichen in der FDP-Spitze, grenzt manchmal schon an das „KT“-Phänomen, womit der zu Jahresfrist über seine abgeschriebene Doktorarbeit gestrauchelte CSU-Politikstar Karl-Theodor zu Guttenberg gemeint ist. Auch einer, in den seine Anhänger alle möglichen Hoffnungen projizieren konnten.

Montagabend hatte die FDP Essen zu einer großen Wahlkampfkundgebung ins Cinemaxx-Kino an den Berliner Platz eingeladen. 300 Leute waren gekommen, es gab Tortillas und Cola für 9,40 Euro. Eigentlich eine trostlose Veranstaltung mit langweiliger Musik und ohne Höhepunkt. Selbst der Starredner des Abends, Christian Lindner, hat nur die eine Botschaft: „Wir liefern seriöse Argumente und keine Currywürste“, gemeint ist die SPD. Doch den Zuschauern hat das offenbar schon genügt. Zufriedenes Nicken, kräftiger Applaus. Und beim Rausgehen aus Saal 2 sagt dann ein älterer Herr stolz zu seiner Begleitung: „Aus dem wird noch mal was, und wir beide sind ganz am Anfang dabei gewesen.“

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