zum Hauptinhalt
Christian Wulff

© AFP

Update

Christian Wulff vor Gericht: "Das wird kein normaler Prozess, sondern ein Schauspiel"

Am Donnerstag beginnt der Prozess gegen Christian Wulff. Er ist der erste ehemalige Bundespräsident, der sich einem Verfahren stellen muss. Die Summe, um die es geht, ist klein, das Interesse dagegen riesig.

Der Mann besucht ganz normal mit seinem fünfjährigen Sohn ein Heimspiel des Fußballbundesligisten Hannover 96. Der 54-jährige Mann geht ganz normal zum Sport und am Maschsee spazieren, in der Nähe seiner Dreizimmerwohnung, in die er Anfang des Jahres nach der Trennung von seiner Ehefrau gezogen ist.

Doch spätestens am Donnerstag ist es mit dieser zur Schau getragenen Normalität vorbei. Ab zehn Uhr steht Christian Wulff im Saal als Angeklagter vor der 2. Großen Strafkammer des Landgerichts Hannover. Der ehemalige Bundespräsident muss sich wegen Korruption verantworten, er soll sich als niedersächsischer CDU-Ministerpräsident vom Filmunternehmer David Groenewold 2008 schmieren lassen haben – mit der Übernahme von Kosten für zwei Hotelnächte und Babysitter sowie einer Einladung in ein Edel-Zelt des Oktoberfests in München.

Welchen Charakter hatte die Beziehung zwischen Wulff und Groenewold?

Dies wird eine der wesentlichen Fragen des Prozesses. Wulff sah die Filmförderung als Chance für den Standort Niedersachsen an. Der Filmproduzent aus Berlin, der über Medienfonds Projekte finanzierte, erkannte in dem Politiker einen Helfer. Bei den Dreharbeiten zum Film „Wunder von Lengede“ lernten sie sich kennen und schätzen.

Wie eng die Freundschaft wurde, merkt man daran, dass der Unternehmer seinem Freund sogar ein Handy stellte, als der sich aus seiner Familie löste und eine Verbindung mit seiner späteren Frau Bettina einging. Wulff zahlte für den „Freundschaftsdienst“, es gab einen Vertrag zwischen beiden. Doch es blieb der Eindruck, dass Groenewold zu vielen Gefallen bereit war.

Wie wird der Prozess ablaufen?

„Das wird kein normaler Prozess, sondern ein Schauspiel“, sagt ein Beteiligter angesichts des riesigen Medienrummels und der erwarteten Promi-Zeugen. 46 Zeugen hat das Landgericht Hannover zu den 22 Verhandlungstagen, die bis Anfang April 2014 anberaumt sind, geladen. TV-Kommissarin Maria Furtwängler und ihr Mann, der Verleger Hubert Burda sowie eine „Bild-Reporterin“ sollen über die Oktoberfest-Runde berichten, Angestellte des Bayrischen Hofs in München über die Umstände der Übernachtungskosten. Auch Beamte der Staatskanzlei in Hannover müssen erscheinen. Ein ganzer Tag ist am 12. Dezember für die Vernehmung von Bettina Wulff vorgesehen. Die in Scheidung lebende Ehefrau des Ex-Präsidenten will vor Gericht mit ihrem Anwalt erscheinen – und wohl auch aussagen.

Was wird Wulff genau vorgeworfen?

Es geht nur noch um rund 770 Euro – ein kleiner Rest aus einer Fülle von Vorwürfen, die im Februar 2012 zum Rücktritt des Staatsoberhaupts führten. Luxusurlaube bei Unternehmern, Wulffs Hauskredit zu angeblich supergünstigen Konditionen oder diverse Geschenke sah die Staatsanwaltschaft nach über einem Jahr intensiver Ermittlungen mit über 100 Zeugen als nicht (mehr) strafwürdig an. Doch um diesen scheinbar geringfügigen Betrag ringen beide Seiten kompromisslos. Wulff fühlt sich unschuldig, will die vollständige Rehabilitation, hat im Frühjahr die von der Staatsanwaltschaft angebotene Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung einer Buße von 20 000 Euro abgelehnt. „Die Vorwürfe sind unbegründet“, sagen seine Verteidiger. „Wir wollen einen echten Freispruch.“

Auch die Staatsanwaltschaft zieht alle Register in diesem einzig übrig gebliebenen Punkt. Bestechlichkeit hat sie Wulff vorgeworfen, Bestechung Groenewold. Der Ministerpräsident soll sich im Gegenzug für die Gastfreundschaft in München einige Wochen später beim damaligen Siemens-Chef Peter Löscher schriftlich um ein Sponsoring für den Groenewold-Film „John Rabe“ starkgemacht haben. Einladung gegen Brief, Kostenübernahme gegen Amtshandlung? Ausreichende Anhaltspunkte für eine solches pflichtwidriges Tun mochte das Landgericht unter Vorsitz des erfahrenen und als besonnen geltenden  Richters Frank Rosenow nicht annehmen. Es stutzte die Anklage von Bestechlichkeit mangels „hinreichenden Tatverdachts“ herunter – auf die milder zu bestrafende Vorteilsannahme bei Wulff und Vorteilsgewährung bei Groenewold.

Ein Teilerfolg für Wulff? Na ja. Die 2. Strafkammer begründet auf 14 Seiten die Zulassung der Anklage. Detailliert schildert das Gericht darin eine „Vielzahl dienstlicher bzw. geschäftlicher Berührungspunkte zwischen den Angeklagten“ seit 2005: Wulffs Einsatz für die Filmwirtschaft, Wulffs Hilfe für Projekte und Firmen Groenewolds, Wulffs Okay für eine Landesbürgschaft und Fördermittel. Als mögliche Gegenleistungen listet die Kammer mehrere teure Essenseinladungen auf, etwa in der Sansibar auf Sylt oder im Restaurant Villa Verde auf Capri. Angeklagt sind diese Vorgänge nicht, könnten aber ein Licht auf das Beziehungsgeflecht zwischen den Angeklagten werfen, den „bösen Anschein möglicher Käuflichkeit“ belegen, der für eine Verurteilung wegen Vorteilsannahme ausreichen würde.

Das Gericht selbst spricht von einem „Grenzfall“. Beginnen wird die Strafkammer mit der Frage, ob Wulff in München überhaupt einen Vorteil von Groenewold erhalten hat. Von der teilweisen Übernahme der Hotelkosten will der damalige Ministerpräsident nichts mitbekommen, das Honorar für den Babysitter zurückgezahlt haben. Bei der Wiesn-Sause soll der Einladungswert gerade mal 75 Euro betragen haben. Das sei doch üblich und „sozialadäquat“, lautet Wulffs Argumentation. Belegen die Zeugen in diesen Punkten nicht das Gegenteil, könnte der Prozess noch vor Weihnachten zu Ende gehen – mit einer Einstellung oder sogar einem Freispruch.

Wie stehen die Chancen auf Freispruch?

Er kann sich Hoffnungen machen. Zwar lässt ein Gericht eine Anklage nur zu, wenn es eine Verurteilung für überwiegend wahrscheinlich hält. Es gilt jedoch auch der Grundsatz, dass sich viele Vorwürfe bei zweifelhaften Fällen erst in einer Hauptverhandlung klären lassen. Das Gericht selbst lässt in seinem Eröffnungsbeschluss für das Hauptverfahren durchklingen, dass es einen Freispruch für keineswegs ausgeschlossen hält. Für einen Schuldnachweis Wulffs muss sich zumindest ermitteln lassen, dass beide, Wulff und Groenewold, sich der Unzulässigkeit ihres Handelns bewusst waren. Wulff muss sich durch Groenewolds Einladung veranlasst gesehen haben, seinen amtlichen Dienst in dessen Sinne auszuüben.

Kann Wulff noch wegen Bestechlichkeit bestraft werden?

Im Prinzip ja. Zwar hat das Gericht die Anklage nur als mögliche Vorteilsannahme zugelassen. Angeklagt wird jedoch nicht die Tat im rechtlichen Sinn, sondern als Lebenssachverhalt. Wenn das Gericht zur Überzeugung gelangt, Wulff habe sich für die Vornahme einer konkreten pflichtwidrigen Diensthandlung einladen lassen, kann es ihn auch wegen Bestechlichkeit verurteilen.

War die Erhebung der Anklage verhältnismäßig?

Die Beträge, um die es jetzt geht, sind eher gering. Andererseits legt die Staatsanwaltschaft Wert darauf, dass sie „oberhalb der von der Rechtsprechung anerkannten Erheblichkeitsschwelle“ liegen. Tatsächlich können die Strafverfolger die Augen auch nicht einfach zudrücken, zumal wenn es um ein so sensibles Thema wie Korruptionsdelikte geht. Nachdem Wulff und Groenewold das Angebot abgelehnt hatten, das Verfahren gegen Geldauflagen einzustellen, hatten sie keine Wahl. Strafanzeigen wegen angeblich überzogener Ermittlungen haben für die Staatsanwälte jedenfalls keine Konsequenzen. Wie die Staatsanwaltschaft Hannover am Mittwoch mitteilte, sind alle deshalb eingeleiteten Ermittlungsverfahren eingestellt worden. Im Hinblick auf die aufwendigen Untersuchungen waren die Ermittler unter anderem wegen Verfolgung Unschuldiger angezeigt worden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false