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Politik: Christine Bergmann im Gespräch: "Wer nur ans Geld denkt, hilft der Familie nicht"

Christine Bergmann (61) ist Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Berliner kennen die Sozialdemokratin noch als Senatorin und Bürgermeisterin.

Christine Bergmann (61) ist Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Berliner kennen die Sozialdemokratin noch als Senatorin und Bürgermeisterin. Die in Dresden geborene Politikerin, die zwei erwachsene Kinder und drei Enkel hat, lobt die Kinderbetreuung im Osten: "Ich wollte, wir wären in ganz Deutschland so weit."

Frau Ministerin, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat die Ansprüche von Familien mit Kindern gestärkt. Gehen Sie nun mit einem ganz neuen Selbstbewusstseins ins Kabinett und legen den anderen Ressorts Ihre Forderungen vor?

Zunächst einmal: Wir haben schon eine ganze Menge zu Gunsten der Familie durchgesetzt, das hat nicht nur mit den Vorgaben aus Karlsruhe zu tun. Wir sind schon 1998 mit dem Versprechen angetreten, das Kindergeld zu erhöhen. Das ist dann auch sofort passiert. Aber trotzdem: Ich freue mich über Rückenwind, der ist immer nützlich.

Welchen Betrag fordert die Familienministerin bei der nächsten Runde für das Kindergeld?

Die Antwort ist ganz einfach: Ich versuche das Maximale zu kriegen, was bei den Haushaltsberatungen im Mai herauszuholen ist.

Die SPD-Fraktion fordert eine Erhöhung um 30 Mark auf 300 Mark, wie viel wollen Sie?

Ich will so viel, wie irgendwie geht. Das ist doch klar, aber die Entscheidung wird erst im Mai getroffen. Diese Leistungen müssen ja zusätzlich im Haushalt untergebracht werden, nicht neue Schulden sind unser Ziel, sondern Schuldenabbau. Unser Grundsatz ist: Wir wollen die Familienleistungen so weit wie möglich in Form von Kindergeld umsetzen. Wir wollen die Förderung bei den Kindern ansetzen. Andere Leistungen wie etwa Steuerfreibeträge tragen nicht zu mehr Gerechtigkeit bei: Wenn eine Familie ein hohes Einkommen hat, bekommt sie viel, wenn sie ein geringes Einkommen hat, bekommt sie wenig.

Sehen Sie sich in den Verhandlungen mit Sparkommissar Hans Eichel gestärkt?

Noch einmal: Diese Regierung hatte von Anfang an in der Familienpolitik einen Schwerpunkt gesetzt, da geht es nicht nur um das Kindergeld. Denken Sie an das Bundeserziehungsgeld-Gesetz, an die Verbesserungen beim BaföG, beim Wohngeld und so weiter - das sind immerhin 17 Milliarden Mark mehr für die Familien, die wir von 1998 bis 2000 allein in diesen Bereich hineingesteckt haben. Aber ich freue mich über die neue öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema Familie und hoffe, dass sie alle Akteure in diesem Bereich - und das sind nicht wenige - beeindruckt.

Wer Familie fördern will, muss nicht unbedingt neue Schulden machen. Könnte man nicht die Wohltaten des Ehegattensplittings zu Gunsten von Kindern umverteilen?

Wir haben gerade eine Steuerreform gemacht, die Familien in großem Umfang entlastet. Zum Ehegattensplitting muss man sagen: Das Bundesverfassungsgericht hat auch hier Vorgaben gemacht, das Umverteilungsvolumen ist deshalb begrenzt.

Es gibt ja nicht nur die Urteile aus Karlsruhe. Vor wenigen Tagen hat das Kabinett den Armuts- und Reichstumsbericht verabschiedet. Darin steht, dass Kinder ein Armutsrisiko darstellen. Muss die Familienministerin da nicht noch massiver auftreten?

Sie können mir glauben, dass ich meine Vorhaben sehr hartnäckig verfolge. Wir sind sicher noch nicht am Ziel aller Wünsche, aber die Familien haben bisher ganz klar von den Reformen dieser Regierung profitiert, bis hin zur Rentenreform. Es geht bei der Förderung der Familie nicht nur um finanzielle Leistungen, es geht auch um die Rahmenbedingungen, etwa um das Kinderbetreuungsangebot. Gerade im Armutsbericht können Sie am Beispiel alleinerziehender Mütter nachlesen, wie schwierig es wird, wenn die Möglichkeit der Erwerbsarbeit wegfällt, weil es an der Kinderbetreuung mangelt.

Und was tun Sie, damit das möglichst selten passiert?

Auch da hat diese Regierung schon vorgearbeitet. Für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie kann man mit Arbeitszeitregelungen viel tun. Seit Januar sind die Neuerungen des Bundeserziehungsgeld-Gesetzes in Kraft, wonach auch beide Elternteile gleichzeitig Erziehungszeit nehmen können und einen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit haben. Das gibt Eltern sehr viel mehr Möglichkeiten, trotz Kinder weiter zu arbeiten. Ich kriege sehr viele Anrufe von alleinerziehenden Müttern, die darüber sehr froh sind.

Wie wird denn das Angebot der Teilzeit von Eltern nach vier Monaten angenommen?

Wir arbeiten daran, dass diese neuen Möglichkeiten bekannt und genutzt werden. Statistische Daten gibt es noch nicht. Wir bekommen aber sehr positive Reaktionen. Es melden sich Väter, die sich bestärkt fühlen, sie können nun zum Beispiel 30 Stunden in der Woche arbeiten und sich auch einen Werktag lang um das Kind kümmern. Wir wenden uns im Rahmen unserer Väterkampagne an die Unternehmen, die ja mitziehen müssen, und merken, sie zeigen sich sehr interessiert. Es ist etwas in Bewegung gekommen.

Sind sie denn zufrieden mit dem Klima gegenüber Kindern, wie es bei uns herrscht?

Daran müssen wir in Deutschland alle noch arbeiten. Wir können nicht gleichzeitig behaupten, wir wollten Kinder und seien eine kinderfreundliche Gesellschaft, wenn wir im Zweifelsfall dann doch eher den Parkplatz bauen als den Kinderspielplatz. Oder nehmen Sie eine Situation aus dem Alltag: Wenn so eine genervte Mutter mit ihren weinenden Kindern mal im Supermarkt in der Schlange steht und keine Hand mehr frei hat, wer hilft ihr denn da? Dieser Appell geht an uns alle.

Wenn man über die Grenze schaut, etwa nach Frankreich, fällt auf, dass es dort viel selbstverständlicher ist, kleine Kinder in die Betreuung zu geben. Ist allein der Mangel an Hort- und Kindergartenplätzen schuld, wenn deutsche Mütter Kinder hüten, statt zu arbeiten, oder liegt es auch an der Mentalität?

Beides hängt miteinander zusammen. Bei uns haben die traditionellen Rollenbilder lange vorgeherrscht und wirken noch nach. Manche finden es immer noch problematisch, Kinder unter drei Jahren auch nur ein paar Stunden von der Mutter wegzugeben.

Diese ablehnende Haltung erfahren Sie aber nur im Westen Deutschlands?

Diese Diskussion haben wir in den neuen Bundesländern nicht. Da gab es eine andere Kultur: Die Frauen waren immer erwerbstätig, in der Regel Vollzeit.

Die DDR als Vorbild in der Familienpolitik?

Nein, nicht generell. Aber was die Akzeptanz der Erwerbstätigkeit von Frauen angeht, gibt es durchaus einen Gleichstellungsvorsprung: Dass sich Frauen dafür entschuldigen müssen, dass sie Geld verdienen, ist in den neuen Ländern undenkbar. Das gesicherte Angebot einer Kinderbetreuung ist ein hohes Gut. Ich wollte, wir wären da schon in ganz Deutschland so weit.

Werden Ihre Argumente von westdeutschen Gesprächspartnern manchmal mit der Behauptung zurückgewiesen, Sie wollten ein sozialistisches Familienmodell verordnen?

Diesen Versuch habe ich immer wieder erlebt. Ich entgegne dann: Wer in dieser Hinsicht nicht gerne von Ostdeutschland lernt, der kann nach Frankreich, nach Schweden oder Dänemark schauen. Es fällt doch auf: Genau dort, wo eine gute Kinderbetreuung angeboten wird und die Erwerbstätigkeit von Frauen hoch ist, ist auch die Geburtenrate hoch. Ich bin froh, dass auch im Westen Deutschlands nun endlich eine Debatte über die Notwendigkeit von Betreuungsangeboten in Gang gekommen ist. Der Bedarf der Familien ist da, auch wenn das mancher Politiker im Westen nicht wahrhaben will.

Immer noch gibt es Vorbehalte gegen die Betreuung sehr kleiner Kinder nach dem Motto: Der Staat nimmt der Familie die Kinder weg.

Es wird doch kein Zwang ausgeübt. Es geht nur um ein Angebot, damit die Eltern die Wahl haben. Außerdem wissen wir, dass Kinder, die solche Einrichtungen besuchen, in bestimmten sozialen Fähigkeiten Gleichaltrigen voraus sind. Man darf ja auch nicht die Bildungsaufgabe vergessen, die Betreuungseinrichtungen für Kinder erfüllen - das ist gerade in einer Stadt wie Berlin sehr wichtig, in der es viele soziale Problemviertel gibt. Diese Einrichtungen leisten auch viel für die Integration. Deshalb werben wir zum Beispiel bei türkischen Eltern darum, dass sie ihre Kinder in die Kita bringen.

In der Einwanderungsdebatte spielt die Überlastung der Sozialsysteme angesichts der demographischen Entwicklung eine große Rolle. Sehen Sie es als Ihre Aufgabe an, die Geburtenrate in diesem Land zu steigern?

Nein. Familienpolitik ist nicht in erster Linie Bevölkerungspolitik. Sie hat die Aufgabe, die Hürden aus dem Weg zu räumen, die junge Menschen daran hindern, nach ihren eigenen Entwürfen zu leben. Alle Studien sagen: Jugendliche wünschen sich Familie, wünschen sich Kinder. Die Realisierung des Kinderwunsches scheitert eher an der Betreuungsfrage, an der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, als an der Frage, ob die Kindergelderhöhung nun zehn Mark mehr oder weniger ausmacht. Wer ausschließlich über Geld redet, wird keine gute Familienpolitik machen. Ich bin überzeugt: Wenn wir bessere Rahmenbedingungen schaffen, werden auch wieder mehr Kinder geboren.

Ist die Flexibilität, die eine moderne Ökonomie von den Menschen verlangt, auch eine Belastung für die Familie?

Natürlich, deshalb sind ja auch die Unternehmen aufgefordert, ihrerseits durch flexible Regelungen den Wünschen der Familien entgegenzukommen. Denn Familien brauchen gemeinsame Zeit. Da ist sehr viel möglich, das ist auch im ökonomischen Interesse der Firmen selbst. Es macht mehr Arbeit, aber es rechnet sich. Es gibt zum Beispiel die Erfahrung, dass der Krankenstand zurückgeht, wenn der Betrieb den Wünschen von Familien entgegenkommt.

Geht Ihr eigenes Ministerium mit gutem Beispiel voran?

Wir haben mit dem Personalrat eine Vereinbarung getroffen über flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit von Tele-Arbeit, wir haben Teilzeitarbeit in Führungspositionen. Die Teilzeitquote beträgt elf Prozent, auch Männer nutzen das. Das ist bei uns kein Karrierehindernis. Sie sehen: Mit etwas gutem Willen lässt sich das alles machen.

Frau Ministerin[das Urteil des B], esverfassungsg

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