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Politik: Claudia Roth im Gespräch: "Ich bin nicht die Heulsuse der Grünen"

Claudia Roth (45) kandidiert mit breiter Unterstützung von Grünen-Spitzenpolitikern auf dem Parteitag im März in Stuttgart für den Vorsitz. Als neue Parteichefin im Doppel mit dem Realpolitiker Fritz Kuhn will sie für die alten Ideale der Grünen streiten: "Da gehöre ich wirklich zum Inventar.

Claudia Roth (45) kandidiert mit breiter Unterstützung von Grünen-Spitzenpolitikern auf dem Parteitag im März in Stuttgart für den Vorsitz. Als neue Parteichefin im Doppel mit dem Realpolitiker Fritz Kuhn will sie für die alten Ideale der Grünen streiten: "Da gehöre ich wirklich zum Inventar."

Haben Sie jemals Steine geworfen? Haben Sie in Nachtclubs gekellnert? Was muss die Republik über Sie wissen?

Ich möchte an meiner politischen Arbeit für Bündnis 90/Die Grünen gemessen werden. Wie zum Beispiel mit Ulla Schmidt umgegangen wurde, ist abstoßend, unfair und wenig kulturvoll. Es wird nicht gefragt, was eine junge, allein erziehende Mutter für Probleme gehabt hat. Zu Ihrer Frage: Ich habe keine Steine geworfen, aber die unglaublich angespannte, fast hysterische Stimmung Mitte der 70-er Jahre sehr intensiv erlebt. Ich war damals Dramaturgin am Dortmunder Kindertheater. Und Sie müssen sich vorstellen: Wir führten den "Struwwelpeter" als Rockmusical auf. Die Figur des Suppenkaspers, der am Schluss verhungerte, wurde doch tatsächlich öffentlich als Symbol für den hungerstreikenden RAF-Terroristen Holger Meins interpretiert.

Was ist für Sie heute linke Politik?

Nichts aus der Mottenkiste. Sondern etwas, das sich auf alte Werte bezieht, die heute aber immer noch sehr modern sind. Ich betrachte soziale Gerechtigkeit als ganz hohen Wert - auch wenn Guido Westerwelle den Begriff Solidarität so ausspricht, als sei ihm das körperlich unangenehm. Oder nehmen wir die Bewahrung demokratischer Rechte: Manchmal wird man heute schon als Rechtsstaatsfetischist abgestempelt, wenn man etwa gegen Wanzen in Privatwohnungen streitet. Das darf doch nicht wahr sein. Linke Politik heißt für mich also soziale Ökologie, Demokratisierung der Gesellschaft und wirtschaftlicher Ausgleich zwischen Nord und Süd.

Ist Gerhard Schröder ein Linker?

Er ist ein guter Bundeskanzler. Ob Herr Schröder ein Linker ist oder nicht, sollte er selbst beantworten.

Erstaunt es Sie, dass sich der Kanzler für die Fortsetzung der rot-grünen Koalition über 2002 hinaus ausgesprochen hat?

Nein. Es läuft ja auch sinnvoll. Ich wollte immer den Politikwechsel, nicht nur den Machtwechsel. Auch wenn ich weiterhin ungeduldig bin: Es gibt tatsächlich Veränderungen, neue Weichenstellungen. Dass es länger dauert als erhofft, heißt nicht, dass wir unsere Ziele aufgeben. Wir Grünen sind kein Anhängsel, kein Juniorpartner. Die Dynamik der Reformen hängt von uns ab.

Kein Juniorpartner?

Wir sind Koalitionspartner - auch wenn einige Genossen noch immer nicht so richtig wahrhaben, dass wir keine Abspaltung der SPD sind, die irgendwann mal heimkommt.

Haben die Grünen Profil verspielt?

Gerade nach dem Machtwechsel 1998 in Bonn war es schwer, den gigantischen Erwartungen gerecht zu werden. Das Rollenspiel zwischen Regierungsvertretern, Bundestagsfraktion und Partei war in der Anfangszeit nicht gut genug, weil grünes Profil nicht ausreichend sichtbar wurde. In den letzten Monaten hat sich hier vieles deutlich verbessert.

Werden die Grünen zur besseren FDP?

Nein. Das wäre das Ende der Grünen. Wieso sollten wir auch eine Yuppie-Partei werden?

Modernität und Bürgerrechte, zwei von Ihnen genannte Begriffe, werden auch von der FDP reklamiert.

Nun, die Rede des Parteichefs Wolfgang Gerhardt diese Woche in der Debatte um Joschka Fischer hatte beispielsweise mit Liberalität nichts zu tun. Liberal ist diese Partei vor allem, wenn es um den Wirtschaftsliberalismus geht.

Und modern?

Wir sind modern, weil wir Ökologie, Ökonomie und die soziale Frage miteinander verknüpfen. Wo hat die FDP in den letzten Wochen etwas zur BSE-Krise gesagt? Wo hat die FDP wirklich etwas zur Rente gesagt? Wo hat sie denn bewiesen, dass sie für die Rechte von Schwulen und Lesben steht? Die FDP hat mit einer Ausnahme im Bundestag gegen unsere Gesetzentwürfe gestimmt.

Fürchten Sie den künftigen FDP-Chef Guido Westerwelle?

Nein. Die FDP versucht mit Luftnummern, Erfolge einzuheimsen. Das ist nicht mehr als Popularitätswerbung mit sinnentleerten Elementen. Dies ist für uns Grüne nicht nachahmenswert. Ich habe nichts gegen bunte Elemente in der Politik. Aber überzeugen müssen wir mit Inhalten - auch wenn Sie das jetzt altmodisch finden.

Im Container von "Big Brother" ist für Sie kein Platz?

Ich war schön häufiger in Containern als Guido Westerwelle. Allerdings in Containern, wo Flüchtlinge unter jämmerlichen Umständen untergebracht sind.

Was sagt Ihnen der Begriff Spaßgeneration?

Jeder will Spaß am Leben haben, nicht nur eine Generation.

Sie haben aber Probleme, die Jugend zu erreichen.

Es geht mir darum zu vermitteln, dass Politik auch Spaß machen kann. Es ist doch schön sich einzumischen.

Vielleicht will die Jugend nicht von ihren Eltern regiert werden?

Für mich ist das eine richtig persönliche Herausforderung, ohne lehrerhafte Attitüde deutlich zu machen, dass alte Werte sehr modern sind. Vielleicht haben wir in der Vergangenheit zu wenig auf Ökologie bestanden. In der BSE-Krise liegt deshalb auch eine große Chance. Es geht um hoch aktuelle ethische Fragen: Was ist los in unserer Gesellschaft, wenn aus einem Wiederkäuer aus Gewinninteressen ein Fleischfresser gemacht wird? Diese Fragen sind Zukunftsfragen. Sie haben nichts mit Birkenstocksandalen, Latzhosen oder einem Wurzelsepp zu tun.

Apropos Ethik: Kommt es in der Gentechnikpolitik zum Konflikt mit der SPD?

Die Gentechnologie ist ein Zukunftsthema, das jeden angeht. Wir brauchen eine kontroverse gesellschaftliche Debatte, die Diskussion mit Kirchen, Arbeitgebern und Verbänden, denn nicht alles was machbar ist, darf, kann und soll gemacht werden.

Sie wollen verhindern, dass der Gesetzentwurf der zurückgetretenen Gesundheitsministerin Andrea Fischer eingestampft wird?

Andrea Fischer hat eine hervorragende Vorarbeit geleistet - auch was den Versuch angeht, das Thema heraus aus der Expertenecke zu bringen. Es braucht in der Genpolitik Schranken, Grenzen. Für mich hat die Vorstellung des Klonens von Lebewesen etwas Apokalyptisches.

Ihre parlamentarische Geschäftsführerin Katrin Göring-Eckardt will eine heftige Debatte mit den Sozialdemokraten vermeiden.

Die Gentechnik ist ein urgrünes Thema.

Sie haben es an die SPD abgegeben.

Andersherum. Wir haben das spannende Angebot angenommen, mit dem Ministerium für Verbraucherschutz und Landwirtschaft ein ganz neues Ressort zu übernehmen. Das zeigt, dass wir die Gentechnik eben nicht aufgegeben haben. Das ist sowieso kein Thema, zu dem in engen Koalitionskreisen schnelle und konfliktfreie Kompromisse geschlossen werden können. Niemand hat da eine Patentantwort.

Haben die Grünen Gesundheitsministerin Fischer leichtfertig fallen gelassen?

Nein.

Wieso musste sie gehen?

Es ist bizarr, dass zuerst Gesundheitsministerin Andrea Fischer zurücktrat, die als eine der ersten auf die BSE-Risiken hingewiesen hatte. Möglicherweise hätte die gesamte Partei sie sehr viel früher in den schwierigen Auseinandersetzungen in der Gesundheitspolitik unterstützen müssen.

Hat Sie erschreckt, dass die Beauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, aus den Grünen austreten wollte?

Sie wollte eine ruhende Mitgliedschaft. Wir haben einen Weg gefunden, um das möglich zu machen. Ich finde es nachvollziehbar, dass sie in ihrem Amt Unabhängigkeit beweisen will.

Welche Rolle spielt Bündnis 90 noch für die Grünen? Sie bekommen im Osten keinen Fuß mehr auf den Boden.

Der historische Beitrag derer, die den friedlichen Protest in der DDR in Gang gebracht haben, verblasst leider allzu schnell. Der Prozess des Zusammenwachsens ist noch lange nicht vollzogen. Wir müssen uns ernsthaft überlegen, wie wir es schaffen, in den neuen Ländern wieder attraktiv zu werden. Gerade in Ostdeutschland muss die soziale Frage viel stärker in den Vordergrund gerückt werden.

Was den Grünen im Osten Deutschlands am meisten geschadet hat, war der Kosovo-Krieg - und Joschka Fischers Rolle darin.

Jeder Krieg schadet. Es ist bitter, dass Menschen wegen des Kosovo-Krieges aus der grünen Partei ausgetreten sind. Trotzdem: Wir haben stellvertretend eine gesellschaftliche Debatte geführt und als Partei die Lehre über die Notwendigkeit eines UN-Mandates gezogen.

Haben Sie Vorbilder?

Vorbilder sind für mich diejenigen, die sich selber treu bleiben, ohne einzurosten.

Jutta Ditfurth?

Sie hat dazu beigetragen, dass Ökologie ein Thema wird in diesem Land. Aber ich glaube, dass sie sich in eine politische Sackgasse manövriert hat. Kein Vorbild.

Petra Kelly?

Petra Kelly hat in ihrer Unermüdlichkeit, mit ihrem Einsatz ein Beispiel gegeben.

Joschka Fischer?

Mit Joschka Fischer habe ich eine lange gemeinsame Geschichte. Ich finde ihn gut, wenn er streitbar ist. Richtig stark ist er, wenn er Lust auf innerparteiliche Auseinandersetzungen hat.

Wer hatte zuerst die Idee, dass Sie Grünen-Chefin werden sollen: Sie oder Fischer?

Es war eine relativ einsame Entscheidung von mir. Ein paar Freunde, die waren mir wichtig: Ein Schlagzeuger, ein Gitarrist, ein Keyboarder, eine tolle Sängerin.

Fischer hat Ihre Entscheidung mutig genannt.

Es ist sicher mutig, sich so etwas zuzutrauen. Schaffe ich es, die Partei so zu vertreten, dass ich Claudia bleibe und gleichzeitig das grüne Projekt nach vorn bringe? Ist das nicht verwegen? Manche finden mutig, dass ich nach meiner Wahl die Privilegien meines Bundestagsmandates aufgeben würde. Aber da hilft mir meine Zeit bei Ton, Steine, Scherben. Da habe ich mich auch mit wenig Geld sehr reich gefühlt.

Als Sie bei der Hinrichtung von zwei Deutschstämmigen in Arizona waren, haben sie geweint und sich der Tränen nicht geschämt. Sind sie im kommenden grünen Vorstand zuständig für die emotionale Seite, für Politik mit Herz?

Ich bin nicht die Heulsuse oder die Herzdame der Grünen. Ich hoffe, bei mir kommen Herz und Verstand oft zusammen.

Haben Sie jemals Steine geworfen? Haben Sie in Nac

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