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Claudia Roth: "Mit Stolz habe ich es nicht so"

Grünen-Chefin Claudia Roth über rechte Gewalt, Deutschlands Image - und ihre Probleme mit Patriotismus.

Die Serie von Angriffen auf Ausländer reißt nicht ab - erst am Himmelfahrtstag gab es wieder Übergriffe unter anderem in Berlin, Wismar und Weimar. Befürchten Sie eine neue Welle der Gewalt?

Ganz offensichtlich haben wir flächendeckend ein Gewaltproblem. Es kann jetzt aber nicht darum gehen das Image von Deutschland zu schützen, sondern es geht darum, die Menschen in diesem Land zu schützen. Ich rufe zum offenen Widerspruch und Widerstand aller Demokratinnen und Demokraten auf, denn ich will nicht in einer Gesellschaft leben, in der Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, Religion, sexuellen Identität, Behinderung oder Herkunft Angst haben müssen.

Schon am Dienstag waren die beiden Tatverdächtigen im Fall des schwer verletzten Deutschäthiopiers Ermyas M. freigelassen worden, erst später kam einer der mutmaßlichen Schläger wieder in Untersuchungshaft. Hat Sie die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die beiden Männer freizulassen, überrascht?

Ja, sie hat mich überrascht. Vor allem die Begründung, dass der Angegriffene und Überfallene sich nicht erinnern kann. Ohne dass ich jetzt dem Gerichtsverfahren vorgreifen will oder kann: Aber sehr viele Indizien sprechen doch dafür, dass Ermyas M. aufgrund seiner Hautfarbe angegriffen wurde.

Ganz generell: Was läuft in der Debatte um die Bekämpfung des Rechtsextremismus richtig, was falsch?

Es ist wirklich schändlich, in welchem Zusammenhang jetzt diese Debatte geführt wird: Viele Politiker insbesondere der Union machen sich mehr Sorgen um das Image Deutschlands vor einer großen Weltmeisterschaft, mehr Sorgen, man könnte dieses Land jetzt schlecht reden, als dass sie sich Sorgen machen um den Zustand dieses Landes, in dem Gewalt, Anpöbeln, Diskriminierung und Angst Realität sind. Es läuft falsch, dass seit langen Jahren das Thema Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus verharmlost wird, dass pawlowmäßig, wenn es zu Übergriffen kommt, von Einzelfällen gesprochen wird. Die Beschäftigung mit diesem Thema darf doch nicht nur zu bestimmten Zeiten Konjunktur haben, sie muss dauerhaft sein. Nötig ist eine offene Debatte, die nicht auf dem Rücken von Einwanderern, nicht auf dem Rücken von Flüchtlingen stattfindet.

Die Grünen haben vor gut einem Jahr unter Ihrer Führung eine Kommission zum Thema Rechtsextremismus eingesetzt. Von Ergebnissen war relativ wenig zu hören. Warum?

Wir haben zum Beispiel Seminare in unseren Kreisverbänden durchgeführt - damit sie argumentativ besser gegen die von der NPD systematisch ausgebildeten Kader, die in alle Veranstaltungen kommen, gerüstet sind. Wir machen das auch jetzt in Hinblick auf Mecklenburg-Vorpommern, wo zu erwarten ist, dass es einen mit sehr viel Geld geführten Wahlkampf der NPD geben wird. Im Rahmen dieser Kommission haben wir uns auch eingesetzt für eine Verstetigung der Mittel für zivilgesellschaftliche Organisationen. Es ist doch ein Trauerspiel, wie die große Koalition über Monate hinweg ein Geschacher veranstaltet hat, beispielsweise in Bezug auf die Mittel von Opferberatungsstellen. Bis jetzt wissen diese Beratungsstellen nicht, ob sie in einem halben Jahr wirklich noch weiterarbeiten können.

Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden, rät, stolzer zu sein auf Deutschland. Er spricht ausdrücklich von einem gesunden Patriotismus als Identifikationsmöglichkeit. Stimmen Sie ihm zu?

Ach stolz, warum soll ich stolz sein, Deutsche zu sein? Ich bin in Deutschland geboren, ich bin stolz auf meine Eltern, die versucht haben, einen anständigen Menschen aus mir zu machen. Ich wäre richtig stolz auf dieses Land, wenn das, was in unserem Grundgesetz steht, als Reichtum empfunden werden würde. Wenn der Artikel eins des Grundgesetzes - die Würde des Menschen ist unantastbar - wirklich von allen in diesem Land als Aufgabe und Herausforderung gesehen werden würde. Ich habe auch ein Problem mit Begriffen wie gesunder oder kranker Patriotismus. Ein echter Verfassungspatriotismus, der ist wichtig. Aber mit Stolz habe ich es nicht so. (Das Gespräch führte Matthias Meisner.)

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