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CONTRA: Die Kommission überschreitet ihre Aufgaben

„Brüssel ist anderer Meinung. Gehe zurück auf Los.“ So könnte man den Vorstoß von EU-Sozialkommissar Vladimir Spidla aus deutschem Blickwinkel interpretieren. Und nicht nur aus deutschem.

Denn viele EU-Staaten haben Rauchverbote in öffentlichen Räumen und Gaststätten, je nach Parlamentsbeschluss so oder so, aber im Großen und Ganzen kann man die Sache abhaken. Doch Brüssel sagt nein, befeuert auch von jenen, denen die nationalen Regelungen nicht reichen. Via Brüssel soll Einheitlichkeit und mehr Strenge eingeführt werden. Um die Arbeitnehmer in ganz Europa zu schützen, wie Spidla hinterherschiebt. Als ob in den EU-Staaten Arbeitnehmerrechte bislang nichts galten. Und als ob diese nicht gerade von Brüssel und vom EuGH bisweilen unterminiert wurden – siehe Tariftreue.

Spidlas Vorstoß ist wohl Teil einer Sozialoffensive, mit der man das Projekt der europäischen Integration den Bürgern wieder schmackhafter machen möchte. Denn haben nicht einige Mitgliedsvölker die geplante Verfassung per Referendum abgelehnt und damit (vermutlich völlig unabhängig vom Inhalt des Plans) ihren Unmut über Art und Weise der Integration bekundet? Und hat nicht die EU die Liberalisierung im Zeichen des Binnenmarkts bisweilen etwas weit getrieben? Das VW-Gesetz zu kippen, mag ein Gebot einer Binnenmarktordnung sein. Aber ist die EU gegründet worden, um das deutsche Sparkassenmodell zu erledigen? Oder um die Sozialsysteme der Mitgliedstaaten, historisch gewachsen und daher unterschiedlich, einem wie auch immer gearteten „Normalmodell“ anzupassen? Um die parlamentarische Demokratie in diesen Mitgliedstaaten durch ein technokratisches Regime in Brüssel auszuhebeln? Um mittels einer „offenen Koordinierung“ zu lenken, wo es die Bundesverträge gar nicht vorsehen?

Ein Bund (und das ist die EU abseits aller Klassifizierungen wie Bundesstaat, Staatenbund, Staatenverbund) kann nur funktionieren, wenn sich jede staatliche Ebene an das hält, was ihr zugewiesen ist. Zudem: Der Bund namens EU ist nicht als Vereinheitlichungsmaschinerie gegründet worden, sondern als Friedensordnung in einem Europa, das sich in seiner Geschichte einige Kriege zu viel geliefert hat. Um die Europäer enger aneinander zu binden, um den Frieden zu sichern, sollte der wirtschaftliche Interessenausgleich auf europäischer Ebene erfolgen. Daraus entstand ganz konsequent der Binnenmarkt. Aber dem einheitlichen Wirtschaftsraum muss nicht zwangsläufig der unbedingte einheitliche Rechtsraum folgen. Dieser Wirtschaftsraum funktioniert ohne einheitliche Währung, auch wenn die Einführung des Euro in 15 EU-Staaten ein Fortschritt war. Er funktioniert ohne einheitliches Sozialsystem. Ohne einheitliches Bildungswesen. Und ganz zweifellos auch ohne eine Nebensache wie ein einheitliches Rauchverbot.

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