zum Hauptinhalt
Countdown zur Wahl: Malte Lehming berichtet.

© Tsp

Countdown zur US-Wahl: Noch 18 Tage: Der Tag der Verfassung gehört den Immigranten

Der Historiker und Sozialwissenschaftler David Schoenbaum verabscheut den Wahlkampf und die extreme Polarisierung. Seine Hoffnungen setzt er in die Tradition seiner Heimat als Einwanderungsland.

Seine Neugier hat er sich bewahrt, sein Wissensfundus scheint unerschöpflich. David Schoenbaum ist wach und alert. Im Dreieck Amerika, Deutschland und Israel ist er zu Hause. In einem Café am Dupont Circle redet der 77-jährige Historiker und Sozialwissenschaftler auch über die amerikanischen Wahlen. „Ich verabscheue momentan fast alles“, sagt er. Was er damit meint? Die extreme Polarisierung, den Egoismus der Parlamentarier, die Radikalisierung der Republikanischen Partei, die systematische Blockade im Kongress, die marode Infrastruktur, das Bildungssystem. „Wir müssen lernen, in der Welt nicht mehr die Nummer eins zu sein.“

International bekannt wurde Schoenbaum bereits 1966 durch sein Buch „Hitler’s Social Revolution“. Später dokumentierte er die „Spiegel“-Affäre, verfasste gemeinsam mit Elizabeth Pond das 1997 auch auf Deutsch erschienene Buch „Annäherung an Deutschland – Die Strapazen der Normalität“. Gibt es irgendetwas, worauf Schoenbaum in Amerika noch seine Hoffnungen setzt? Ja, die Einwanderer. „Unser Einwanderungssystem ist der letzte entscheidende Vorteil, den wir in der Welt noch haben.“

Man erkennt ein Land auch an den Festen, die es feiert. Am 17. September 1787 wurde die amerikanische Verfassung unterzeichnet. Sie ist eine der ältesten republikanischen Verfassungen der Welt. In 225 Jahren wurde sie nur 27 mal geändert, wobei „Änderung“ das falsche Wort ist. Die „amendments“ ergänzen allenfalls den Wortlaut, denn der ist sakrosankt und muss erhalten bleiben. Die Verfahrenshürden für ein Amendment sind hoch. Zwei Drittel aller Senatoren und Repräsentanten müssen zustimmen sowie die Parlamente von drei Vierteln der 50 Bundesstaaten.

Amerikaner verehren ihre Verfassung. Der „constitution day“ ist ein Feiertag und heißt auch „citizenship day“. Wie wurde er vor einem Monat begangen?

Der Sozialwissenschaftler David Schoenbaum.
Der Sozialwissenschaftler David Schoenbaum.

© Malte Lehming

In der Rotunde des Nationalarchivs in Washington D.C. sind an diesem Tag 215 Neubürger versammelt. Sie kommen aus 69 verschiedenen Ländern. Einige sind verschleiert, andere tragen Sandalen, die meisten haben kleine amerikanische Fahnen dabei. Im Hintergrund spielt eine Band „America the Beautiful“. Dann legen die Neubürger in einer feierlichen Zeremonie gemeinsam den Eid auf die Verfassung ab. Der Name eines jeden sowie dessen Ursprungsland wird aufgerufen, die rechte Hand erhoben.

Malte Lehming berichtet in seinem Countdown zur Wahl aus den USA
Malte Lehming berichtet in seinem Countdown zur Wahl aus den USA

© Tsp

Die Schwurformel orientiert sich an der Präambel des Verfassungstextes: „Wir, das Volk der Vereinigten Staaten, von der Absicht geleitet, unseren Bund zu vervollkommnen, die Gerechtigkeit zu verwirklichen, die Ruhe im Innern zu sichern, für die Landesverteidigung zu sorgen, das allgemeine Wohl zu fördern und das Glück der Freiheit uns selbst und unseren Nachkommen zu bewahren, setzen und begründen diese Verfassung für die Vereinigten Staaten von Amerika.“ Zusätzlich müssen die Neubürger allen anderen Loyalitäten abschwören und sich zur Wehrpflicht bekennen, sofern sie gesetzlich vorgeschrieben wird.

Amerika ehrt seine Einwanderer und baut ihnen Museen. Ellis Island in New York war gar das erste staatliche Museumsprojekt in den USA, das vollständig aus privaten Spenden realisiert wurde. Parallelwelten gelten als normal. Ob Chinatown oder Schuhplattling, St.-Patricks-Day oder Little Italy: Hier kommt jeder von irgendwoher, trägt Erinnerungen, eine Geschichte, Kultur und Tradition mit sich herum. Fast alle Amerikaner sind stolz darauf, Amerikaner zu sein. Aber sie sind auch stolz auf ihre Herkunft.

Der Verfassungstag als Einbürgerungstag. Einen stärkeren Beweis für die Bedeutung der Immigranten kann es kaum geben. Vielleicht war es das, was auch David Schoenbaum noch hoffen lässt für sein Land.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false