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Countdown zur US-Wahl: Noch 26 Tage: Von Kürbissen und Gewehren

Tagesspiegel-Meinungschef Malte Lehming berichtet bis zur Wahl jeden Tag aus den USA. Heute geht es um persönliche Eindrücke - von Gewehren im Sonderangebot über den Kürbisverkauf für einen guten Zweck bis zum HIV-Test für zu Hause.

Heute kommt Banales, ein paar Szenen aus dem Alltag. Wir leben in Alexandria im US-Bundesstaat Virginia, gewissermaßen mit Blick auf Washington D.C. Unsere beiden Kinder, neun und acht Jahre alt, besuchen eine staatliche Ganztags-Grundschule. Dort sind 57 Prozent weiß, 18 Prozent schwarz, 16 Prozent Hispanics, sechs Prozent asiatisch. Viele Kinder werden gezielt gefördert, besonders in Englisch. Jeden Tag gibt es Hausaufgaben – darunter mindestens eine halbe Stunde selbst lesen oder vorgelesen bekommen.

Außerdem müssen einige Regeln beachtet werden: Die Kleidung der Kinder muss die Knie bedecken (Anstand). Die Schuhe der Kinder müssen geschlossen sein (Unfall- und Verletzungsvermeidung). Wer Essen mitbringt, darf es mit niemandem teilen (Allergiegefahr). Geburtstagseinladungen dürfen auf dem Schulgelände nicht verteilt werden (damit sich die Kinder, die nicht eingeladen sind, nicht ausgeschlossen fühlen). Wer das Schulgelände betreten will, braucht einen Besucherausweis, das gilt auch für Eltern (Sicherheit). Für außerschulische Aktivitäten – Fußball, Schach etc. – darf auf dem Schulgelände nicht geworben werden (Gleichheit und Gerechtigkeit, sonst dürfte der Ku-Klux-Klan genauso von diesem Recht Gebrauch machen).

Unser Haus steht in einer Seitenstraße, die in eine Sackgasse mündet. Wochentags ab 16 Uhr treffen sich die Nachbarkinder am unteren Ende zum Spielen. Einige Eltern übernehmen abwechselnd die Aufsicht. Darunter ist Carolyne, deren Mann als Marinesoldat seit fünf Monaten in Afghanistan ist. Zweimal war er zuvor für je ein Jahr im Irak stationiert. Sie schreiben sich lieber als zu skypen, sagt sie. Für den unmittelbaren Kontakt sind die Welten, in denen sie leben, oft zu verschieden.

Malte Lehming berichtet in seinem Countdown zur Wahl aus den USA
Malte Lehming berichtet in seinem Countdown zur Wahl aus den USA

© Tsp

Am Montag war Feiertag, Columbus Day. Spontan verabreden sich die Nachbarn zum abendlichen Grillen. Einer geht von Tür zu Tür, klingelt und informiert die anderen. Jeder bringt etwas mit. Bei Nieselregen und Kälte kommen 15 Erwachsene und 30 Kinder. Ein Baldachinzelt wird an der Straßenseite aufgebaut. Man redet über Schule, Erziehung, Restaurants, die „Nationals“ (die Baseball-Mannschaft von Washington D.C. spielt in den Playoffs). Das verbindende Element ist die familiäre Situation. „Ihre Tochter vermisst ein Klavier? Wir haben im Keller noch ein altes E-Piano, das können wir Ihnen leihen.“

Tags zuvor wurden in unserer Kirchengemeinde aus zwei großen Lastwagen-Anhängern geschätzt mehr als tausend Kürbisse entladen (zwei Tage Muskelkater sind die Folge). Die Kürbisse kamen aus New Mexiko, aus einem Reservat der Navajo-Indianer. Nun liegen sie, nach Größe sortiert, auf dem Gelände vor der Kirche zum Verkauf. Der Erlös geht an wohltätige Organisationen. Nachts werden die Kürbisse von einer Laternengirlande beleuchtet. Dennoch wäre es leicht, sie unbemerkt zu stehlen. Als kleine Abschreckungsmaßnahme hilft die örtliche Polizei. Die Beamten stellen nachts eines ihrer ausrangierten Autos an die Ecke. Das ist zwar leer, aber wer weiß?

In der Wochenendausgabe der Tageszeitung steckt viel Reklame. Bei Walmart beginnt die Jagdsaison. Das günstigste Gewehr ist eine „Remington, NitroMag 887, SPS Shotgun“ für 367 Dollar. Am teuersten ist die halbautomatische Schnellfeuerwaffe „Colt M4 Rifle“ für 1097 Dollar. Darüber steht: „Seriously low prices for serious hunters“.

Bei CVS wiederum kann man jetzt für 40 Dollar „OraQuick“ kaufen, einen zuverlässigen HIV-Test für zu Hause. Keine Blutabnahme, eine Speichelprobe reicht, Ergebnis in 20 bis 40 Minuten. In der Zeitung selbst steht auch ein Bericht darüber. Ist das eine gute oder schlechte Entwicklung? Für gut spricht, dass die Infektionsgefahr verringert werden kann, weil jeder die Testergebnisse seines Partners kennt. Für schlecht spricht, dass etwa der Druck auf Prostituierte wachsen kann, nach einem negativen Testergebnis ungeschützten Geschlechtsverkehr zu praktizieren.

Countdown zur Wahl: Malte Lehming berichtet.
Countdown zur Wahl: Malte Lehming berichtet.

© Tsp

Am 31. Oktober ist großer „Walk-for-the-Homeless“-Tag an der Schule unserer Kinder. Er findet in diesem Jahr zum zehnten Mal statt. In ganz Amerika gibt es im Oktober, wenn die Kältesaison beginnt, Spendenaktionen für Obdachlose. Im Großraum von Washington D.C. ist deren Zahl seit Beginn der Wirtschaftskrise um 23 Prozent gestiegen, darunter 3388 Kinder. Trotzdem wurden Unterkünfte aus finanziellen Gründen geschlossen. Sieben der zehn reichsten Bezirke Amerikas liegen in Washington D.C. Größer als hier, wo mehr als 80 Prozent der Bewohner für Barack Obama sind, könnten die Kontraste kaum sein. Über Armut und Obdachlosigkeit wird in allen Grundschulklassen vor dem 31. Oktober gesprochen. Im vergangenen Jahr kamen 10.000 Dollar zusammen.

Und zuletzt: Obwohl Amerikaner, statistisch gesehen, größer und voluminöser sind als Europäer, sind ihre Toiletten und Badewannen kleiner. Durchmesser Toilette: 38 x 35 cm, Badewanne: 145 x 30 cm.

Fazit? Gibt es nicht.

Malte Lehming berichtet bis zur Wahl jeden Tag aus den USA. Hier finden Sie alle Texte.

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