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Barack Obama muss nach der Niederlage im ersten TV-Duell um seinen Vorsprung in der Wählergunst fürchten.

© dapd

Countdown zur US-Wahl: Noch 31 Tage: Obamas Trauerarbeit

Ein TV-Duell - und alles ist anders. Plötzlich erscheint Romney als ebenbürtiger Rivale im Rennen um die US-Präsidentschaft. Und Barack Obama - in die Ecke gedrängt - holt zum fiesen Gegenschlag aus. Das sieht nicht gut aus.

Laut der Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross stehen dem Menschen fünf Strategien zur Bewältigung extremer Situationen zur Verfügung. Leugnen, Wut, Verhandeln, Depression, Akzeptanz. Die Phasen können sich überlappen, verschieden lang dauern, einzelne können auch übersprungen werden.

Die Anhänger des amtierenden amerikanischen Präsidenten Barack Obama pendeln nach dessen Debattenniederlage gegen Herausforderer Mitt Romney noch immer zwischen den Phasen eins und zwei, Leugnen und Wut. Unwillkürlich fühlt man sich an Gerhard Schröders trotzige Trampelei in der Elefantenrunde nach der von ihm verlorenen Bundestagswahl 2005 erinnert. Was nicht sein kann, das nicht sein darf.

Nun ist die amerikanische Präsidentschaftswahl noch längst nicht entschieden, und Obama hat weiterhin gute Chancen, im Weißen Haus zu bleiben. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass Romney am vergangenen Mittwochabend vor einem Rekordpublikum schlicht besser war. Wach, höflich, konzentriert, klar. Vielen Zuschauern dürfte zum ersten Mal der Gedanke gekommen sein: Romney als Präsident – warum eigentlich nicht?

Malte Lehming berichtet in seinem Countdown zur Wahl aus den USA
Malte Lehming berichtet in seinem Countdown zur Wahl aus den USA

© Tsp

Zur Wahrheit gehört ebenso, dass Obama schlecht war. Müde, gealtert, fahrig, nervös. Angesichts der Bedeutung, die diesem Duell vorher von allen Seiten zugesprochen worden war, wiegt das Versagen des Präsidenten doppelt schwerer. Kein Wunder, dass zu seiner Entschuldigung nun tausenderlei Relativierungen aufgeführt werden. Als da sind: Der Herausforderer ist in der ersten Debatte ohnehin immer im Vorteil; so wichtig sind diese Debatten gar nicht; Romney hatte viel mehr Zeit zur Vorbereitung, Obama muss nebenbei ja auch regieren.

Phase eins – das Leugnen.

Obama selbst ist bereits in der zweiten Phase. Wütend zieht er durchs Land und bezichtigt seinen Widersacher des Lugs und Betrugs. Romney rede heute so und morgen so, man wisse nie, was er wirklich meine. Das beginnt mit der gesetzlichen Krankenversicherung, die er als Gouverneur von Massachusetts einst selbst einführte, aber in Form von „Obamacare“ bekämpft. Und es endet mit den Steuersenkungen (-erleichterungen) für Reiche, die er zwar will, diesen Willen aber abstreitet.

Romney, der flip-flopper. Ein flip-flop ist in Amerika, was ein U-turn in England, ein backflip in Australien oder eine Angela Merkel in Deutschland. Jemand, der sein Mäntelchen nach dem Wind hängt und, je nach politischer Stimmungslage, plötzlich seine Sinne wandelt. Gerald Ford sagte 1976 Jimmy Carter nach, ein flip-flopper zu sein. 1988 versuchte Michael Dukakis gegen Richard Gephardt damit zu punkten. Und 2004 klebte das Etikett an John Kerry, weil man nie genau wusste, ob er für oder gegen den Irakkrieg war.

Doch ob es ebenso fest an Romney haften bleibt, ist fraglich. Denn allzu durchsichtig ist die Strategie des Obama-Camps, damit die Debatte von den Leistungen des Präsidenten und den Bilanzen seiner ersten Amtszeit abzulenken. Man hofft lediglich auf den Nivellierungseffekt zweier Anti-Kampagnen (Romneys Anti-Obama-Rhetorik soll durch Obamas Anti-Romney-Rhetorik gekontert werden). Die Schwäche dieser Strategie ist es, mit staatsmännischem Gestus ausgehebelt werden zu können. Gerade weil Romney gewisse Flip-flopper-Qualitäten hat, wird er demnächst verstärkt „nach vorne gucken“ und die „persönlichen Verunglimpfungen beenden“ wollen.

Countdown zur Wahl: Malte Lehming berichtet.
Countdown zur Wahl: Malte Lehming berichtet.

© Tsp

Obamas Fehler wäre, jetzt überzureagieren. Er darf nicht einfach den Hebel umlegen und auf Krawall umschalten. Ein weiter polarisierter Wahlkampf, in dessen Zentrum der Charakter Romneys gestellt wird, würde Obama in seiner Präsidentenrolle degradieren. Genau in diese Falle wollen ihn die Republikaner locken.

Die Stimmung hat sich am vergangenen Mittwochabend gedreht. Gut möglich, dass Romney in die kommende Woche mit einem kräftigen Umfrageplus geht. Er hat das Momentum. Vielleicht zum erstenmal seit Beginn des Wahlkampfes wirkt er wie ein ebenbürtiger Rivale. Je schneller Obama und die Demokraten diese Tatsache akzeptieren, aus der Schmollecke herauskommen und die Ernsthaftigkeit der Lage erkennen, desto größer sind ihre Chancen, wieder Tritt zu fassen. Phase drei und vier der Trauerarbeit sollten sie rasch überspringen.

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