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Parteichef Horst Seehofer beim CSU-Parteitag in Nürnberg

© Patrick Seeger/dpa

CSU-Parteitag in Nürnberg: Die alten Rezepte versagen

Die Welt hat mal wieder nichts verstanden. Deshalb muss Horst Seehofer beim CSU-Parteitag einiges geraderücken. Dabei ist die Sprachenpanne nicht nur eine Episode, sondern Symptom für die Gesamtlage.

Von Robert Birnbaum

Horst Seehofer versteht mal wieder die Welt nicht mehr. Die Welt will seine CSU einfach nicht verstehen. Also, jedenfalls nicht richtig. Seehofer schlendert durch das Foyer einer Nürnberger Messehalle und stellt sozusagen im Vorübergehen etwas klar. Dass Ausländer zu Hause Deutsch reden sollten, das sei natürlich nie anders gemeint gewesen, als es jetzt im Leitantrag zum CSU-Parteitag steht: „motivieren“ wolle man die Leut’, aber doch nichts vorschreiben!

Der CSU-Chef schüttelt mit sanftem Tadel den Kopf. Wie man bloß auf die Idee kommen kann, in die ursprüngliche Formulierung anderes hineinzulesen, bloß weil es da hieß, Ausländer sollten „angehalten“ werden zum Gebrauch der deutschen Sprache auch in den eigenen vier Wänden! „Sie verstehen alle unsere bayerische Liberalität nicht“, sagt Horst Seehofer. Sie alle, also die Welt da draußen.

Die Reihen licht, der Christkindlesmarkt überfüllt

Der CSU-Parteitag ist in diesem Jahr für den Chef und seine Anhänger mehr eine Pflichtveranstaltung als ein Vergnügen. Von den 1000 bestellten Delegierten sind, wenn man so durch die lichten Reihen schaut, ein paar Hundertschaften zwischendurch auf dem berühmten Christkindlesmarkt Weihnachtsgeschenke einkaufen. Und der Delegierte, der am Freitagabend beim Hinausgehen sein Namensschild auf den Garderobentisch wirft, ist auch nicht der einzige, der den zweiten Tag inklusive der Rede seines Vorsitzenden verzichtbar findet.

Amtlich heißt das Ereignis „Arbeitsparteitag“. Man soll das nicht lächerlich machen. Parteien leben nicht nur für die großen Fragen der Menschheit. Schlechte Schulbusverbindungen auf dem Land sind für viele der Delegierten wichtiger als die meisten „Tagesschau“-Themen.

Für die CSU als Ganze und ihren Chef im Besonderen sind die Schulbusverbindungen keineswegs unwichtig. Aber Seehofer weiß natürlich, dass er es damit niemals in die „Tagesschau“ schafft. Deshalb ist die Sache mit der Sprachpolizei-Formel so ärgerlich. Den Ausländern sagen, wo es für sie langzugehen hat in der bayerischen Liberalität, hat sich ja auch in der Vergangenheit immer mal bewährt für den inneren Zusammenhalt und die Profilierung der Partei als Bewahrer des christlichen Abendlandes. Aber diesmal ist es schief gegangen, und Seehofer muss klarstellen.

Das könnte als Episode durchgehen, wenn man nicht den Verdacht hätte, die Sprachenpanne sei ein gar nicht so untypisches Symptom für die Gesamtlage. Die CSU hat es im Moment schwer, als treibende Kraft der Politik wahrgenommen zu werden. Und wenn sie es versucht, dann funktionieren die alten Instrumente nicht.

Der Spagat der bei Europa-Wahl war zu groß

Für diesen Verdacht gibt es inzwischen eine ganze Reihe von Belegen. Das schwache Ergebnis bei der Europawahl war der deutlichste. Den Peter Gauweiler als antieuropäischen Heimattümler zum Gesicht der Wahlkampagne zu machen, wäre vor zehn Jahren vielleicht noch eine brauchbare Strategie gewesen. Aber inzwischen räumen alle ein, dass der Spagat zwischen Anti-Gauweiler und der „Europapartei“ CSU einfach zu groß war. Die richtigen Anti-Europäer haben die „Alternative für Deutschland“ (AfD) angekreuzt, vom Rest sind zu viele kopfschüttelnd zu Hause geblieben: Was jetzt, Gauweiler oder Edmund Stoiber?

Die CSU verbreitet gern Folklore. Das kann die AfD aber auch

Parteichef Horst Seehofer beim CSU-Parteitag in Nürnberg
Auf ihre Art. Parteichef Horst Seehofer bemüht die Worte eines großen Vorgängers, um zu belegen: Die CSU ist eine liberale Partei.

© Patrick Seeger/dpa

Stoiber ist in Nürnberg natürlich dabei. Er begleitet den Ehrengast Jean-Claude Juncker in die Halle und wird vom neuen EU-Kommissionschef zum Dank als „Spätberufener in Euro-Fragen“ belobigt: „Edmund, welcome to the club, es wird auch Zeit!“ Junckers Ansprache könnte man, wenn der Luxemburger nicht so launig zu plaudern verstünde, ohnehin als eine einzige Watschn für den Gauweiler-Wahlkampf verstehen. Oder wie sonst, um nur bei Stoiber zu bleiben, ist der Satz gemeint, der CSU-Ehrenvorsitzende sei „immerhin ein europäischer Staatsmann und kein bayerischer Provinzpolitiker“?

Für und gegen Europa gleichzeitig zu sein hat nicht funktioniert. Etwas weiter gedacht, steht damit ein sehr altes CSU-Rezept infrage. Lange Zeit hat die Partei der absoluten Mehrheit sehr gut damit gelebt, dass sie sich als Regierung und Opposition zugleich präsentiert hat. Das Problem im Fall Europa war, dass es diesmal eine echte Opposition gab und die CSU plötzlich vielen Wählern als Fälschung vorkam. Eine Partei ohne ernsthafte Opposition kann alles zugleich vertreten. Eine Partei mit Opposition verliert Spielräume.

Es gibt Indizien dafür, dass hinter der Sprachpolizei-Panne das gleiche Problem steckt. Die CSU hat ihre Funktion als rechter Außenflügel des demokratischen Parteienspektrums bisher gerne mal mit dezenter Fremdenfeindlichkeit beglaubigt. Nur gibt es inzwischen auch hier diesen lästigen neuen Konkurrenten.

"Wir haben kein wirksames Konzept"

„Für den Umgang mit der AfD haben wir kein wirksames Konzept“, sagt ein Christsozialer nüchtern. Die Aufgabe hat sich fundamental geändert: Den rechten Rand binden ist etwas völlig anderes als den rechten Rand zurückgewinnen. Was früher Wähler bei der CSU hielt, liefert jetzt denen Rechtfertigung, die noch extremere Positionen vertreten. In der Nacht vor dem Parteitag hat in Mittelfranken eine Flüchtlingsunterkunft gebrannt. Die Täter haben als sichtbares Bekennerschreiben an den Wänden Nazi-Schmierereien hinterlassen. Die Gebäude standen zum Glück noch leer. Seehofer verurteilt sie klar: „Null Toleranz gegen die rechten Dumpfbacken!“

Die AfD ist das eine Problem, die eigene Partei ein anderes. Florian Bacher zum Beispiel versteht die bayerische Liberalität durchaus. Der Christsoziale aus Bad Tölz versteht sie nur ein wenig anders als sein Vorsitzender. Bacher sagt, dass es richtig war, den CSU-Antrag noch zu ändern. „Ich bin überzeugt davon, dass wir gut daran tun, den Familien nicht vorzuschreiben, was sie zu Hause sprechen“, sagt der Kommunalpolitiker.

Er findet, die Bayern müssten sich viel, viel mehr um jene armen Familien kümmern, die den Tod auf dem Mittelmeer in Kauf nehmen, um Krieg und Krisen zu entkommen. Der Delegierte Reinhold Bittner fordert garantierten Abschiebeschutz für junge Flüchtlinge, die in Bayern eine Ausbildung machen. Das Handwerk, sagt Bittner, brauche dringend solche Kräfte.

Die CSU ist eine andere Partei als die Folklore, die sie selbst so gern verbreitet. Ein Delegierter, der im Namen seines Stammtischs über „die Horden des Dschingis Khan“ poltert, die in Oberfranken nachts die Häuser leer räumten – dieser Delegierter wird vom Parteitag als Exot belächelt. Sicher sind reisende Einbrecherbanden ein Problem – aber Hunnengeschrei hilft nicht.

Noch jemand anders findet die Abmilderung des Integrationsantrags sehr, sehr gut. Am Samstag nutzt Ilse Aigner die Debatte zur Parteireform, um sich darüber zu freuen, dass die CSU eine neue Arbeitsgruppe „Zuwanderer, Integration und Heimat“ gegründet hat. „Ich glaube, in den drei Begriffen wird auch vieles klargestellt“, sagt Aigner. Viele Menschen aus anderen Ländern kämen nach Bayern. „Diese Menschen wollen integriert werden, aber sie wollen hier auch eine Heimat finden.“

Ilse Aigner spricht - es klingt wie eine Bewerbungsrede

Parteichef Horst Seehofer beim CSU-Parteitag in Nürnberg
Auf ihre Art. Parteichef Horst Seehofer bemüht die Worte eines großen Vorgängers, um zu belegen: Die CSU ist eine liberale Partei.

© Patrick Seeger/dpa

Das ist ein ganz anderer Ton als jene Antragssätze. Übrigens spricht die Wirtschaftsministerin nicht vom Podium, sondern von einem Saalmikrofon mitten unter den Delegierten. Man darf das eine wie das andere als Demonstration verstehen. Aigner gilt ja als eine der Anwärterinnen auf Seehofers Nachfolge, wenn dieser, wie er es versprochen hat, 2018 seine Ämter abgibt. Der Parteitag erlebt also eine kleine Bewerbungsrede einer sorgenden womöglichen Landesmutter.

Die zweite Bewerbungsrede, der Vollständigkeit halber angefügt, hat Markus Söder am Vortag abgegeben, und zwar vom Podium herab und als kampfesfreudiger womöglicher Anführer. Der bayerische Finanzminister spricht zum Thema kalte Progression. Dazu gibt es auch einen Antrag, für den sich nur so richtig niemand mehr interessiert, weil die große Schwester CDU ihren Progressionsstreit Anfang der Woche mit einem Kompromiss beigelegt hat, der sich vom CSU-Antrag nicht fundamental unterscheidet.

Söder ficht das nicht an, er schlägt das Gefecht noch mal: Es gehe um Gerechtigkeit und gegen heimliche Steuererhöhungen, die CSU habe die CDU da übrigens angeschoben, und wenn die kalte Progression im Moment wegen der geringen Inflation praktisch keine Rolle spiele, „dann können wir’s auch machen!“

Wer die Nachrichten an dem Tag nicht so genau verfolgt hat, versteht gar nicht, weshalb der Söder so stürmisch redet. Die anderen haben gelesen, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble in einem Interview gerade auf die niedrige Inflation hingewiesen und deutlich gemacht hat, dass er diese kalte Progression im Moment für einen ziemlich aufgeblasenen Popanz erachtet.

Schäuble wird zum CSU-Lieblingsdfeind

Schäuble ist ohnehin auf dem besten Weg, zum Lieblingsfeind der CSU zu werden. „Jedes Mal vor unseren Parteitagen gibt der so ein Interview“, ärgert sich einer aus der Parteispitze – zur Maut, zu Finanzen, jetzt zu Steuern, und immer der CSU zum Verdruss. Sie hat es schwer genug, als kleinster Partner in der großen Koalition bemerkbar zu bleiben, so lange Angela Merkel und Sigmar Gabriel beim Regieren derart verhältnismäßig beste Freunde sind. Seehofer ist in den halb offiziellen Parteichef-Runden dabei, die die offiziellen Koalitionsrunden weitgehend ersetzt haben. Es fällt aber wenig auf.

Am Samstagmittag tritt Horst Seehofer vor die Delegierten. Er zählt die Erfolge der Vergangenheit auf, vom Betreuungsgeld bis zur Maut, zu der ja am Vortag Angela Merkel als Gastrednerin das Nötige gesagt habe. Die Kanzlerin tat das dergestalt, dass der Maut-Gesetzentwurf am 17. Dezember um 9.30 Uhr im Bundeskabinett „eine gute Chance“ habe.

Dann kommt die Zukunft: eine „Heimatstrategie“, das digitale Bayern, das „Bündnis mit dem Bürger“, „Bayern zuerst“. Und wie war das mit der lästigen Konkurrenz? Seehofer zitiert, natürlich, wieder die Mahnung des Hausheiligen Franz Josef Strauß: „Rechts von uns keine Partei!“ Aber der CSU-Chef zählt auch auf, dass Bayern in den letzten Jahren 1,6 Millionen Menschen mehr geworden ist, nicht wegen Fruchtbarkeit der Eingeborenen, sondern wegen der Zuwanderung aus aller Herren Länder.

Und noch an etwas erinnert er: Strauß, „der wahrhaftige, nicht der behauptete“ habe die CSU als volksparteiliche Heimstatt für alle definiert, vom Nationalkonservativen bis zum Liberalen und Sozialen. „Selbst Atheisten sind uns willkommen“, zitiert Seehofer den Vorgänger, sofern sie die christliche Orientierung der Partei achteten. Die bayerische Liberalität scheint seinerzeit bereits viel weitherziger verstanden worden zu sein, als man heute oft glaubt.

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