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Politik: „Da haben sich einige daneben benommen“

Warum SPD-Vize Beck dem Außenminister vertraut, wie er die Kanzlerin sieht und wofür er kämpfen will

Herr Ministerpräsident, nach der Kabinettsklausur von Genshagen traten Franz Müntefering und Angela Merkel völlig entspannt vor die Kameras. Versteht sich der heutige Vizekanzler Müntefering besser mit der CDU-Kanzlerin als der frühere SPD-Chef Müntefering mit dem SPD-Kanzler Gerhard Schröder?

Ich glaube nicht, dass diese politische Beziehung enger oder vertrauensvoller ist, als es die zu Gerhard Schröder war. Es stimmt aber, Franz Müntefering und Angela Merkel verstehen sich. Und das finde ich auch in Ordnung. Wenn man eine Zusammenarbeit – und sei es für vier Jahre – vereinbart, dann muss man auch versuchen, sich eine grundlegende Vertrauensbasis zu erarbeiten. Man kann sich nicht im Alltag ständig belauern und jedem Wort misstrauen. Leider gibt es in der dritten oder vierten Reihe der Union noch manche, deren Strategien mehr auf die eigene Profilierung als auf den Erfolg der Bundesregierung ausgerichtet sind.

Sie sprechen von der Atomdebatte?

Ich spreche von der Atomdebatte. Mich wundert es aber auch, wenn jetzt etwa die bayerische Sozialministerin Christa Stewens (CSU) über die Familienpolitik der Bundesregierung herfällt.

Sie wollen am 26. März in Ihrem Land die Wahl gewinnen. Normalerweise haben Landtagswahlen immer einen starken Bezug zur Bundespolitik. Was bedeutet die große Koalition in Berlin für Ihren Wahlkampf?

Es wird bei dieser Wahl vordringlich um Landesthemen gehen, und das finde ich gut. Die bundespolitischen Streitfragen werden sich eher neutralisieren.

Die Popularitätswerte der Kanzlerin der großen Koalition steigen rasant. Kann Ihr Herausforderer Christoph Böhr (CDU) davon profitieren?

Bei allem Bemühen um Fairness: Es fällt mir schwer, Frau Merkel und Herrn Böhr zu vergleichen. Wenn die Umfragen denn stimmen, so ist das mit der Popularität von Herrn Böhr nicht so überragend. Wir werden auch nicht eifersüchtig, wenn die Kanzlerin stärker ins Spiel kommt. Das ist eine fast logische Folge ihres Amtes.

Wenn Sie so lobend über die große Koalition in Berlin reden – ist diese Konstellation nicht auch eine attraktive Option für Rheinland-Pfalz?

Nein. Ich möchte diese Koalition mit der FDP fortsetzen. Wir haben eine sehr ordentliche Arbeit geleistet. Untersuchungen beschreiben uns als Aufsteigerland, sehen uns auf den obersten Rängen bei den Gründerzahlen, Arbeitsmarktzahlen und der Exportquote. Und auch in der Familien- und Bildungspolitik haben wir in Deutschland die Nase vorn.

Das Erbe der rot-grünen Regierung kann den Sozialdemokraten nicht egal sein. Wird Gerhard Schröders Kurs gegen den Irakkrieg nun diskreditiert durch das, was über die Zusammenarbeit von BND und US-Militär in Bagdad in der vergangenen Woche herausgekommen ist?

Zunächst einmal: Die Bundesregierung bestreitet, dass der BND den Krieg der Amerikaner aktiv unterstützt hat. Ich habe keinen Anlass, das zu bezweifeln. Wenn es so gewesen wäre, dass man sich für Kriegshilfsdienste hergegeben hat, dann wäre das in der Tat nicht akzeptabel. Wer in Frage stellt, dass an einem solchen Krisenherd neben anderen auch deutsche Aufklärer tätig sind, der muss sich auch darüber wundern, dass Hühner zwei Beine haben. Keine größere Nation kann es sich leisten, dort keine eigenen Erkenntnisse zu sammeln.

Verunsichern die Berichte die Sozialdemokraten an der Basis?

Darüber wird bei den Sozialdemokraten sicher geredet werden. Aber ich hatte und habe nicht den geringsten Zweifel an der Integrität und Klarheit der Positionen und Entscheidungen von Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Ich habe ihn immer als einen Menschen erlebt, der nicht nur klar strukturiert denkt, sondern auch der Wahrhaftigkeit verpflichtet ist. Ich vertraue seinen Aussagen.

Es tauchen schon zum zweiten Mal aus amerikanischen Quellen Behauptungen auf, die geeignet sind, die rot-grüne Außenpolitik zu diskreditieren. Zuerst nach der Debatte über CIA-Flüge, nun wenige Tage, nachdem Angela Merkel Guantánamo kritisierte. Gibt es da einen Zusammenhang?

Meine Blauäugigkeit hat enge Grenzen. Ich halte das nicht für einen Zufall. Das Durchstechen von solchen echten oder vermeintlichen Informationen ist eine Ungehörigkeit. Da haben sich einige Leute ordentlich daneben benommen.

Auf amerikanischer Seite?

Auf amerikanischer Seite. Denken Sie daran, dass sich US-Beamte nach dem Besuch von Außenministerin Condoleezza Rice in Berlin erdreisteten, vor Journalisten die Zurechnungsfähigkeit der Bundeskanzlerin in Frage zu stellen. Das ist keine Art, wie man mit einem Verbündeten umgeht, das ist eine Ungehörigkeit. Das gilt auch für die Behauptungen über die angeblichen Kriegsdienste des BND. Da trapsen die Nachtigallen so laut, dass die Dachziegeln klappern.

Hat Sie Angela Merkels Kritik an Guantánamo überrascht?

Wer dem Rechtsstaatsdenken verpflichtet ist, kann Guantánamo nicht in Ordnung finden, weil die Gefangenen einem rechtsstaatlichen Verfahren weitgehend entzogen sind.

Hand aufs Herz: Haben Sie vor einem Jahr gedacht, dass Sie jemals eine solche Kritik an der US-Regierung von Angela Merkel hören?

Vor einem Jahr habe ich nicht gedacht, dass sie den Mut aufbringt, die US-Regierung an diesem Punkt so deutlich zu kritisieren. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich eher den Eindruck, sie sucht den Zugang zum Herzen des amerikanischen Präsidenten von der falschen Seite – indem sie nämlich seine Einschätzungen übernimmt. Aber man kann ja dazulernen.

Es gibt ein anderes Thema, bei dem Angela Merkel überraschende Entscheidungen getroffen hat – die Familienpolitik. Läuft die SPD nicht hinter der Union her, seit Ursula von der Leyen das Ressort leitet?

Im Gegenteil. Die Union ist uns Sozialdemokraten in der Familienpolitik hinterhergegangen, weil wir schon viel weiter waren als sie. Die Union hat erst durch die Bundestagswahl verstanden, dass nackte ökonomische Themen die Menschen nicht überzeugen. Außerdem hat die SPD bei den Koalitionsverhandlungen sehr geschickt verhandelt.

Egal, wer zuerst da war und wer hinterherkam: Kann Deutschland in der Kinder- und Familienpolitik in den kommenden vier Jahren einen großen Sprung nach vorne machen, da beide Partner die Wichtigkeit des Themas erkannt haben und sich nicht mehr gegenseitig blockieren?

Es geht für mich noch um mehr. Wir haben die Chance, eine verzerrte Diskussion, in der das Ökonomische einseitig überbewertet wird, endlich wieder gerade zu rücken. Ich bin mir der Bedeutung der Wirtschaft bewusst, ich bin kein Sozialromantiker. Aber wir hatten lange eine öffentliche Debatte, in der nichts mehr galt außer den Aktienkursen. Die ganze soziale Dimension, die kulturelle Dimension, die ökologische Dimension wurden für überflüssig oder nichtig erklärt mit dem Hinweis, die internationalen ökonomischen Zusammenhänge verlangten das so. Ich leugne die Sachzwänge nicht. Aber man darf sie nicht absolut setzen. Wir müssen die Balance wieder herstellen bei dem, was eine Gesellschaft in ihren Werten ausmacht. Wenn wir hier in Deutschland dazu den Anstoß geben, dann wird das von großer Bedeutung auch für die europäische Debatte sein, wenn nicht sogar darüber hinaus.

Auf der SPD-Vorstandsklausur, die heute in Mainz beginnt, spielt das Thema Kinder, Jugendliche, Familie eine wichtige Rolle. Es geht auch um das neue Grundsatzprogramm. Welchen Stellenwert soll Familienpolitik darin haben?

Ganz entscheidend für das Programm wird natürlich die Frage sein, was die Gemeinschaft, was der Staat in einer international gewordenen Ökonomie zu leisten haben. Wir können vieles nicht mehr national beantworten. Aber wir müssen Europas eigenen Weg bestimmen, der das Ökonomische eben nicht absolut setzt, sondern in eine soziale Dimension einbringt. Dabei haben wir auch die demografische Herausforderung zu bewältigen. Ich spreche ausdrücklich von einer Herausforderung, die wir kulturell meistern wollen. Dazu gehört nun einmal: Jede Gesellschaft braucht Reproduktion, sie braucht die Entscheidung für Kinder. Deshalb gehören in ein Grundsatzprogramm auch klare Aussagen zur Familie, zu Bildung und Ausbildung. Familien- und Bildungspolitik ist der Lackmustest auf das, was wir unter sozialer Gerechtigkeit verstehen.

Das müssen Sie erläutern.

Hier entscheidet sich , ob wir wirklich für gerechte Chancen einstehen. Natürlich wird es auch zukünftig noch um Verteilungsgerechtigkeit gehen, aber nicht mehr in erster Linie. Für Menschen, die an den Rand geraten sind, ist es ganz wichtig, dass ihre Kinder Zugang zu Entwicklung und Bildung finden. Eine gerechte Gesellschaft muss allen Wege zu einem selbst bestimmten Leben öffnen, und da ist die Förderung aller Kinder, ist Bildung der Schlüssel.

Die SPD hat ein Bundesland nach dem anderen verloren. Besonders dramatisch hat sich das in Nordrhein-Westfalen gezeigt, dass sie ein Problem an ihren Fundamenten hat.

Man braucht ab und an so etwas wie einen neuen Aufbruch. Menschen brauchen eine innere Motivation, um zu sagen: Ja, dafür lohnt es sich zu kämpfen. So etwas habe ich vor drei Jahren gespürt, als wir hier mit den Ganztagsschulen angefangen haben und gesagt haben: Das wollen wir in fünf Jahren erreichen. Wir brauchen auch im übertragenen Sinne Ziele, für die Menschen sich einsetzen wollen. Mit dem Grundsatzprogramm wollen wir eine solche Diskussion führen: Was können wir tun, um das Ökonomische nicht überborden zu lassen? Wenn unsere Antworten überzeugen, werden wir auch wieder neue Mitglieder gewinnen.

Wie kam es in Rheinland-Pfalz an, dass Matthias Platzeck die preußischen Tugenden lobte?

Sehr gut. Wir sind ja auch preußisch geprägt. Einmal haben wir die bayerische Tradition in der Pfalz. Als Pfälzer lege ich sogar Wert darauf, dass der Löwe, den die Bayern vor sich her tragen, ein Pfälzer Löwe ist. Dann haben wir die rheinhessische Tradition, sehr offen, das Weltkind in der Mitten. Wir haben es verstanden, unseren preußischen Anteil mit dem rheinischen Katholizismus zu verbinden und dem Ganzen damit einen Hauch von Beschwingtheit zu geben.

Das Gespräch mit Kurt Beck führten Tissy Bruns und Hans Monath.

ERDVERBUNDEN

Die Pfalz scheint gut zu sein für lange und große Karrieren. Wie sein berühmtester Vorgänger, Helmut Kohl, ist Kurt Beck, der seit elf Jahren im rheinischen Mainz regiert, hörbar Pfälzer.

BÜRGERNAH

Der 56-Jährige gilt als „Facharbeiter für Leutseligkeit“ – vielleicht das Ergebnis gründlicher Übung: Beck war jahrelang Bürgermeister seiner Heimatgemeinde, gleichzeitig zum Mandat im Landtag.

MÄNNERFREUND

Schon Rudolf Scharping konnte sich auf Becks Loyalität verlassen. Matthias Platzeck dürfte es auch tun. Ihm ließ Beck den Vortritt, als die SPD ihn im Herbst 2005 zum Chef machen wollte.

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