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Politik: Da hilft Nachsitzen

Von Tissy Bruns

Wie gut, dass der großen Koalition im Bundestag ihre Zweidrittelmehrheit nicht sicher ist. Es besteht also einige Hoffnung, dass der Kompromiss scheitert, den Bundesregierung und Bundesländer heute auf den parlamentarischen Weg schicken. Die Föderalismusreform beweise, dass die große Koalition große Reformen zustande bringt, wird es heißen. Das lässt sich leicht behaupten. Denn keiner blickt durch, wenn es um das undurchschaubare Dickicht zwischen Bund und Ländern geht. Wie weit es wirklich entflochten wird, drücken die Verantwortlichen in verdächtig ungenauen Prozentzahlen aus. Die Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze soll von jetzt 60 unter 40 Prozent sinken – immer noch verdammt viel. Für dieses magere Ergebnis will der Bund einen Preis zahlen, der ihm bei einer entscheidenden Frage jede Gestaltungskraft nimmt, bei der Bildung.

Das ist ein Handel von verblüffender Unvernunft. Der Kompromiss ist auch in Wahrheit nicht das Werk der großen Koalition, sondern ein spätes Produkt der Pattsituation zwischen einer schwachen Bundes- und einer starken Ländermacht. Ein Neubeginn wäre sinnvoll gewesen; aber die große Koalition hat sich zur Gefangenen eines Verfahrens machen lassen, in dem es nur noch um den Nachweis geht, dass sie sich einigen kann – egal, worauf. Angela Merkels Interesse ähnelt leider dem ihres Vorgängers. Gerhard Schröders Leidenschaft war auf die Frage konzentriert, ob Deutschland in Brüssel mit einer oder, zur Heiterkeit unserer Nachbarn, mit 16 Stimmen spricht.

Aber wenn Merkel ihr Credo ernst nimmt, wir müssten so viel besser werden, wie wir teurer sind, dann kann sie Schulen und Hochschulen nicht der deutschen Kleinstaaterei anvertrauen. Und wenn es SPD-Chef Matthias Platzeck wirklich darum geht, dass kein einziges Kind zurückgelassen werden darf, dann kann er Kinder und Jugendliche nicht den angeblichen Segnungen des Wettbewerbsföderalismus ausliefern. Was hat das Kind in Neukölln davon, wenn in München die Schulen besser sind? Nichts. Was hat Deutschland davon, wenn künftig nur noch die reichen Süd- Bundesländer bei den Hochschulen richtig zulegen können? Auch nichts.

Es ist kein Zufall, dass in den vergangenen zehn Jahren wichtige Impulse für die Bildung vom Bund kamen, wie die Exzellenzinitiative für die Hochschulen und das Ganztagsschulprogramm. Auch Pisa weist in diese Richtung. Das deutsche Bildungswesen braucht einen Schub zu mehr Einheitlichkeit, vergleichbaren Standards und Abschlüssen. Die Bundesrepublik durchlebt nach der in den 60er Jahren („Wirtschaftsriese, Bildungszwerg“) ihre zweite Bildungskatastrophe. Von der Sache her ist also unerfindlich, warum immer noch mit Tremolo von der Kulturhoheit der Länder geschwärmt wird. Mit den Flexibilitätserfordernissen unserer Zeit verträgt sich das zersplitterte Schulwesen gar nicht.

Merkels Qualitätscredo und Platzecks Anspruch, kein Kind zurückzulassen, sind richtig – beides hat aber harte Konsequenzen. Der deutsche Bildungsatlas ist mit dem Sozialatlas nahezu identisch, wie die Pisa-Studien gezeigt haben. Wo sich soziale und Migrationsprobleme stauen, sieht es in den Schulen traurig aus. Wer aber in die Köpfe investieren will, benötigt Geld. Die Weichen für den schulischen Erfolg werden am Anfang gestellt, alle Kinder müssen zum Beispiel Deutsch sprechen können, wenn sie zur Schule kommen. Können Länder wie Hamburg, Berlin oder Bremen das wirklich alleine durchsetzen? Wer sprachfertige Sechsjährige in der Schule will, muss schon die Vierjährigen fördern. Wir haben zu teure Kindergärten, zu wenig Ganztagsschulen und Hochschullehrer.

Die gesamte Gemeinschaft muss definieren, welche Ausbildung und Qualifikation Kinder und Jugendliche brauchen. Es ist unmoralisch und unmodern, die Verantwortung dafür schwachen Ländern mit leeren Kassen zu überlassen. Die jungen Abgeordneten in allen Parteien sollten bedenken, was in zehn Jahren auf sie wartet, wenn dieser Schritt in die falsche Richtung nicht verhindert wird.

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