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Politik: „Da kann man das Vertrauen in die Justiz verlieren“

Nach der Verurteilung Andreottis fordert Berlusconi weitere Reformen

Für Fiorenzo Angelini ist die Sache sonnenklar. „Mir kommt ein Vergleich mit Jesus Christus in den Sinn“, sagt der römische Kurienkardinal. „Ich bin mir sicher, dass dieser Kreuzweg Giulios mit einer vollständigen Auferstehung im juristischen Sinn enden wird.“ Selbst wenn der Kardinal der einzige ist, der einen Vergleich von Giulio Andreotti mit dem Gottessohn wagt, so zeigen sich doch auch andere hohe Würdenträger der Kirche und des Staates entsetzt über die Verurteilung des früheren Ministerpräsidenten.

Wie die römische Kurie setzt jetzt auch Regierungschef Silvio Berlusconi seine ganze Hoffnung auf den Kassationshof. Dort nämlich soll das Berufungsverfahren zum Urteil von Sonntagabend verhandelt werden. „Bei solchen Urteilen“, so Berlusconi, „kann man auch den letzten Rest von Vertrauen in die Justiz verlieren.“ Der Ministerpräsident kündigte bereits an, dass er die „skandalöse Verurteilung“ zum Anlass für eine grundlegende Justizreform nehmen will.

1979 war in Rom der bekannte Journalist Mino Pecorelli mit vier Schüssen ermordet worden. Bei den anschließenden Ermittlungen war angenommen worden, dass Angehörige der rechtslastigen Geheimloge „Propaganda Due“ den unbequemen Journalisten aus dem Weg geschafft hatten. 1991 wurden sie aber freigesprochen. Es konnten weder Indizien noch Beweise gegen sie gefunden werden.

Mit der Aussage des früheren sizilianischen Mafiabosses Tommaso Buscetta, der heute mit der Justiz im Kampf gegen die organisierte Kriminalität zusammenarbeitet, wurde der Fall 1993 neu aufgerollt. Buscetta sagte aus, dass Andreotti den Mord in Auftrag gegeben habe. Die Staatsanwaltschaft Perugia nahm sich des Falls an, 1999 wurde Andreotti freigesprochen. Die Staatsanwälte, überzeugt von der Schuld des Angeklagten, gingen in die Berufung. Am Sonntag entschied sich das Gericht in Perugia anders als vor drei Jahren.

Andreotti selbst sagte, das Urteil mache ihn fassungslos. „Ich vertraue immer noch der Justiz, auch wenn es mir immer schwerer fällt“, sagte er. „Tatsache ist, dass die Dokumente der Anklage, die nachweisen sollen, dass ich den Journalisten ermorden ließ, nur aus Indizien bestehen.“

Giulia Bongiorno, die Verteidigerin Andreottis, findet es „erschreckend, wenn ein Mann aufgrund bestimmter Dokumente freigesprochen und dann aufgrund der gleichen Dokumente verurteilt wird“. Hier werde „ganz wild interpretiert“. Auch Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi äußerte seine Skepsis dem Urteil gegenüber und meinte, dass man die genaue Begründung der Richter abwarten müsse.

Andreotti hat sich demnächst auch in Palermo vor Gericht zu verantworten. Ihm wird vorgeworfen, sich die Hilfe von Mafiabossen für den Ausbau seines politischen Einflusses auf der Insel zu Nutze gemacht zu haben.

Thomas Migge[Rom]

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