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Die elendste Stadt der Welt: eine Szene aus dem Flüchtlingslager Dadaab in Kenia.

© AFP

Dadaab - das größte Flüchtlingslager der Welt: Wohin mit 400.000 Menschen?

Kenia will das größte Flüchtlingslager der Welt schließen – aus Angst vor einem neuen Anschlag der islamistischen Shabaab-Terrormilizen, die sich angeblich darin verstecken. Wo die bis zu 400.000 Menschen aus dem Lager Dadaab bleiben sollen, ist ungewiss.

Wie aus dem Nichts erhebt sich die gigantische Zeltstadt aus der trockenen Steppe von Nordkenia - ein Meer an kleinen, oft vom Wind zersausten Unterkünften aus einfachem Segeltuch, mitten im braungelben Sand der Steppe. Wo noch Anfang der Neunzigerjahre Nomaden ihre Rinder weiden ließen, erstreckt sich heute - über eine Fläche von fast 50 Quadratkilometer - Dadaab, das größte Flüchtlingslager der Welt. Jetzt will Kenia den Vereinten Nationen kündigen. Das Lager soll verschwinden. Und mit ihm die Menschen.

Tausende Flüchtlinge sind in den vergangenen 25 Jahren auf langen Fußmärschen aus ihrer Heimat Somalia am Horn von Afrika hierher gezogen - in die vielleicht elendste Stadt der Welt. Längst ist Dadaab zu einem Stück Somalia auf kenianischem Boden geworden, zum Ärger der Einheimischen und Leidwesen der Regierung in Nairobi.

Lange hat Kenia das Provisorium in seinen Grenzen dennoch akzeptiert. Das soll sich nun sofort ändern, hat Vizepräsident William Ruto gerade im US-Fernsehsender CNN verkündet. Die Regierung sieht das Camp als Sicherheitsrisiko - seit dem brutalen Überfall der radikalislamistischen Shabaab-Miliz auf die nahe gelegene kenianische Universität Garissa, bei dem vor zehn Tagen 142 Studenten und sechs Sicherheitsbeamte kaltblütig ermordet wurden. Das Lager soll jetzt schnellstmöglich auf die andere Seite der 100 Kilometer entfernten Grenze nach Somalia verlegt werden. Sollten die UN nicht binnen drei Monaten handeln, werde sein Land selbst Hand anlegen und die Menschen umsiedeln, ließ Ruto wissen.

Ganz Kenia lebt seit dem Massaker von Garissa in Angst. Am Sonntag versetzten die nächtliche Explosion eines Stromtransformators an der Universität in Nairobi Studenten in Angst und Schrecken. Viele sprangen in Panik vor einem weiteren Angriff der Terroristen aus den Fenstern. Ein Student starb, weitere 150 wurden verletzt.

Das Vertrauen der Öffentlichkeit ist dahin - und die Somalier in Dadaab geraten unter Generalverdacht. Nicht nur der Vizepräsident ist überzeugt davon, dass sich islamistische Terroristen regelmäßig unter die Flüchtlinge mischen und dort Mitglieder rekrutieren. Jahrelang hat Kenia nichts unternommen. Doch jetzt, da es überall im Land Kritik hagelt für das viel zu langsame Vorgehen der ­Sicherheitskräfte in Garissa, aber auch angesichts der sträflichen Missachtung aller Warnungen vor einem Anschlag, macht sich in Nairobi Aktionismus breit.

Dabei ist es viel zu spät für schnelle Lösungen, wie sie Ruto nun verspricht. Seit dem Zusammenbruch der Zentralregierung in Somalia vor 25 Jahren hat Dadaab das Ausmaß einer Großstadt erreicht, die von einer ganzen Armada an Hilfsorganisationen verwaltet wird. Mittlerweile hausen hier zwischen 350.000 und 400.000 Menschen. Keiner kennt genaue Zahlen. Angeblich leben bereits rund 10.000 Enkel der ersten Flüchtlingsgeneration in dem Camp - und unterstreichen allein durch ihre Anwesenheit die Vergeblichkeit aller Hoffnung. Es gibt Krankenhäuser und zwei Dutzend Schulen. Eigentlich mehr müssten wegen des ständigen Zuzugs vielmehr gebaut werden. Doch daran ist nicht zu denken, weil Kenias Regierung das Lager als Dauerlösung nicht akzeptiert und sich weigert, Hunderttausende Somalis in die eigene Gesellschaft zu integrieren.

Kenia will das Flüchtlingslager, das längst zu einer Stadt geworden ist, auflösen.
Kenia will das Flüchtlingslager, das längst zu einer Stadt geworden ist, auflösen.

© dpa

Den Flüchtlingen bleibt nichts anderes übrig, als in diesem sozialen Niemandsland zu verharren. Die meisten wollen derzeit noch weder zurück in die vom Bürgerkrieg zerstörte Heimat, noch können sie das Lager in eine andere Richtung verlassen. Denn die Straßen, die von Dadaab nach Zentralkenia führen, werden streng kontrolliert. Eine langfristige Lösung können weder die Vereinten Nationen noch die Geberländer offerieren. Neben der chaotischen Politik liegen die Gründe in den viel zu kleinen Ackerflächen der Region, aber auch einer extrem hohen Geburtenrate. Allein in Kenia dürfte sich die Bevölkerung bis 2050 von derzeit 45 auf fast 100 Millionen Menschen mehr als verdoppeln. Für sie gibt es bereits jetzt viel zu wenige Schulen, Hospitäler und vor allem Jobs; die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei rund 60 Prozent. In Dadaab selbst dürfte sie noch sehr viel höher sein.

Wichtig wäre nach Ansicht von Experten vor allem eine politische Lösung für Somalia. Die meisten Flüchtlinge würden bei einem Mindestmaß an Stabilität wohl dann auch dorthin zurückkehren. Nach dem Sturz des Diktators Siad Barre im Jahr 1991 hatte Somalia jahrelang keine Regierung, die das gesamte Land geeint hätte. Zwei Regionen im Norden erklärten sich sofort nach dem Umsturz für selbstständig: Somaliland und Puntland. Vor allem Somaliland ist heute vergleichsweise stabil, während Südsomalia mit der Hauptstadt Mogadischu wegen des anhaltenden Terrors der Al Shabaab noch immer unsicher ist. Knapp 22.000 Soldaten aus Uganda, Burundi und Kenia schützen dort immerhin zunehmend erfolgreich eine international anerkannte, aber intern zerstrittene Übergangsregierung gegen die Islamisten.

Es gab eine ganze Reihe von Friedensinitiativen, doch braucht eine politische Lösung neben Geduld vor allem die Bereitschaft, die komplizierten Clanstrukturen im Land zu verstehen. Ansätze für eine Lösung liefert vor allem das international nicht anerkannte Somaliland. Doch statt sich das Experiment dort genauer anzuschauen und die wenigen Oasen der Stabilität als Sprungbrett für einen Neuanfang am Horn von Afrika zu nutzen, ist der Westen ganz auf die Unterstützung der fragilen Regierung in Mogadischu fixiert.

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