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Politik: „Dafür nehme ich allen Ärger dieser Welt in Kauf“

PDS-Chef Lothar Bisky über die Vereinigung der Linken, drohende Konkurrenz durch eine andere SPD – und skurrile Vorwürfe

Die Linkspartei wird in Umfragen zum Teil klar zweistellig gehandelt, sie selbst aber setzen das Wahlziel bescheidener. Warum?

Ich werde nie so euphorisch wie andere sein, aber auch nie so betrübt wie andere. Wir müssen realistisch bleiben. Acht Prozent wären ein gutes Resultat.

Wird Ihnen etwas mulmig, wenn Sie den Aufschwung der Linken in den vergangenen Monaten Revue passieren lassen?

Ja, aber ich würde alles genauso wieder machen (lacht).

Stichwort Realitätssinn. An diesem Samstag wird der Parteitag in Berlin das Wahlprogramm beschließen. Mit wie vielen Änderungen rechnen Sie?

Schwer zu sagen. Es ist wie immer ein dickes Antragsheft, es gibt fleißig mitdenkende Genossen. Der Parteivorstand hat in seiner Weisheit eine Reihe von Anträgen übernommen.

Sie korrigieren Ihre Forderung zum Mindestlohn, wollen nun 1000 Euro netto statt 1400 Euro brutto. Ist Ihr Programmentwurf zu populistisch gewesen?

Der Eindruck täuscht. Unser politisches Ziel ist, dass jeder 1000 Euro in der Tasche hat, da hat sich also praktisch nichts geändert. Damit sind wir realistisch. Andere fordern mehr, mir geht es nicht um das Höchstgebot, sondern darum, dass es überhaupt einen gesetzlichen Mindestlohn gibt.

Die Debatte um mehr Realismus ist auch von Oskar Lafontaine befeuert worden. Er hat deshalb, wie zuvor schon nach seiner „Fremdarbeiter“-Äußerung, Kritik aus der PDS einstecken müssen.

Ich finde gut, dass Oskar Lafontaine sich einmischt. Aber er hat auch Ansichten, die nicht zu unserem Wahlprogramm passen. Zum Beispiel, um Ihre Frage vorwegzunehmen, in der Frage des EU-Beitritts der Türkei, den wir wollen. Es ist doch klar, dass Lafontaine, der Jahrzehnte in der SPD war, manches anders sieht. Eines haben wir verstanden: Es gibt eine große Menge von Gemeinsamkeiten, und dafür streiten wir. Man kann sich Meinungsverschiedenheiten ja auch aufheben, um sie in den nächsten Jahren gründlich zu diskutieren.

Wieso wird Lafontaine viel heftiger attackiert als Gregor Gysi?

Lafontaine polarisiert, zugegeben. Aber das ist kein Grund, ihn unter der Gürtellinie zu bekämpfen. Das artet inzwischen zur Kampagne aus. Bei uns wird er von der Mehrheit angenommen.

In Ihrer Zeit als PDS-Chef haben Sie immer mit Unruhestiftern zu tun gehabt. Wird das bald noch viel schlimmer, wenn sich eine neue Fraktion mit vielen unbekannten Gesichtern bildet, wenn die Vereinigung mit der WASG kommt?

Es wird wesentlich komplizierter, als ich es bisher erlebt habe. Aber es geht um was: Wenn in Ost und West eine Linke zusammenwachsen würde als eine starke Kraft neben der Sozialdemokratie, nehme ich dafür allen Ärger dieser Welt in Kauf. Und diese neue Linke kann sogar Spaß machen.

Sollte die neue Fraktion öffentlich tagen wie bis 2002 die PDS im Bundestag?

Wenn es nach mir geht, ja. Für uns ist das ein Stück politischer Kultur.

Der Europaabgeordnete André Brie warnt vor Überalterung der PDS, vor Kandidaten-Jugendkult, vor geringen Berührungspunkten des Linksbündnisses zu kritischen Intellektuellen. Lafontaine nennt er einen „Luxus-Linken“. Alles falsch?

Der Prozess hin zu einer neuen Linken in Deutschland läuft seit drei Monaten, da finde ich es reichlich verfrüht, zu einem solchen Urteil zu kommen. Den Vorwurf des „Luxus-Linken“ aus dem Munde eines Europaabgeordneten finde ich doch ein wenig skurril.

Berlin wäre ein schönes Experimentierfeld für das Parteienbündnis. Aber dort will die WASG bei der Abgeordnetenhauswahl 2006 gegen die PDS kandidieren.

Ich setze für das Problem Berlin auf die Kraft der Vernunft. In einem Jahr lässt sich manches ändern. Ja, die WASG in Berlin hat sich gegen die Politik des rot-roten Senats gebildet. Ich aber werde deshalb nicht schizophren und stehe zu dem, was die Berliner PDS in der Regierung macht, in kritischer Solidarität.

Was passiert, wenn SPD und Grüne nach einer verlorenen Wahl nach links rücken?

Kanzler Gerhard Schröder kämpft für die Agenda 2010. Da gibt es keine Berührungspunkte.

Das war nicht die Frage.

Ich höre ständig, die wollen nicht mit uns zusammenarbeiten. Da darf ich einmal erklären: Darum geht es uns überhaupt nicht. Wenn sich politisch etwas ändert, muss man neu überlegen. Eine wirklich soziale linke Orientierung bei SPD und Grünen würde ein ernst zu nehmender Konkurrenzfaktor für uns als Linkspartei werden. Aber mir ist die Konkurrenz lieber als die Einsamkeit.

Und wenn Lafontaine und andere die Linkspartei mit der Sozialdemokratie zusammenführen wollen?

Von der kulturellen Herkunft kommen Lafontaine und ich aus verschiedenen Welten. Ich träume nicht von der großen vereinigten Sozialdemokratie. Zwei, vielleicht drei linke Parteien sind doch nicht das Schlechteste. Mein Bedarf an Einheitsparteien ist gedeckt.

Das Gespräch führte Matthias Meisner.

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