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Protest. Demonstranten gehen in Douma, einem Trabantenvorort von Damaskus, auf die Straße.

© Reuters

Damaskus: Dutzende Funktionäre verlassen Regierungspartei

Das brutale Vorgehen syrischer Elitetruppen gegen die Bewohner der Stadt Daraa stößt offenbar innerhalb des Regimes und der Armee auf wachsende Kritik.

Mehr als 200 Funktionäre der Baath-Partei legten am Donnerstag in einem gemeinsamen Protestschreiben ihre Mitgliedschaft nieder. Auch in die Hafenstadt Latakia, eigentlich eine Hochburg der alawitischen Machtelite Syriens, rückten Panzer ein. Aus Daraa berichteten Aufständische, Offiziere und Wehrpflichtige hätten Schießbefehle verweigert und seien zu ihnen übergelaufen. Unterdessen riefen die Regimegegner über Facebook für diesen Freitag zum „Tag des Zorns“ mit Demonstrationen im ganzen Land auf. Man werde Daraa nicht im Stich lassen, erklärten die Aktivisten.

Ein Armeesprecher bestritt nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Sana, dass es bei der Truppe Meutereien gegeben habe. Ungeachtet dessen sind im Internet erste Videos aufgetaucht, die solche Vorfälle belegen könnten. Auf einem sind mehrere angeschossene Soldaten in blutigen Uniformen zu sehen, die mit schmerzverzerrten Gesichtern auf dem Boden liegen, während sie von zivilen Helfern versorgt werden. Sie sollen angeblich von Kameraden unter Feuer genommen worden sein, weil sie nicht auf ihre Landsleute schießen wollten. Auf einem anderen Video skandierten junge Leute aus Daraa „Wir haben keine Angst. Die Armee ist mit uns“. Reuters zitierte einen ausländischen Diplomaten mit den Worten, die größte Beerdigung bisher sei die Beisetzung von Soldaten gewesen, „die den Schießbefehl auf Demonstranten verweigert haben und auf der Stelle exekutiert wurden“. Ein anderer Diplomat wusste von mindestens einem Vorfall, wo Soldaten Mitglieder der Geheimpolizei aktiv daran gehindert hätten, auf Demonstranten zu schießen.

Die aus der Baath-Partei ausgetretenen Funktionäre aus der Region von Daraa und der Küstenstadt Banias erklärten in ihrem Memorandum, der kollektive Schritt sei ein Protest gegen „den Tod von Hunderten und die Verwundung von Tausenden durch die verschiedenen Sicherheitskräfte“. Nach Angaben aus Daraa wurden deren Einheiten am Mittwoch durch Panzer der von Assads Bruder Maher al Assad geführten Vierten Brigade verstärkt. Die Provinzstadt nahe der Grenze zu Jordanien ist total von der Außenwelt abgeriegelt, seit Montag sollen mindestens 42 Menschen ihr Leben verloren haben. Das bisher jüngste Opfer ist ein sechsjähriges Mädchen, das auf dem Dach ihres Elternhauses spielte.

Bewohner von umliegenden Ortschaften, die zu Fuß Wasser und Lebensmittel in die belagerte Stadt bringen wollten, mussten umkehren, nachdem Soldaten an der Straßensperre ihnen drohten, sie mit Artillerie zu beschießen. Bewohner berichteten dem britischen Sender BBC, niemand könne das Haus verlassen. Die Straßen seien voll mit Soldaten und Scharfschützen. Milizen würden systematisch Läden verwüsten. Ähnliches berichten auch die Anwohner der beiden Trabantenvororte von Damaskus, Douma und Al Muadamiyah. Hier sind zahlreiche Geschäfte geschlossen. Niemand darf das Haus verlassen, die Lebensmittel werden knapp.

Seit Beginn der Unruhen lässt Syrien keine ausländischen Journalisten mehr ins Land. Am Donnerstag kündigte auch Al Dschasira an, als letzter ausländischer Sender sein Büro in Damaskus zu schließen. Nach Angaben des Studioleiters hatten Regierungsschläger die Senderäume in den letzten drei Tagen ununterbrochen mit Eiern und Steinen beworfen sowie das Personal bedroht.

In der Grenzregion zum Libanon brachten sich unterdessen hunderte von Menschen im Nachbarland in Sicherheit, nachdem im Grenzort Tall Kalakh Schießereien zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften ausgebrochen waren. Auch in der Hafenstadt Latakia feuerten Sicherheitskräfte auf Demonstranten und verwundeten vier. Unruhen in der Region Latakia sind für das Regime besonders problematisch, weil hier die Minderheit der schiitischen Alawiten ansässig ist. Ihre Angehörigen dominieren seit dem Putsch von Hafiz al Assad 1970 die syrische Machtelite. Die meisten hohen Offiziere stammen aus dieser Religionsgemeinschaft, zu der neben der Assad-Familie gut zehn Prozent der syrischen Bevölkerung zählen. Dagegen ist die große Bevölkerungsmehrheit der Sunniten nicht annähernd so stark in Schlüsselpositionen vertreten. Eine wichtige Rolle in der religiösen und ethnischen Vielfalt des Landes spielen auch die Christen mit 13 Prozent, die Kurden mit zehn und die Drusen mit fünf Prozent. Viele syrische Christen hatten sich in der Vergangenheit mit der Assad-Herrschaft arrangiert, weil sie für einen säkularen Staat stand. Sie sahen in dem Regime, weil es sich selbst aus einer religiösen Minderheit rekrutiert, einen gewissen Schutz gegen staatliche Diskriminierung durch eine sunnitische Mehrheit.

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