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Politik: Darf man in der SPD noch widersprechen, Herr Scholz? Der Generalsekretär über Macht in der Partei – und die Gefahr des Untergangs

Sie feiern im Mai den 140. Geburtstag der SPD.

Sie feiern im Mai den 140. Geburtstag der SPD. Was schreiben Sie auf die Geburtstagstorte?

Erneuerung hat bei uns Tradition!

Ein wenig lang für eine Torte.

Es wird eine große Torte.

Wofür steht inzwischen das „S“ in SPD? Für sadistisch, für sterbend oder für stillgelegt?

Das „S“ steht nach wie vor für sozialdemokratisch. Wir sind die Partei der Gerechtigkeit. Wir machen soziale Politik und Gerhard Schröders Reformagenda ist das, was man machen muss, wenn man die soziale Marktwirtschaft in Deutschland erhalten will.

Viele in ihrer Partei empfinden Schröders Pläne als Zumutung. In der Fraktion formiert sich bereits eine Koalition der Ablehner.

Unsere eigenen Leute sind von unserer Politik stärker überzeugt, als Sie gerade glauben. Ich bin sicher, dass wir das gesamte Reformprogramm sowohl in der Partei als auch in der Fraktion durchbringen werden. Es wäre im Übrigen irritierend, wenn alle von vornherein schon überzeugt wären.

Wenn etliche Abgeordnete jetzt sagen: Wir haben sehr gute Gründe, bestimmte Reformpläne abzulehnen. Was kann denn passieren, damit diese Abgeordneten in ein paar Monaten anderer Meinung sind?

Erstens machen wir diese Politik, weil wir sie richtig finden und glauben, die Menschen damit überzeugen zu können. Zweitens sind wir eine Partei mit 140jähriger Tradition. Und das Zusammenhalten gehört zu den wichtigsten Erfahrungen unserer Tradition. Beide Gründe werden dazu führen, dass wir gemeinsam unsere Politik durchsetzen.

Ist innerparteiliche Demokratie wichtig?

Oh ja, sehr wichtig. Eine Volkspartei kann nicht ohne ihre Mitglieder leben. Und die Mitglieder werden sich nur dann wohl und gut aufgehoben fühlen, wenn sie mitbestimmen und mitdiskutieren können.

Genau das dürfen sie bei Schröders „Agenda 2010“ nicht. Sie wurden nicht gefragt, haben keine Einflussmöglichkeiten.

Diese Agenda ist aus der SPD gewachsen. Wir sind es, die sich die meisten Sorgen darüber machen, dass Menschen arbeitslos sind. Und wir sagen, man darf den über 20 Jahre gewachsenen Skandal der Langzeitarbeitslosigkeit nicht hinnehmen. Die Reformen wollen genau dieses Problem lösen. Das ist unser gemeinsames, sozialdemokratisches Projekt.

Mit Verlaub, Sie klingen wie der Vertreter eines Kanzlerwahlvereins. Wo ist da die Provokation, die ein Generalsekretär wagen sollte?

Ein Generalsekretär darf Provokationen wagen . . .

. . . tut aber besser daran, dies in der SPD nicht zu machen.

Falsch. Aber es ist trotzdem so, dass die Politik, die der Kanzler am 14. März vor dem Bundestag vorgetragen hat, das Projekt der ganzen Parteiführung ist. Wir wollen es in der SPD mehrheitsfähig machen, aber auch bei den Menschen.

Aber die Menschen haben sie nicht wegen dieses Reformkurses gewählt, sondern aus dem Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit.

Sie haben auch recht daran getan. Denn bei den Reformschritten geht es doch um möglichst viel soziale Gerechtigkeit.

Komisch. Zur Zeit würden nur 27 Prozent SPD wählen.

Ich hab auch schon bessere Umfragen gelesen.

Die Optimisten geben Ihnen 32 Prozent.

Alle diese Umfragen sind viel zu schlecht. Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir jetzt alles richtig machen. Dazu gehört, dass wir keiner notwendigen Reform ausweichen. Wobei wir im Gegensatz zur Opposition die soziale Marktwirtschaft erhalten und nicht aufweichen wollen.

Ist das ein Kampf der Ideologien, der zwischen Ihnen und der Opposition stattfindet?

Den Herren Merz oder Westerwelle geht es in der Tat nicht mehr um eine Reform der sozialen Martwirtschaft. Sie wollen das Soziale aus der Marktwirtschaft streichen.

Darf eine sozialdemokratische Partei das Arbeitslosengeld einschränken und die Arbeitslosenhilfe senken, ohne dies von einer breiten Mehrheit der Partei, etwa auf einem Parteitag, legitimieren zu lassen?

Wir haben eine einstimmige Entscheidung des Präsidiums und eine fast einhellige Unterstützung durch den Parteivorstand. Jetzt reden wir auf vier Regionalkonferenzen mit den Mitgliedern. Die Führung müsste sich übrigens nicht vor einem Parteitag fürchten. Der würde sicher mit der Unterstützung des Kanzlers und der eigenen Regierung enden.

Warum haben Sie nicht schon zu Regionalkonferenzen eingeladen, bevor die ganze Agenda feststand?

Nochmal, ich glaube, das Programm vom 14. März ist zutiefst sozialdemokratisch. Es gehört zu dem gesamten Reformprojekt, das wir seit 1998 verfolgen. Deshalb bin ich mir sicher, dass es ohnehin die breite Unterstützung der SPD hat. Dennoch ist der Kanzler, sind wir bereit, auch alle unangenehmen Fragen zu beantworten.

Die Partei darf zwar diskutieren, aber der Kanzler macht trotzdem sein Ding.

Was der Kanzler vorgeschlagen hat, ist das Ergebnis einer langen Diskussion in der SPD. Das ist doch nicht vom Himmel gefallen. Diese Vorschläge sind authentisch von uns geboren. Wir sind keine Kanzlerpartei, sondern die Partei, die die Volkspartei in Deutschland und wahrscheinlich weltweit erfunden hat.

Ist der Generalsekretär nicht der Parteichef des Alltags?

Doch.

Und der sorgt dafür, dass die Partei immer vorauseilend gehorsam zu dem zu steht, was der Kanzler vorher beschlossen hat?

Niemand wünscht sich vorauseilenden Gehorsam. Wir bringen ja die Überlegungen aus der Partei in den Planungsprozess von vornherein mit ein. Die Meinung der SPD ist also in den ganzen Entscheidungsprozess mit eingeflossen.

Ist das, was der Kanzler vorgeschlagen hat zwingend notwendig, damit sie 2006 die Wahl gewinnen?

Ja.

Und wenn die Partei vieles wieder umschmeißen würde, dann wird die SPD verlieren?

Sie wird die Wahlen gewinnen, weil sie den Umbau des Sozialstaates so zu Stande bekommen hat, dass die Menschen hinterher sagen: Das war notwendig und richtig.

Wann wird die Rürup-Kommission denn nun in die Wüste geschickt, wie der Kanzler es angedroht haben soll?

Gar nicht. Die Kommission soll und wird uns Vorschläge machen. Schlecht ist nur, dass immer wieder Einzelvorschläge bekannt werden. Schöner wäre, wenn bei denen, nicht im Realen, aber doch im Virtuellen, eine Art Klosteratmosphäre existiert hätte.

Wann proklamieren Sie die Lufthoheit über den Krankenbetten?

Das lassen wir mal. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass wir eines garantieren müssen: Niemand, der krank wird, muss Sorgen haben, dass er nicht die richtige Behandlung bekommt. Und niemand, der darüber nachdenkt, dass er mal krank werden könnte, sollte Angst haben.

Sie haben bei der Krankenversicherung und bei der Rente erst Ende 2002 „Notmaßnahmen“ beschlossen, damit die Beiträge nicht weiter steigen. Nun droht trotzdem eine gewaltige Erhöhung.

Wir leben in einer dynamischen Wirtschaftsordnung und nicht mehr im Feudalismus. Da ändert sich ständig alles, und deshalb kann man keine Vorhersagen auf alle Zeit machen. Trotzdem werden wir jetzt strukturelle Entscheidungen treffen, um langfristig dafür zu sorgen, dass unsere Sicherungssysteme funktionieren. Wir werden uns vor keiner Entscheidung drücken. Wir müssen bei allen Reformen so weit gehen wie möglich und nicht zwischendurch stecken bleiben. Das ist auch eine Lehre aus der Vergangenheit: Nicht mit halbem Mut vorgehen.

Können wir jetzt mit einer Garantiekarte rechnen, auf der alle Reformen aufgeführt werden, also: Wir garantieren, dass Ihre Rente sicher ist, dass Sie Ihre Krankenbehandlung bezahlt bekommen?

Das ist kein schlechter Vorschlag. Allerdings darf man da nichts Unplausibles sagen. Was wir erreichen wollen ist zum Beispiel, dass jeder zu Recht annehmen kann, dass das Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben bei der Rentenversicherung aufgeht.

Was würde auf dieser Garantiekarte zum Thema Arbeitslosigkeit stehen?

Alles, was man realistischerweise machen kann, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, werden wir tun .

Nimmt Wolfgang Clement den Mund zu voll, wenn er sagt: Mein Ziel ist wieder Vollbeschäftigung in Deutschland.

Die europäischen Regierungschefs haben das als Ziel für das Jahr 2010 in Europa formuliert. Der Kanzler hat seine Pläne „Agenda 2010“ genannt. Vollbeschäftigung ist keine Aufgabe von wenigen Jahren, sondern für eine Dekade. Es geht darum, ob wir das Ziel der Vollbeschäftigung überhaupt für ein Politikziel halten oder ob wir uns zynisch damit abfinden, dass das eben nicht geht. Letzteres ist die Sicht von Privilegierten, die wir nicht teilen können.

Manche Spötter sagen, die SPD sei inzwischen eine Arbeitsgemeinschaft 60 plus. Finden sie das witzig?

Nein. Da kann ich nicht drüber lachen. Das ist auch ungerecht. Wir haben die meisten jungen Mitglieder im Vergleich mit anderen Parteien. Aber nicht genug. Wir müssen jetzt in ganz anderer Weise als zuvor um junge Mitglieder werben. Gelingen kann das nur, wenn diejenigen, die sich engagieren wollen, das Gefühl haben: die SPD ist der Ort, an dem es um die Dinge geht, die einem selber wichtig sind. Dafür will ich arbeiten.

Der SPD-Vorstand ist trotzdem fast ein Rentner-Gremium.

Wir haben in der Tat einen Erneuerungsbedarf. Wir werden den Parteitag im November nutzen, um eine deutliche Verjüngung hinzubekommen.

Nennen Sie mal eine Quote!

Ich sage keine Zahl.

Sollen sich die Jüngeren Kampfabstimmungen um die Führung der Partei stellen?

Alle, die meinen kandidieren zu müssen, sollen das tun.

Kennen Sie eigentlich alle sozialdemokratischen Parteiprogramme auswendig? Es wirkt manchmal so.

Nein, nicht auswendig, aber ich kenne sie gut. Und bald kommt ja wieder ein neues Programm.

Dürfen daran auch die Jungen mitarbeiten?

In unserem Redaktionsteam ist sichergestellt, dass viele Jüngere mit dabei sind. Dadurch wird auch die unterschiedliche Sicht einer jüngeren Generation mit einfließen. Ich schätze, dass ein Drittel des Redaktionsteams zu den Jüngeren gehört.

Bis wann zählt man bei Ihnen denn noch zu den Jüngeren?

Bis Anfang vierzig. Es gibt unter den Jüngeren keine Generation mehr mit einer eigenen Identität, wie das früher mal war. Das hat den Vorteil, dass der generative Veränderungsprozess viel einfacher verlaufen wird als der nach 1968 in der SPD. Die Jungen, die sich heute bei uns engagieren wollen, werden viel schneller nach oben kommen.

Wird es 2006 schon einen jüngeren Kanzlerkandidaten der SPD geben?

Im Augenblick sorgen wir alle gemeinsam dafür, dass wir auch diese Wahl gewinnen werden.

Der Irak-Krieg könnte ja lehren, dass es sich lohnt, prinzipienfest zu sein. Wenden wir das einmal auf die Innenpolitik an. Sind der Bundeskanzler und seine Partei davon überzeugt, dass sie jetzt reformieren müssen oder untergehen?

Ja.

Das Interview führten Stephan-Andreas Casdorff, Markus Feldenkirchen und Ingrid Müller.

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