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Politik: Das Biotop, das keines war

Von Antje Vollmer

Der Wahlkampf – so kurz er sein wird – hat nun auch schon den Trialog erreicht. Ist das wirklich ein staatsbürgerlicher Fortschritt? Sei’s drum! Mit Richard Schröders Philippika gegen die Grünen am vergangenen Sonntag ist bei mir eine gewisse Erleichterung eingetreten: Die Katze war endlich aus dem Sack.

Ach, gerne stimme ich zu: Die Grünen haben kein Monopol auf Zukunftsfähigkeit. Alle Parteien sind aufgerufen, Politik zukunftsfähig zu gestalten. Wenn das nur endlich zentraler Maßstab für die Debatten der nächsten Wochen würde! Wer um die Beachtung von ökologischer Nachhaltigkeit und friedlicher Konfliktregelung wirbt, will damit nicht die von Schröder denunziatorisch als „komfortables Biotop“ bezeichnete alte Bundesrepublik retten, sondern gegen eine sich heute wieder verbreitende Zukunftsvergessenheit und eine unerträgliche Beschleunigung aller Prozesse ankämpfen.

Ich glaube gern, die komplizierte Entwicklung der Bündnisgrünen ist von außen nicht einfach zu beurteilen, vielleicht nervt sie auch gelegentlich. In den 15 Jahren nach der Wiedervereinigung hätte aber ein genaueres Hinschauen den Abschied von einigen Ressentiments schon ermöglicht. Die Behauptung, wir Grünen hätten kein Sensorium für die wirklichen Probleme dieses Landes, predigten Öko pur und Libertinage, erscheint mir – gelinde gesagt – ein bisschen schlicht. Schon aus Gründen der Vernunft haben wir begriffen, dass Öko nicht gegen die Menschen gewendet werden darf. Auch Wirtschaft buchstabieren die Grünen seit Jahren nicht mehr nur als Windkraft, Biodiesel und Dosenpfand. Und die absolute Libertinage findet nirgendwo so entschiedene wertkonservative Gegner wie bei den Grünen selbst.

Auch die Behauptung, ein Militäreinsatz wie im zerfallenden Jugoslawien sei im westgrünen kuscheligen Weltbild nicht vorgesehen gewesen, blendet mächtig viel aus. Tatsächlich haben die Grünen zusammen mit der ganzen Nachkriegsrepublik – und übrigens auch vielen DDR-Kirchenleuten – einen aufreibenden Lernprozess durchgemacht, an dessen Ende das Begreifen einer neuen Weltverantwortung steht. Was ist daran verachtenswert?

Die Tatsache, dass Schröder eine Minderheitenmeinung zur Deindustrialisierung der ehemaligen DDR und eine reine Schnapsidee zum Kronzeugen für seine Abneigung gegen die Bündnisgrünen macht, finde ich schlicht unter Niveau. Der dramatische Niedergang in den neuen Bundesländern ist den unerbittlich wirkenden Gesetzen eines liberalisierten Marktes geschuldet, nicht etwa zu vielen Ökoauflagen.

Und selbst die Treue zum rot-grünen Projekt will mir nicht wirklich als große Charakterdeformation der Grünen erscheinen. Wer hätte das überhaupt je gedacht, dass wir im Festhalten an einem einmal gegebenen Wahlversprechen am Ende gar preußischer sein würden als mancher Sozialdemokrat!

Die Autorin ist Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und Grüne.

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