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Politik: Das Ende eines langen Krieges (Kommentar)

Eine "Revolution" wird prophezeit, eine "Welle der Euphorie" diagnostiziert. Selbst Nahost-Kommentatoren, die sonst eher nüchtern sind, überschlagen sich.

Eine "Revolution" wird prophezeit, eine "Welle der Euphorie" diagnostiziert. Selbst Nahost-Kommentatoren, die sonst eher nüchtern sind, überschlagen sich. Das neue Jahrtausend, so heißt es, werde mit dem Ende eines Jahrhundertkonfliktes beginnen. Das klingt zwar pathetisch, aber Pathos ist durchaus angebracht. Israel und Syrien nehmen in der kommenden Woche direkte Friedensverhandlungen auf: Wie ein "Blitz aus heiterem Himmel" sei die Nachricht eingeschlagen. Das Bild ist nicht ganz richtig. Eher müsste man von einem Sonnenstrahl sprechen, der sich den Weg durch dichte Dezember-Wolken gebahnt hat.

Im Frieden mit allen Nachbarn leben: Dieser Wunsch vieler Israelis, der lange Zeit utopisch wirkte, ist plötzlich Möglichkeit geworden. Deutlicher als je zuvor hat der syrische Präsident Hafis el Assad seine Bereitschaft signalisiert, den Kriegszustand zu beenden. Doch warum traut sich der "Löwe von Damaskus" gerade jetzt in die Arena? Auf diese Frage gibt es drei Antworten. Zum einen weiß Assad, dass US-Präsident Bill Clinton, dessen Unterhändler den Durchbruch herbeigeführt haben, als Friedensstifter in die Geschichtsbücher eingehen will. Clinton wird dafür alles, was noch in seiner Macht steht, tun und investieren. Zum zweiten ist Assad seit langem krank. Seine biologische Uhr tickt. Nur er jedoch kann die Widerstände, die es gegen einen Friedensschluss geben wird, überwinden. Seinen Nachfolger will er mit dieser Hypothek nicht belasten. Und zum dritten sind seit der Wahl Ehud Baraks zum israelischen Ministerpräsidenten die Chancen für einen echten Frieden so gut wie nie zuvor.

Die nächsten Wochen werden spannend. Allerdings wird es in Damaskus ruhiger bleiben als in Jerusalem. Denn so seltsam es klingen mag: Für einen Diktator wie Assad ist es leichter, ein Friedensabkommen umzusetzen als für einen Demokraten wie Barak. Mehr als 30 Jahre lang hält Israel die Golan-Höhen schon besetzt. Eine ganze Generation ist in dem Bewusstsein aufgewachsen, dass diese Region ein Teil ihres Staates ist. Den verantwortlichen Politikern jedoch ist klar, dass der Preis für den Frieden der vollständige Abzug sein muss. Darüber soll es sogar ein Referendum geben. Folglich wird die Opposition zum Sturm blasen.

Barak steht die bislang schwerste Prüfung bevor. Sein taktisches Vermögen hat er im Vorfeld der Verhandlungen bewiesen. Jetzt muss es ihm gelingen, ein Volk durch eine Vision zum Verzicht zu bewegen. Gelingt ihm das, entsteht ein neuer Naher Osten. Scheitert er, droht eine neue Katastrophe.

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