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Martin Schulz fordert die Vereinigten Staaten von Europa. Damit ist er wohl meilenweit von dem entfernt, was die Menschen bewegt.

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Das Europa von morgen: Die nationalen Identitäten in der EU müssen gewahrt werden

Europa ist ein Kontinent historisch gewachsener Nationen. Die müssen eng zusammenarbeiten, aber unter Wahrung ihrer Identität. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Vor schwerwiegende Entscheidungen gestellt, kann man sich entweder vom Bauchgefühl oder von nüchternen Erwägungen leiten lassen. Wirklich wohl ist den meisten Menschen aber nur, wenn sie am Ende eines Abwägungsprozesses Mentales und Rationales in Übereinstimmung bringen können.

Bei der Frage, wie die Zukunft der Europäischen Union aussehen soll, funktioniert das nicht. Die Vernunft sagt uns, dass die EU eher dann besser durch politische oder ökonomische Krisen kommt, dass sie als Ganzes global eher ernst genommen wird, wenn immer mehr Entscheidungsprozesse von der nationalen auf die supranationale Ebene verlagert werden – Brüssel statt Berlin oder Paris, Rom oder Warschau. Die Gefühle aber verweigern dem Verstand die Gefolgschaft. Die meisten Menschen in Europa wollen überschaubare Entscheidungsprozesse, in denen vertraute Gremien wie Parlamente oder Stadträte die Richtung bestimmen.

Die Europäische Kommission hat am Mittwoch umfangreiche Reformpläne für die Währungsunion vorgestellt. Ein Europäischer Währungsfonds soll den bisherigen sogenannten Europäischen Stabilitätsmechanismus ablösen. Dieser EWF, mit den 700 Milliarden des ESM ausgestattet, könnte in Turbulenzen geratenen Staaten helfen, ohne dass der Internationale Währungsfonds, der IWF, wie bei der Griechenlandrettung, einspringen müsste. Eine nachvollziehbare Empfehlung, der sogar der nicht zur Verschleuderung deutschen Vermögens neigende Ex-Finanzminister Wolfgang Schäuble schon im Sommer Sympathien entgegengebracht hatte.

Martin Schulz ist meilenweit von den Menschen entfernt

Brüssel, die Kommission, möchte aber auch das Verfügungsrecht über diese Gelder haben, fordert zudem die Institutionalisierung eines europäischen Finanzministers. Der sollte dann auch die Sparanstrengungen von ökonomisch ins Straucheln geratenen Euro-Staaten überwachen. Das trifft schon auf deutlich weniger Zustimmung. Kein Wunder, denn bislang ist der Europäische Rat, das Gremium der Staats- und Regierungschefs, letztlich das mächtigste Entscheidungsgremium der EU. Dieser Rat der noch 28, nach dem Brexit der 27, macht dem Parlament auch den Personalvorschlag für die Wahl des Präsidenten der EU-Kommission – das Amt, das heute der durchaus eigenwillige und nach mehr Autonomie strebende Jean-Claude Juncker innehat. Dass „Brüssel“ mehr Macht will, ist verständlich. Wer die Macht hat, verteilt auch die Gelder, wer Geld verteilt, herrscht. Das erklärt auch, warum die Staats- und Regierungschefs sich damit nicht einverstanden erklären werden.

Wenn Martin Schulz auf dem SPD-Parteitag die Gründung der Vereinigten Staaten von Europa bis 2025 vorschlägt, ist er damit vermutlich meilenweit von dem entfernt, was die Menschen im Moment bewegt. Näher bei den Realitäten von heute war da sein Parteifreund Sigmar Gabriel, der am Dienstag in seiner Berliner Rede das Stimmungmachen gegen die Europäische Union als Bedienung giftiger Klischees kritisierte. E pluribus unum, aus vielen eines, ist der Wappenspruch im Großen Siegel der Vereinigten Staaten von Amerika. Auf Europa ist er auch sinngemäß nicht übertragbar. Dies ist ein Kontinent historisch gewachsener Nationen. Die müssen eng zusammenarbeiten, aber unter Wahrung ihrer Identität. Nur wer dieses Gefühlsmoment respektiert, kann die EU voranbringen.

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