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Politik: Das Exil als Bühne

Israel will Arafat ausweisen. Doch viele warnen: Im Ausland hatte der Palästinenser-Präsident seine größten Erfolge

Von Charles A. Landsmann,

Tel Aviv

Eindrucksvolle Demonstrationen der Palästinenser, entrüstete Proteste weltweit: Der israelische Beschluss, das „Friedenshindernis“ Jassir Arafat „aus dem Weg zu schaffen“, hat dessen Stellung offenbar nicht geschwächt, sondern noch gestärkt. Fast zwei Jahre nachdem die Regierung von Ministerpräsident Ariel Scharon den Palästinenserpräsidenten zur „irrelevanten Person“ erklärt hat, widerlegt sie sich jetzt mit ihrem Ausweisungsbeschluss selbst. Wenn Arafat nicht relevant ist, warum sollte er ausgewiesen, gar liquidiert werden?

Arafat selbst hat nach Ansicht von Beobachtern geschickt auf den Beschluss reagiert, indem er erklärte, die Israelis würden ihn aus seinem Hauptquartier in Ramallah nicht hinausbekommen, und er besitze eine Pistole. Um sich mehr symbolisch als praktisch zu wehren – oder gar, um Selbstmord zu begehen? Jossi Beilin, der israelische Architekt des Oslo-Abkommens, warnte noch vor dem Regierungsbeschluss Scharon vor den für Israel negativen Auswirkungen von Aktionen gegen Arafat. Werde er außer Landes geschafft, „so wird er zu einer Art Dalai Lama, der in der Welt herumreist und die Bewunderung der Massen gewinnt, der sich die ganze Zeit interviewen lässt und sich als armer Mann darstellt, den ein demokratischer Staat ausgewiesen hat“. Auch für den anderen Fall hat Beilin einen Vergleich bereit: „Wenn er getötet wird, dann wird er ein Che Guevara. Durch seinen Tod, seine Ermordung wird er zum Symbol der Palästinenser und für Bewegungen, die von Unabhängigkeit träumen.“

„Er strahlt“

Während immer mehr israelische Minister offen die Liquidierung Arafats fordern, geht es diesem psychisch und gesundheitlich besser denn je. Als sprächen sie von einem beschädigten Atomreaktor, verwenden alle Beobachter übereinstimmend einen Begriff, um den aktuellen Gemütszustand von Arafat zu beschreiben: „Er strahlt wie noch nie.“ Der ständige Druck, die Belagerung seines Hauptquartiers, die fehlende Bewegungsfreiheit – all das hat ihn nicht geschwächt, sondern offenbar körperlich und politisch gestärkt. Der permanente Druck von israelischer und amerikanischer Seite hat noch etwas bewirkt: Arafats Popularität in der eigenen Bevölkerung ist gestiegen, viele haben sich mit ihm solidarisiert. Kritik gibt es nur noch selten.

Arafat gilt mit Abstand als der größte Überlebenskünstler auf der politischen Bühne des Nahen Ostens. Er ist es wohl schon seit 1967, als er aus den von Israel im Sechstagekrieg eroberten palästinensischen Gebieten flüchten musste. Als PLO-Chef gelang es ihm – aus dem Exil – ein Volk zu schaffen, die Palästinenser. Vielen halten das für eine historische Leistung. Denn die Palästinenser hatten sich zuvor nicht als Volk verstanden, sondern als Araber, die in Palästina lebten – und sich deshalb von ihren arabischen „Brüdern“ herumkommandieren ließen. Arafat änderte das. Zwar kamen die Palästinenser in den ersten fünfzehn Jahren von Arafats Exil ihrem eigenen Staat kaum einen Schritt näher. Doch Arafat selbst schuf zwei Staaten in anderen Staaten. 1970 löste König Hussein von Jordanien mit mörderischer Gewalt im „schwarzen September“ Arafats Reich in seinem eigenen haschemitischen Königreich auf; 1982 vertrieb ihn Ariel Scharon als israelischer Verteidigungsminister aus seinem palästinensischen Staat in Libanon.

Doch weder diese Vertreibungen noch die übrigen politischen und vor allem finanziellen Rückschläge ließen Arafat an seiner Mission zweifeln. Er, der dem Tod einige Male knapp entkommen ist, bestimmte auch von seinem fernen Exil in Tunis aus, was im Gazastreifen und im Westjordanland geschah, befahl, wie, von wem und wo der israelischen Besatzungsmacht Schaden zufügt werden sollte.

Siege aus der Ferne

Dass diese politischen Erfolge Arafats nach militärischen Niederlagen allesamt im Exil geglückt sind, wird von der Regierung Scharon – möglicherweise aber nicht vom Premier selbst – weitgehend ignoriert. Einer aus der Führung, der anonym bleiben will, warnt mittels eines gewagten historischen Vergleichs vor Attacken jedweder Art gegen Arafat: „Der Fehler, den wir mit Jesus gemacht haben, genügt. Wenn wir ihn netter behandelt hätten, wäre vielleicht das Christentum gar nicht entstanden. Keiner kennt die Auswirkungen, wenn wir Arafat, diesem arabischen und muslimischen Symbol, Schaden zufügen.“

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