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Die Zufahrtsstraßen sind leer. Denn Flugzeuge heben am Flughafen BER noch lange nicht ab.

© dpa

Das Flughafen-Debakel: Die sieben Sünden des Aufsichtsrats

Explodierende Kosten, wacklige Termine. Der neue Flughafen BER ist längst ein Krisenfall. Stundenlang tagte am Freitag der BER-Aufsichtsrat. Welche Verantwortung trägt das Gremium?

Der Hauptstadtflughafen Willy Brandt kommt nicht voran – und das nicht nur beim Brandschutz: Der Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft (FBB), die den „modernsten Flughafen Europas“ bauen will und den Ländern Berlin, Brandenburg und dem Bund gehört, tagte am Freitag stundenlang in Schönefeld. Zum vierten Mal in diesem Jahr, direkt auf der Baustelle, sicher abgeschirmt vor der Öffentlichkeit. Das 15-köpfige Gremium beriet über den Start-Termin, die Kostensteigerung und das Fiasko beim Schallschutz. Der Tagesspiegel dokumentiert die sieben Sünden des Aufsichtsrats in der Vergangenheit – und wie er nun versucht, den Schaden zu begrenzen.

1. Kostenexplosion

Der Aufsichtsrat hat nicht genug auf Kostendisziplin geachtet und gedrängt. Entgegen früheren Erklärungen des Aufsichtsratsvorsitzenden Klaus Wowereit und seines Vize Matthias Platzeck (beide SPD), dass man bei den BER-Finanzen fast eine Punktlandung hinlege, reiht sich der Flughafen nun doch in die Reihe drastisch teurer gewordener öffentlicher Projekte wie der Elbphilharmonie in Hamburg ein. Im Jahr 2007 hatte der Aufsichtsrat ein Baubudget für den neuen Flughafen von 2,2 Milliarden Euro freigegeben, es im Jahr 2009 auf 2,4 Milliarden erhöht – und dafür ein Finanzbudget von 3,4 Milliarden Euro beschlossen, davon 2,4 Milliarden Euro über Kredite, die die drei Gesellschafter zu 100 Prozent verbürgen. Man hatte damals also vorsorglich knapp eine Milliarde Euro Reserve geplant, um bei Kostensteigerungen nicht erneut grünes Licht von den Parlamenten einholen zu müssen. Heute ist dieser Puffer nicht nur aufgebraucht, sondern es werden am Ende weit über vier Milliarden Euro sein. Flughafen und Aufsichtsrat stellen sich auf etwa 4,4 Milliarden Euro ein. Der Aufsichtsrat hat aber die Zügel angezogen und bewilligte auf seiner Sitzung am Freitag keinen Nachschlag. Offen bleibt, was und wann die Gesellschafter nachschießen müssen.

2. Schallschutzmängel

Der Aufsichtsrat ließ zu, dass nie genügend Geld zum Schutz der betroffenen knapp 40 000 Anwohner eingeplant war. Der 140-Millionen-Etat sah je Wohnung lediglich 5600 Euro vor, womit die Auflagen des Planfeststellungsbeschlusses nie einzuhalten waren. Beschwerden, dass der Flughafen zu restriktiv vorgeht, zu wenige Fenster bewilligt, wurden ignoriert. Im Jahr 2011 spielte, ausweislich der Protokolle des Aufsichtsrates, der Schallschutz de facto keine Rolle. Auf der Sitzung am 20. April 2012 wurden zwar 17 Millionen Euro mehr bewilligt. Vor allem aber erhielt das Management Rückendeckung für den zwei Tage vorher eingereichten Antrag, den Planfeststellungsbeschluss nachträglich ändern zu lassen, um die Standards zu senken. Der offene Verstoß gegen den Planfeststellungsbeschluss, den das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg jetzt als „systematisch“ rügte, wurde vom Aufsichtsrat geduldet. Nun werden 600 Millionen Euro mehr für Schallschutz fällig. Der Aufsichtsrat stellt sich darauf ein – und schiebt den Schwarzen Peter Flughafenchef Rainer Schwarz zu.

3. Terminverschiebungen

Jetzt geht’s los. So hieß es schon oft von der Flughafengesellschaft, bis die Eröffnung – erst im Oktober 2010, dann am 3. Juni 2012 geplant – doch wieder verschoben wurde. Der Aufsichtsrat hält, vorerst eisern, am 17. März 2013 fest. Jüngste Bedenken nimmt man zwar ernst, doch man verlässt sich auf Schwarz und auf Zusagen von Firmen wie Siemens und Bosch. Ausgeschlossen ist eine neue Verschiebung freilich nicht. Das entscheidende Wort wird der neue Baumanager Horst Amann haben, der Nachfolger des gefeuerten Planungschefs Manfred Körtgen wird. Sollte doch eine Verschiebung notwendig werden, dann wird die Entscheidung wohl im Herbst 2012 fallen, wenn sich Amann eingearbeitet hat.

Missmanagement, Planungschaos, mangelnder Arbeitseifer und Kommunikationsunfähigkeit

4. Missmanagement

Alles steht und fällt mit dem richtigen Personal: Lange sah es aus, als ob das Duo um Rainer Schwarz und Manfred Körtgen eine gute Wahl sei; Schwarz als der Mann fürs Marketing, für das laufende Geschäft und Körtgen für die Technik. Jetzt offenbart das Desaster: Es war viel Schein. Körtgen musste bereits gehen, weil er das Projekt nicht straff managte und auch Schwarz dürfte spätestens nach der Eröffnung seinen Stuhl räumen müssen, zumal er für das Schallschutz-Fiasko verantwortlich ist. Der Aufsichtsrat agiert strenger, verweigert ihm bislang die Entlastung für das Bilanzjahr 2011. Und man verlässt sich nicht mehr allein auf Aussagen von Schwarz, sondern lässt in den Sitzungen auch beauftragte Firmen direkt berichten.

Geprobt wurde der Betrieb am Flughafen BER schon einmal:

5. Planungschaos

Auch der Aufsichtsrat bekam Hinweise, dass es bei der Planung teilweise drunter und drüber ging. Womöglich rächt sich, keinen Generalauftragnehmer mit dem schlüsselfertigen Bau des Airports beauftragt zu haben. Bei der Koordination zwischen Flughafengesellschaft, dem beauftragten Planungsbüros und den Baufirmen gab und gibt es Pannen. Zuletzt ließ der Aufsichtsrat das Planungsbüro GMP feuern, die FBB selbst den Bau koordinieren – was neue Risiken birgt.

Nicht nur der Flughafen BER wurde nicht rechtzeitig fertig:

6. Mangelnder Arbeitseifer

Es war bereits die vierte Sitzung des Aufsichtsrates in den letzten sechs Monaten. Man ist nach der blamablen zweiten Verschiebung der Inbetriebnahme jetzt mehr hinterher. Schon das zeigt, wie lax der Aufsichtsrat die Kontrolle früher nahm. Im gesamten vorigen Jahr, dem entscheidenden Endspurt vor der damals für den 3. Juni 2012 geplanten Eröffnung, tagte der Aufsichtsrat nur vier Mal, insgesamt 18 Stunden und 30 Minuten. Und dabei ging es nicht nur um das BER-Projekt, sondern auch um das operative Geschäft, Grundstücksgeschäfte, den Ankauf von Enteisungsmitteln, das BER-Marketingkonzept oder Vergaben für Gepäckdienstleistungen. Gerade weil externe Ingenieur- und Baukompetenz nicht vertreten ist, hätte das Gremium häufiger tagen und gründlicher nachbohren müssen.

7. Kommunikationsunfähigkeit

Der Flughafen BER ist ein öffentliches Projekt – und damit kommt der Steuerzahler für den größten Teil der Kosten auf. Statt Verantwortlichkeiten, Kostenentwicklungen und Fort- beziehungsweise eher Rückschritte am Bau klar offenzulegen, hat der Aufsichtsrat vor allem für Intransparenz gesorgt. Controlling-Berichte werden wie Staatsgeheimnisse gehütet, Kostenentwicklungen erst Jahre später kundgetan, nachdem man schon mehrfach neue Kosten genehmigt hat. Auch die jüngste Sitzung – abgeschottet von der Öffentlichkeit – offenbart den Mangel an Transparenz. Ähnlich verhielt sich das Gremium beim Thema Flugrouten. Auch da wurden angeblich unauffindbare Unterlagen erst gefunden, als ein Gericht Zwangsgeld androhte. Viel zu befürchten hat der Aufsichtsrat nicht: Die Verantwortlichkeiten verschwinden im diffusen Dickicht der drei Gesellschafter Bund, Berlin und Brandenburg. Keiner greift den anderen an, weil er sich damit womöglich selbst angreifbar macht.

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