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Politik: Das Gefühl einer weltweiten Zusammengehörigkeit

Von Antje Vollmer

Wenn sich die Flut verlaufen hat, wenn die Toten begraben sind, wenn die Welle der Berichterstattung plötzlich abbricht, wenn die beeindruckende Spendenbereitschaft nachlässt, wenn sich die überwältigende Woge von Entsetzen, Urängsten, Mitgefühl und Weltverunsicherung wieder beruhigt hat – dann wird es Zeit, sich zu fragen: was bleibt von dem allen? Vielleicht ist es eine zu nüchterne Frage. Mir jedenfalls geht es so, dass eine Reihe unfrisierter Gedanken im Kopf bleiben. Zum Beispiel die Frage: Was soll eigentlich die Politik tun? Ein Kommentator hat gekrittelt: „Der Tourismus so vieler Außenminister in diese Gegend steht nur den Hilfsaktionen vor Ort im Wege.“ Wie aber können sie anders problemgerecht reagieren? Ohne Reaktion wiederum würde man sie kalt und herzlos schelten. Auch die Fernsehkameras drängelten sich in den Krisengebieten und standen den Helfern im Wege. Kommerz und echtes Engagement liegen dicht beieinander. Aber die Katastrophe war real, die Trauer war echt, das Mitgefühl und die Spendenbereitschaft freiwillig. Der Mangel, über den zu diskutieren sein wird, ist nicht das Ungenügen im Augenblick, der Mangel betrifft das dauernde Engagement. Der Mangel ist das Selektive, mit dem es diese eine Katastrophe schafft, im Wertbewusstsein zu landen, während die anderen ausgeblendet sind. Der Mangel ist auch, dass in vielen Redaktionen aus Kostengründen solide Auslandsberichterstattung nicht mehr stattfindet und deswegen jedes einzelne Ereignis wie ein Staubsauger die gesamte Medienkavallerie an sich zieht. Auch die Hilfsorganisationen sind oft nicht gut koordiniert, stehen untereinander in einem durch die Globalisierung verschärften Konkurrenzkampf. Sie drängeln sich nicht nur im Katastrophengebiet, sie drängeln sich auch in der Sonne der Medien, in jenem Wettbewerb, in dem entschieden wird, wer der moralischste, der selbstloseste, der edelste Helfer ist. Hier liegt viel Menschliches, allzu Menschliches begraben. Der Hochmut, dass eine weltweit organisierende, schlagkräftige Blitztruppe überall alles besser weiß als die staatlichen und regionalen Stellen vor Ort , ist unerträglich. Auch hier wäre ein bisschen Nüchternheit und Bescheidenheit am Platze. Die Spender geben aus einem wunderbar spontanen Gefühl von Hilfsbereitschaft. Sie geben dennoch gelegentlich schlecht informiert, sind verunsichert von den traditionellen Organisationen und kritisch gegenüber staatlichem Handeln. Sie möchten, dass ihr Geld über das zuverlässigste Medium direkt zu einem besonders notleidenden Einzelwesen gelangt. Das ist schwer zu garantieren, es sei denn durch persönliche Verantwortung und Partnerschaft. Wichtig ist, sich rechtzeitig zu informieren und dann ein nachhaltiges Vertrauen in die gewählte Hilfsorganisation zu setzen. Was wird wirklich bleiben? Vielleicht das Gefühl einer weltweiten existentiellen Zusammengehörigkeit. Genau dieses Gefühl sucht noch nach Formen einer nachhaltigen, humanen Organisation und Institution. Eine zentrale Rolle dabei müssen die UN spielen. Sie dazu zu machen, ist die Generationenaufgabe – nicht nur an diesem Jahresanfang.

Die Autorin ist Vizepräsidentin des Bundestages und Grüne.

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