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Sorry. US-Präsident Obama übernimmt die Verantwortung. Foto: Mandel Ngan/AFP

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Politik: „Das geht auf meine Kappe“

Obama übernimmt die Verantwortung fürs Desaster beim Start der Gesundheitsreform – auch bei anderen Projekten droht Misserfolg.

Washington - Vergrämt und müde sieht US-Präsident Barack Obama aus. Machtlos muss er seit Wochen mitansehen, wie ihm sein wohl wichtigstes politisches Projekt um die Ohren fliegt. Dabei hat die Gesundheitsreform eigentlich das Potenzial, ihn für immer in den amerikanischen Geschichtsbüchern zu verewigen. Es geht um die Schaffung eines bahnbrechenden Sozialgesetzes, das rund 40 Millionen Bürgern ohne Krankenversicherung endlich Zugang zu geregelter medizinischer Versorgung ermöglicht. Doch im Moment wirkt es, als sei erst mal nur der Fehlstart von „Obamacare“ historisch.

„Das geht auf meine Kappe“, sagte der Präsident nach nicht enden wollender Kritik an der Einführung des Gesetzes am Donnerstag im Weißen Haus. Wie ein Sünder bei der Beichte stand Obama eine Stunde lang vor den Fernsehkameras, um sich auf allen möglichen Wegen zu entschuldigen. Es versuchte es mit Einsicht („Wir hätten mehr tun können“), Eingeständnissen („Ich fühle mich zutiefst verantwortlich“) und Sportvergleichen („Wir hatten zwei Ballverluste in einem wichtigen Spiel – aber das Spiel ist noch nicht vorbei“).

Wäre Obama ein Fußballfan, hätte er wohl eher von zwei Eigentoren gesprochen. Denn beide Gründe, weshalb die Einführung des Gesetzes so unglaublich schief läuft, sind hausgemacht. Die umgerechnet 129 Millionen Euro teure Internetseite der Regierung, über die betroffene Amerikaner seit dem 1. Oktober eine neue Versicherung beantragen sollen, ist ein technisches Fiasko. Nutzer erhalten frustrierende Fehlermeldungen, nur wenige konnten sich registrieren, geschweige denn einen Vertrag abschließen. Laut der Regierung blieb es im ersten Monat bei 27 000 Anmeldungen – erwartet wurden hunderttausende mehr.

Zu dem Technikdilemma gesellte sich ein politisches Problem. In seinem ersten Wahlkampf und am Anfang seiner Präsidentschaft hatte Obama dem Volk versprochen, dass nahezu niemand durch seine Reform schlechter gestellt werde. „Wer seine Krankenversicherung mag, der kann sie behalten“, sagte er damals, um Ängste vor einem erzwungenen Versicherungswechsel zu nehmen. Wer befürchtete, durch „Obamacare“ mehr zahlen zu müssen, dem erklärte er, dass fast jeder geringere Kosten haben werde.

Und heute: „Kein Zweifel“, dass diese Aussagen „nicht korrekt“ waren, beichtet Obama. Zugleich kündigt er Maßnahmen an, um den Übergang zu dem Gesetz zu verbessern. Doch ob Obama das Wohlwollen des Volkes zurückgewinnen kann, ist offen. Seine Umfragewerte sind so schlecht wie nie zuvor in seiner fast fünfjährigen Präsidentschaft.

Die oppositionellen Republikaner nutzen die Stimmung genüsslich aus: „Es ist klar, dass die amerikanischen Bürger diesem Weißen Haus einfach nicht vertrauen können“, sagt der Vorsitzende des Repräsentantenhauses, John Boehner. Für „Obamacare“ gebe es keine Chance, es zu reparieren. Am besten wäre es, „das Gesetz ein für alle Mal zu verschrotten“.

Selbst Obamas bislang standhafte Demokraten im Kongress scheinen nach der geballten öffentlichen Kritik Muffensausen zu bekommen. Zahlreiche Demokraten schlugen sich am Freitag bei einer Abstimmung im Repräsentantenhaus auf die Seite der Republikaner. Deren Entwurf zur Änderung einiger Teile von Obamas Reform wurde von der Kammer mit 261 zu 157 Stimmen gebilligt. Darunter waren 39 Ja-Stimmen von Obamas Demokraten, fast ein Fünftel ihrer Fraktion. Viele stehen im kommenden Jahr zur Wiederwahl und ihnen schaudert es davor, sich in ihren Wahlkreisen den aufgebrachten Bürgern zu stellen. Die Lage für Obama wirkt so düster, dass mancher Kommentator bereits leise den Abgesang auf ihn anstimmt. Nach Ansicht der „Washington Post“ muss er nun dringend „die Glaubwürdigkeit seiner Präsidentschaft wiederherstellen. Ohne diese ist die Agenda seiner zweiten Amtszeit in Gefahr.“

Dass Obama in den verbleibenden drei Jahren innenpolitisch noch große Erfolge feiern wird, halten viele für zweifelhaft. Was dem Präsidenten blühen könnte, machte Boehner klar, als er am Mittwoch Obamas große Einwanderungsreform im Repräsentantenhaus vorerst auf Eis legte. Dabei hatten Beobachter vermutet, die Opposition würde sich nach dem Haushaltsstreit kompromissbereiter zeigen. Doch offenbar sind einige Republikaner über den Ausgang des Budgetstreits derart verbittert, dass sie bereit sind, auch die Migrationsreform weiter zu blockieren – um Obama eine weitere Niederlage zu bereiten. Marco Mierke (dpa)/Reuters

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Marco Mierke (dpa), Reuters

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