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Politik: Das Glück des Sommers

Von Peter Siebenmorgen

Zwei Jahre sind seit der Bundestagswahl vergangen, und bis vor kurzem hatte die politische Konjunktur einen geradlinigen Verlauf: die SPD im Niedergang, spiegelbildlich dazu die Unionsparteien im Aufstieg. Seit den jüngsten Wahlen scheint der Trend gebrochen. Zwar schwächelt die Kanzlerpartei weiter und fällt auf historische Tiefstwerte zurück. Doch lange Zeit roch es nach noch schlechteren Ergebnissen. Hier besteht die Trendwende fürs Erste also darin, dass es nur sehr schlimm, aber nicht ganz schlimm gekommen ist.

In der Union dagegen breitet sich allmählich das von Tag zu Tag beklemmender werdende Gefühl aus, aus der langen Phase sozialdemokratischer Agonie keinen nachhaltigen Vorteil geschlagen zu haben. Weder hat sie die Zeit genutzt, die offenen programmatischen Flanken zu schließen, noch vermochte sie es, die enttäuschten und abtrünnigen Wahlgänger der SPD wirklich zu gewinnen. Zwar liegen CDU/CSU immer noch zwölf Prozentpunkte vor der SPD, was trotz der wachsenden Zahl ungebundener Wähler viel ist. Aber was, wenn der Trend Eigendynamik entwickelt und die Union weiter fällt? Die vorübergehende demoskopische Stärke der Union lag „vor allem daran“, so heisst es in einer unlängst für Angela Merkel angefertigte vertrauliche Studie, dass sie zeitweise zur „Partei der kleinen Leute“ wurde, ohne aber diese klassisch sozialdemokratisch orientierten Bevölkerungsgruppen „stärker an sich zu binden“. Hierzu fehlen ihr Hoffnungsbotschaften, klare Konzepte, Einigkeit.

An Geschlossenheit wird es ihr vermutlich weiter fehlen. Auch, weil es der Union schwer fällt, sich auf gemeinsame Positionen in den strittigen Fragen zu verständigen. Störender aber noch sind die kaum versteckten persönlichen Ambitionen der Führungsleute. Vor wenigen Wochen hatte es noch den Anschein, als könne nichts und niemand mehr Angela Merkel auf ihrem Weg zur Kanzlerkandidatur bremsen. Jetzt aber, wo die Union in Abwind gerät, beginnen die zeitweise unterdrückten, nie aber beseitigten Zweifel wieder an ihr zu nagen.

Wofür Merkel steht, das allerdings weiß man inzwischen: der Markt allein wird alles richten – die Wärmegrade der Gesellschaft sollen sich durch schweißtreibende Anstrengungen und nicht durch sozialstaatliche Kachelöfen einstellen. Aber ist das noch das Programm einer Union, die das christliche nicht nur als schmückendes Beiwerk in ihrem Namen führen will? Sie müsste das erklären. Stattdessen ahmt sie bei der Verbreitung ihrer Botschaften ausgerechnet jenen Fehler nach, der den Kanzler und seine Partei in die nun womöglich abebbende Krise hineingetrieben hat. Wo geistige Anstrengung, politisches Abwägen und wertorientiertes Denken vonnöten wären, um mit den eigenen Positionen zu überzeugen, klingen Merkels Botschaften nach kühler Sozialtechnokratie.

Das Elend der Konservativen in Britannien sei es, hat der Schriftsteller Evelyn Waugh einmal geklagt, dass sie es nie verstanden hätten, die Uhr auch nur um eine Sekunde zurückzudrehen. In Deutschland gab es diese Sehnsucht nie, und eben darum tun sich die Reformer heute so schwer mit dem Volk. Die Sozialdemokraten beginnen gerade, hieraus jene Konsequenzen zu ziehen, die die Union anfängt zu vergessen: auf die Menschen zugehen, ihre Sorgen ernst nehmen, um sie so ihnen nehmen zu können. Ist das die eigentliche Trendwende, so wird der Trend bei den anstehenden Wahlen folgen. Dann hätte das Glück der Union tatsächlich nur für einen Sommer gewährt.

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