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Politik: Das Glück wartet hinter dem Zaun Warum sich afrikanische Flüchtlinge in Melilla von Stacheldraht und Knüppeln nicht abhalten lassen

„Ich bin glücklich“, stammelt Mario immer wieder, „glücklich“. Sein Arm ist verbunden, sein Hemd zerrissen und blutgetränkt.

„Ich bin glücklich“, stammelt Mario immer wieder, „glücklich“. Sein Arm ist verbunden, sein Hemd zerrissen und blutgetränkt. Die Dornen des Stacheldrahtes des doppelten, meterhohen Grenzzaunes in Melilla, den Mario in der Nacht überkletterte, rissen die Haut seines Oberkörpers an vielen Stellen auf. Am Hinterkopf klafft eine Wunde, genau da, wo ihn der Schlagstock des spanischen Grenzsoldaten traf. Aufhalten ließ sich der 23-Jährige, der vor 18 Monaten das westafrikanische Guinea-Bissau verließ, nicht. Nicht durch Banditen, die ihn auf seiner langen Wanderung durch die Wüste in Mali überfielen. Nicht durch marokkanische Soldaten, die ihn kurz vor seinem Grenzsprung bedrohten und ihm als „Wegezoll“ noch seine letzten Habseligkeiten abknöpften. Und auch nicht durch die lebensgefährlichen Grenzsperren in Melilla.

Erschöpft lehnt Mario, der als Landarbeiter in seiner Heimat nicht einmal einen Euro am Tag verdiente, am Eingangstor des überfüllten Aufnahmelagers in Melilla. Er gehört zu jenen mehr als 1700 afrikanischen Flüchtlingen, die es in den vergangenen Tagen geschafft haben, den schwer bewachten Doppelzaun zu überwinden und den Grenzwächtern zu entwischen. „Wir sind im Paradies“, seufzt Mario. Zu diesem Zeitpunkt weiß er noch nicht, dass Spanien und Marokko gerade die Abschiebung der afrikanischen Flüchtlinge vereinbart haben. Ob diese zwangsweise Rückführung auch ihn betreffen wird, ist noch unklar. Die Abschiebung wäre für ihn ein Albtraum. „Lieber will ich sterben.“ Mario zieht es im Moment vor, vom besseren Leben träumen. „Ich weiß, dass es in Europa auch nicht leicht ist“, sagt er. „Aber dort bezahlen sie wenigstens ordentlich.“ Der Mindestlohn in Spanien, 600 Euro, erscheint ihm wie ein Vermögen. „Ich kann meiner Familie viel Geld schicken.“

„Neger, bleibt drüben“, rufen spanische Grenzer, als – wie meist im Morgengrauen – die nächste Gruppe auf den Zaun zustürmt. Ohne Erfolg. Dutzende Flüchtlinge legen ihre selbst gebastelten Holzleitern an. Trillerpfeifen, Schüsse sind hörbar – Gummigeschosse und Tränengas, mit denen Spanien den europäischen Wohlstand verteidigt. Leitern werden umgerissen, Schlagstöcke sausen auf die Eindringlinge nieder. Einige sinken zu Boden. Eine Kamera dokumentiert, wie ein Grenzer einen Verletzten mit Fußtritten malträtiert. Man hört Menschen weinen, Verletzte stöhnen.

„Wir machen die Schmutzarbeit für Europa“, klagt einer der spanischen Beamten, der seit Jahren an dieser Grenze der EU Dienst schiebt. Er glaubt, dass Marokkos Sicherheitskräfte am Sturm auf Melilla und das benachbarte Ceuta nicht ganz unschuldig sind. „Die wissen genau, wo sich die Flüchtlinge sammeln, und wann sie angreifen.“ Dies deckt sich mit Berichten von Immigranten, wonach sie ihr weniges Geld an die marokkanischen Grenzer abliefern müssen.

Ralph Schulze[Melilla]

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