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Der tadschikische Präsident Rachmon, sein afghanischer Kollege Karsai sowie die Staatschefs aus Pakistan und Russland, Zardari und Medwedew (v.l.n.r.) in Sotschi.

© AFP

Das große Spiel: Russland sucht Schulterschluss in Zentralasien

Russland will stärker mit Afghanistan, Pakistan und Tadschikistan zusammenarbeiten – aus Angst vor den Taliban.

Eigentlich sollte es bei dem Vierergipfel am Mittwoch um gemeinsame Energie-, Eisenbahn- und Wasserprojekte sowie um die Verbesserung des Investitionsklimas gehen. Bei dem Treffen, zu dem Russlands Präsident Dmitri Medwedew seine Amtskollegen aus Afghanistan, Pakistan und Tadschikistan – Hamid Karsai, Asif Ali Zardari und Emomali Rachmon – nach Sotschi am Schwarzen Meer eingeladen hatte, wurde allerdings vor allem eine andere Frage erörtert – nämlich wie sich die Nachfolgestaaten der UdSSR und China aktiver in die schrittweise Übergabe der Verantwortung an die Afghanen für ihr Land einbringen können. Darauf hatte sich Ende Juni eine internationale Konferenz in Kabul geeinigt.

Zu diesem Zweck wollen sich nach Angaben des Kremls das Verteidigungsbündnis der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft (GUS) und die so genannte Schanghai-Organisation sogar in der afghanisch-pakistanischen Grenzregion engagieren, die als Rückzugsgebiet der Taliban gilt. Der Schanghai-Organisation gehören Russland, China und vier zentralasiatische Ex-Sowjetrepubliken als Vollmitglieder an, Pakistan und Afghanistan haben Beobachter- und Gaststatus.

Der Gipfel vom Mittwoch war bereits der zweite in diesem Format im Verlauf eines Jahres. Russland sieht sich angesichts der Misserfolge der Nato am Hindukusch gezwungen, nach eigenen Lösungen für die Region zu suchen. Und während Washington auf Verstärkung der militärischen Präsenz setzt, versucht Moskau, Afghanistan und dessen wichtigste Nachbarn gemeinsam ins Boot zu holen: Pakistan und Tadschikistan. In beiden Staaten leben Teile jener Volksgruppen, die auch in Afghanistan die größten sind – Paschtunen und Tadschiken. Beide Ethnien stellen die Grenzen infrage, die Russland und Großbritannien Mitte des 19. Jahrhunderts bei der Aufteilung Zentralasiens in Einflussgebiete zogen. Ultranationalisten träumen sogar von Großpaschtunistan und Großtadschikistan – einem Modell, bei dem Afghanistan aufhören würde, als Staat zu existieren. Da sie derzeit aber diese Pläne nicht verwirklichen können, versuchen sie, die Entwicklungen in Afghanistan in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Das führte schon in den neunziger Jahren zu einem Bürgerkrieg und der Herrschaft der Taliban. Durch den Einmarsch der westlichen Anti-Terror-Koalition im Herbst 2001 vorübergehend in die Defensive gedrängt, sind die radikalen Islamisten jetzt erneut auf dem Vormarsch in Afghanistan und im Nordwesten Pakistans. Vor der Aussicht des Taliban-Vormarschs schreckt auch Moskau zurück, weil ein radikalislamischer Staat südlich der alten Sowjetgrenze den islamistischen Widerstand in den zentralasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken anfachen würde. Auch fürchtet Moskau, dass der schon jetzt inflationäre Drogenschmuggel im Falle eines weiteren Erstarkens der Taliban definitiv außer Kontrolle geraten würde.

Russische Afghanistanexperten wie Viktor Korgun halten es dennoch für wenig wahrscheinlich, dass die Vierergruppe über bloße Absichtserklärungen hinauskommt. Pakistan, warnte er in der „Nesawissimaja Gaseta“, wolle als Freund der USA Russland und dessen Verbündete von einer Afghanistanregelung fernhalten und nehme dazu sogar eine Koalition zwischen dem afghanischen Präsidenten Karsai mit den Taliban in Kauf.

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