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Politik: Das Herz am rechten Fleck

SPD-PARTEITAG

Da war er auf einmal, der seltene Moment, in dem aufscheint, dass Politik eine leidenschaftliche Sache sein kann. Gerhard Schröder steht aufrecht vor den Delegierten. Er hat eben den SPD-Parteivorsitz abgegeben und damit ein beträchtliches Stück Macht. Aber nicht die Verantwortung. Es war ein Moment, der die SPD an ihrem Stolz gepackt hat; es könnte sein, dass sie es doch noch als ihre Aufgabe annimmt, den Sozialstaat zu reformieren, statt sich im Selbsthader aufzugeben.

Der Neue, Franz Müntefering, hat klargemacht, dass es mit ihm kein Abrücken von Schröders Agenda geben wird. Wer will, kann trotzdem die feinen Unterschiede oder Risse aufzählen, die sich auf Dauer als Sprengsätze der neuen Arbeitsteilung an der Spitze der SPD erweisen könnten. Aber gestern ging es in Wahrheit überhaupt nicht darum, wie viel Reformen in welchem Tempo die SPD für verträglich hält. Auch nicht um die erste Nagelprobe auf die neue Arbeitsteilung: hier der Kanzler für die kalte Politik, da der Parteichef für die gequälte Seele. Gestern hat, im produktiven Sinne, ein Parteitag der Gefühle stattgefunden. Und der stärkste emotionale Part lag beim Kanzler, der das Amt aufgegeben hat, das einmal August Bebel und Willy Brandt ausgefüllt haben. Die Delegierten konnten ihm glauben, dass ihm dieser Entschluss sehr schwer gefallen ist – und deshalb vieles andere auch.

Zweimal im Verlauf des letzten Jahres sind SPD-Parteitage Schröders Kurs gefolgt. Sie haben nicht weniger beschlossen, als das Land umzukrempeln – geglaubt haben sie daran nicht. Aber Gefühl, ja, Leidenschaft braucht nun einmal, wer sich selbst und die ganze Gesellschaft von tief sitzenden Gewohnheiten lösen will, von Besitzständen, die nicht mehr zu bezahlen sind, von Transfers, die die öffentlichen Kassen überfordern. Gestern ist gewissermaßen die sozialdemokratische Seele hinterhergekommen, die Schröders plötzlichem Aufbruch zum Reformkurs einfach nicht folgen konnte. Dabei ist kein Argument gefallen, das auf Parteitagsreden nicht schon strapaziert worden wäre. Es ist kein Vorschlag gemacht worden, der einsichtig gemacht hätte, was vorher nicht zu verstehen war. Doch ist es, als habe sich die SPD das Herz wieder auf den richtigen Fleck gerückt. Zweimal haben die Delegierten Schröder aus Regierungsraison zugestimmt. Gestern haben sie den Parteitag mit dem Gefühl verlassen, dass es, wenn es denn sein muss, tausendmal besser ist, wenn Sozialdemokraten diese Reformen machen.

Warum? Politische Kommunikation ist eben zuallererst eine Sache von Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Von der Verantwortung für künftige Generationen, von Teilhabe und Chancengerechtigkeit, vom Bildungstraum hat Schröder auch in früheren Parteitagsreden oder Regierungserklärungen gesprochen. Überzeugt hat er weder die SPD noch die Bürger. Denn nach fünf wechselhaften Kanzlerjahren konnte er nicht glaubhaft machen, dass ihn dabei etwas anderes antreibt als der Machtwille.

Es ist völlig offen, ob Gerhard Schröder bis zur nächsten Bundestagswahl eine überzeugende Sprache für die Bürger findet. In der SPD hat er schließlich doch einen Weg gefunden, der ihm die Ohren und Herzen geöffnet hat. Der Parteivorsitzende hat sein Amt in andere Hände gegeben; ein stärkeres Argument für den Reformkurs gibt es nicht. Denn Schröder hat verzichtet – wie er selbst Verzicht von anderen fordert. Auch viele Sozialdemokraten konnten an diesem Bundeskanzler nichts anderes als seinen entschiedenen Machtwillen erkennen. Wenn so einer Macht freiwillig hergibt, dann könnte es ihm doch ernst sein mit der Sache, für die er kämpft.

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