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Politik: „Das ist ein Schandfleck für unser Land“

Warum sich US-Sicherheitsberaterin Rice wegen der Folter im Irak schämt – und Amerikas Truppen trotzdem bleiben

Sie besuchen Deutschland in einer Zeit tiefer Verunsicherung über Amerika, seine Rolle in der Welt und seine Werte. Wie konnte es zu den Folterszenen kommen?

Auch wir in Amerika sind empört. Wir sind in den Irak gegangen, um eine brutale Diktatur zu stürzen. Jeden Tag geben Amerikaner ihr Leben für die Befreiung. Die Untaten sind ein Schandfleck für unser Land. Die Demokratie ist kein Schutz dagegen, dass Menschen Böses tun. Aber in einer Demokratie hat das Folgen. Die Beschuldigten haben die Gelegenheit sich zu verteidigen, aber sie werden zur Verantwortung gezogen, sie können ihre Jobs verlieren. In Diktaturen ist das anders. Die ermuntern noch zu Untaten.

Was fühlen Sie, wenn Sie die Bilder sehen?

Ich bin empört. Und ich fühle Scham. Amerika ist besser als diese Bilder. Wir stehen für Freiheit und Würde. Deshalb ist das ein Schock, eine Schande.

Wie hoch ist der Schaden für Amerikas moralische Autorität?

Das muss die moralische Autorität der USA nicht beschädigen. Deren Basis ist der Rechtsstaat. Auch Amerikaner tun schlimme Dinge. Der entscheidende Unterschied ist, dass man in Rechtsstaaten dafür bestraft wird.

Ist dieser Unterschied für die Menschen in der arabischen Welt erkennbar?

Das hoffe ich. Das ist die wichtigste Botschaft: Es tut uns Leid, was passiert ist. Aber wir sorgen dafür, dass es sich nicht wiederholt und bringen die Verbrecher vor Gericht. Wir werden der ganzen Welt zeigen, wie Demokratien mit solchen Anklagen umgehen: volle Transparenz.

Der Außenminister des Papstes sagt, dies sei schlimmer als der 11. September.

Das werde ich nicht kommentieren. Der Tod von 3000 unschuldigen Amerikanern spricht für sich selbst.

Was wird Präsident Bush dem Papst beim Treffen am 3. Juni darauf antworten?

Das weiß ich nicht. Ich verstehe nicht, wie man den Angriff auf Amerika mit so vielen Opfern in New York und Washington, die Bilder von Menschen, die aus den Hochhäusern in den Tod sprangen, damit vergleichen kann.

Die Foltervorwürfe sind nicht neu. Im Januar haben Medien davon berichtet. Es gab Untersuchungen. Aber erst jetzt, wo die Fotos die ganze Welt aufregen, gibt es Strafverfahren. Hat Amerika zu langsam reagiert?

Nein, ich finde dies eine bemerkenswert schnelle Reaktion. General Kimmitt hat nach den Berichten im Januar öffentlich reagiert. Wir haben Untersuchungen eingeleitet. Die ersten Betroffenen sind längst angeklagt. Es gibt doch auch die andere Seite des demokratischen Rechtsstaats: Beschuldigte müssen sich verteidigen dürfen, der Rechtsstaat geht von der Unschuld des Angeklagten aus, nicht von seiner Schuld. Dafür gibt es ein geregeltes Verfahren. Wir dürfen aber auch nicht riskieren, dass Schuldige am Ende unbestraft bleiben, weil die Anklage schlecht vorbereitet war.

Die Regierung kündigt neue Regeln für Verhöre an. Waren die bisherigen unklar?

Eindeutig ist etwas schief gelaufen. Da ist es sinnvoll, dafür zu sorgen, dass die Vorschriften unmissverständlich sind. Die USA hatten deutlich gesagt, dass bei den Operationen im Irak die Genfer Konvention gilt. Nach den Ereignissen müssen wir alle daran erinnern, was das bedeutet.

Anfangs hörte man zwei Differenzierungen. Erstens, dies seien Ausnahmen, es stecke kein System dahinter. Zweitens sei Misshandlung (abuse) nicht gleich Folter (torture). Kann man das aufrechterhalten nach allem, was Sie wissen?

Es gibt nur einen richtigen Begriff: unakzeptabel. Solches Verhalten ist nicht tolerierbar. Es hätte nicht geschehen dürfen. Es darf sich nicht wiederholen. Wir untersuchen alles, was vorgefallen ist. Auch um sicherzustellen, dass die Ausbildung für so schwierige Aufgaben ausreichend ist.

Wie viele Soldaten sind verwickelt: ein Prozent, zehn Prozent, noch mehr?

Das prüfen wir. Ich wäre sehr überrascht, wenn die Vorfälle weit verbreitet sind.

Wie weit nach oben reicht die Verantwortung: bis in die Armeespitze, die CIA-Führung, bis in die Regierung?

Wir werden herausfinden, wen wir alles zur Rechenschaft ziehen müssen.

Schränken die Vorwürfe die Handlungsfähigkeit der Koalition im Irak ein?

Das kann ich nicht sehen. Wir sorgen für Sicherheit, bis die Iraker das selbst können. Es gibt zwei Probleme: ordinäre Kriminalität wie Raub. Und den Kampf gegen Aufständische, Terroristen aus dem Ausland und Saddam-Loyalisten.

Ist es für die jetzt einfacher, Unterstützung in der Bevölkerung zu finden?

Das glaube ich nicht. Die Iraker wissen, was diese Leute für Ziele haben, und wollen nicht zurück in diese Zeiten.

Das Weiße Haus sagt, wenn die Amerikaner nicht mehr willkommen seien,würden sie das Land verlassen. Erwarten Sie eine solche Situation?

Wir bleiben, bis der Job erledigt ist, bis die Iraker für ihre Sicherheit sorgen können. Wir sind noch nicht dort, wo wir hin wollten. Wir arbeiten daran, den neuen Irak aufzubauen, bilden Polizei, Armee, Wachdienste für die Infrastruktur aus.

Wollte Amerika nicht bleiben, bis eine Demokratie aufgebaut ist?

Wir sollten keine Theoriedebatten über den richtigen Moment führen. Der Irak muss stabil sein und offen für die demokratische Entwicklung. Die Iraker wissen, dass wir der Partner sind, der die Voraussetzungen dafür schafft.

Und was, wenn Iraks neue Regierung sagt: Bleiben! Das Volk aber meint: Abziehen!

Kein Volk liebt es, besetzt zu sein. Die Iraker verstehen jedoch, dass sie uns für die Sicherheit noch brauchen. Und sie sind dankbar für den Bau von Schulen, Brunnen, Krankenhäusern und die Jobs, die wir ihnen geben. Wer nur die ablehnenden Slogans wahrnimmt, bekommt leicht einen falschen Eindruck.

Wären Friedenstruppen aus islamischen Ländern eine Hilfe?

Ja. Wir hoffen, dass deren Regierungen sich dazu entschließen, sobald wir eine UN-Resolution haben.

Auch Deutschland debattiert, ob ein Rechtsstaat ausnahmsweise physischen Druck gegen Geiselnehmer oder Terroristen anwenden darf, um Menschen zu retten. Was meinen Sie?

Die Vorschriften für Verhöre dürfen weder unsere Grundwerte verletzen noch die internationalen Konventionen. Geheimdiensterkenntnisse werden wichtiger, aber wir müssen immer fragen: Erlaubt das unser Rechtssystem?

Haben Europa und Amerika noch die gleichen Werte?

Selbstverständlich. Meinungsfreiheit, Glaubens-, Gewissens-, Versammlungsfreiheit, Privateigentum. Das teilen wir trotz aller politischer Differenzen. Und ich glaube, das wollen Muslime auch. Es ist doch nicht so, dass ihnen das Gen für den demokratischen Rechtsstaat fehlt.

Mit Condoleezza Rice sprach Christoph von Marschall.

Condoleezza Rice gilt als engste Vertraute von Präsident George W. Bush, dessen Familie sie auch oft privat besucht. Die Professorin der Stanford-Universität und passionierte Klavierspielerin ist außerordentlich ehrgeizig, fast ihre gesamte Zeit widmet sie der Arbeit. Die 49-Jährige arbeitete bereits Anfang der 90er Jahre im Weißen Haus. Unter Bush senior bereitete sie die Gipfeltreffen mit Michail Gorbatschow vor.

Rice, die eher den Falken im Kabinett zuneigt ist, wirkt gerne im Hintergrund. Das änderte sich jedoch Ende März. Damals wurden Vorwürfe laut, sie habe die Bedrohung von Al Qaida vor dem 11. September 2001 unterschätzt.

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