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Politik: „Das ist eine Verzweiflungstat“

FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt über die Rente mit 67, die Kanzlerin im Ausland – und die Führung der Partei

Kanzlerin Angela Merkel beschert der Union steigende Umfragewerte, die FDP sinkt in der Beliebtheit. Sind Sie neidisch?

Nein. Der momentane Erfolg der Bundeskanzlerin kommt zu einem großen Teil durch ihre Auslandsbesuche. Aber das Lob für die Auftritte auf internationalem Parkett übertüncht die Lage, in der Deutschland sich befindet. Auf dem Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft sieht es nicht so rosig aus. Es geht doch nicht nur darum, ob die Kanzlerin schöne Reden hält oder welche Performance sie hat, sondern um die innenpolitische Realität. Deutschland wird auch international nur eine Rolle spielen, wenn es mehr Wachstum und weniger Arbeitslose gibt.

Aber die Regierung hat doch immerhin ein milliardenschweres Investitionspaket auf den Weg gebracht. Bringt das denn nichts?

Die Strategie ist riskant: Die Koalition nimmt zu viel und gibt zu wenig. Sie macht ein Investitionsprogramm von 25 Milliarden Euro über vier Jahre, nimmt den Bürgern aber gleichzeitig fast die gleiche Summe aus der Mehrwertsteuererhöhung. Das kann doch nicht gut gehen. Abgesehen von dem Investitionsprogramm herrscht Funkstille. Die große Koalition hat in den letzten Wochen ein bisschen über Familienpolitik debattiert, aber nicht über das entscheidende Thema: die Arbeitslosigkeit. Die schwarz-rote Koalition macht zu wenig aus Deutschland.

Die Deutschen haben sich für die große Koalition entschieden, nicht für einen Radikalkurs mit der FDP.

Wir haben keinen „Radikalkurs“ vorgeschlagen, sondern grundlegende Reformen für Deutschland. Und wir haben ein sehr gutes Wahlergebnis bekommen, das unseren Ansatz bestätigt hat.

Den Bürgern gefällt die große Koalition aber ganz gut. Setzen Sie bei den nächsten Bundestagswahlen auf Schwarz-Gelb?

Wir sind erst einmal in der Opposition. Es macht jetzt keinen Sinn, schon Koalitionsaussagen für die nächsten Bundestagswahlen zu treffen.

Die Bundesregierung will die Rente mit 67 bis 2029 einführen. Unterstützen Sie das?

Die Rente mit 67 halte ich für den falschen Weg. Die Menschen sollten flexibel entscheiden können, wann sie in Rente gehen. Wer 45 Jahre gearbeitet hat, sollte ohne Abschläge in Rente gehen können, egal wie alt er ist. Franz Müntefering führt die Rente mit 67 ein, um versteckt Renten zu kürzen. Damit wird man dem Einzelfall nicht gerecht.

Hätten Sie das erwartet: Ausgerechnet ein SPD-Minister drückt bei einem so heiklen Thema aufs Tempo?

Das ist eine Verzweiflungstat.

Die große Koalition will die Renten in dieser Wahlperiode nicht kürzen. Halten Sie diese Festlegung für sinnvoll?

Das Versprechen, keine Renten zu kürzen, ist sehr riskant. Ich sehe noch nicht, dass diese Zusage angesichts der Rentenfinanzen gehalten werden kann.

Würden Sie denn Rentenkürzungen vornehmen, wenn Sie entscheiden könnten?

Nein, ich würde nicht kürzen. Der Generationengerechtigkeit zuliebe würde ich vorschlagen, einige Nullrunden zu beschließen.

Sie geben in ein paar Wochen den Fraktionsvorsitz an Guido Westerwelle ab. Fällt Ihnen der Abschied schwer?

Nein. Ich bleibe ja im Bundestag und mache weiter Außenpolitik.

Parteiführung und Fraktionsvorsitz sind dann in der Hand von Guido Westerwelle. Schadet es den Liberalen nicht, wenn sich alles auf eine Person konzentriert?

Es ist für jede Partei gut, auch für uns, wenn mehrere Personen sich an der Spitze bemerkbar machen. Die Öffentlichkeit will ein breites Angebot haben. Immer wenn eine Generation in der FDP- Spitze abgelöst wurde, hat es eine Zeit gedauert, bis wieder neue Personen Führungsaufgaben übernommen haben. Das wird auch jetzt so sein.Das Interview führte Cordula Eubel.

Wolfgang Gerhardt (62) sitzt seit 1994

im Bundestag. Er war bis 2001 Vorsitzender der FDP und ist seit 1998 Chef der FDP- Fraktion. Im Mai gibt er das Amt an Parteichef Westerwelle ab.

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