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Politik: Das ist kein Luxus

WAS WERTE WERT SIND

Von Giovanni di Lorenzo

Bin ich froh, dass dieses Jahr vorbei ist! Vielleicht ist dies der Satz, der wie kein anderer das Lebensgefühl der Deutschen vor dem Jahreswechsel widerspiegelt. Zwar sind wir, anders als viele Völker der Erde, in den vergangenen zwölf Monaten weder vom Krieg, noch von Naturkatastrophen oder Seuchen heimgesucht worden. Aber eine andere Plage hat sich in unser Bewusstsein eingebrannt – es ist die Erkenntnis, dass in unserem Land kaum etwas so bleiben kann, wie es ist. Das macht unsicher und ängstlich, aber auch, im doppelten Wortsinn, selbstbewusster. Fast so, wie es den meisten Menschen ergeht, die die Schwelle des dreißigsten Geburtstages passieren und denen nun dämmert, dass sie leider doch nicht unsterblich sind.

Die Ahnung von Endlichkeit stand in den siebziger Jahren auch am Beginn einer Umwälzung, welche die ganze Welt erfasste, am meisten Deutschland. Es war die nach dem Schock der (vergleichsweise kurzen) Öl- und Wirtschaftskrise von 1973 entstandene Bewegung für den Umweltschutz. Sie beeinflusst bis heute alle politischen Kräfte und brachte eine beachtliche Partei hervor, die bekanntlich Karriere gemacht hat. Mit dieser Bewegung wurde der Ruf nach Menschenrechten lauter, endlich auch in Richtung der Machthaber in sozialistischen Ländern, schließlich, so argumentierte jetzt die undogmatische Linke, sind diese Rechte nicht teilbar. Und man sah es nicht als ungehörig an, daneben auch eine weniger grausame Haltung von Tieren anzumahnen.

Die ärgerlichste Nebenwirkung der heutigen Krise ist, dass die großen Themen Menschenrechte, Umwelt- und Tierschutz aus der öffentlichen Wahrnehmung zu verschwinden drohen. Als gäbe es eine Gesetzmäßigkeit, dass diese Themen nur bei guter wirtschaftlicher Lage Konjunktur haben, also ein Luxus für Wohlstandskinder sind. In der Frage der Menschenrechte zeigen wir (und alle anderen Industrienationen) inzwischen eine solche Zurückhaltung, dass die früheren Vorstöße eines Heiner Geißler oder Norbert Blüm rührend-pathetisch wirken. Auch deswegen darf der im Westen so bewunderte Putin weiter die Tschetschenen unterwerfen oder die Medien knebeln. Darf Bush seit zwei Jahren einen gesetzesfreien Raum in Guantanamo für sein Land in Anspruch nehmen (woran ihn jetzt immerhin das oberste amerikanische Gericht hindern möchte). Darf China mobile Tötungszellen einrichten, weil mit der aufstrebenden Wirtschaftsmacht alle nur noch Geschäfte machen wollen, von Gerhard Schröder bis zu Udo Lindenberg, der dort auf Tournee gehen möchte – im Sonderzug nach Peking.

Im Umweltschutz schlägt sich Deutschland noch tapfer, woanders wird gebremst und verhindert, das hat gerade der Klimagipfel in Mailand gezeigt. Und beim Tierschutz, wo in Deutschland in diesem Jahr einige Erfolge zu vermelden wären, gibt es inzwischen die unsinnige Versuchung, weniger Quälerei zum Beispiel gegen das Recht auf Arbeit auszuspielen. Der konnte auch Angela Merkel nicht widerstehen. Auf ihrem Parteitag in Leipzig beklagte sie ohne jede Not, die Ministerpräsidenten müssten sich mit der Höhe von Hühner-Käfigen beschäftigen, statt die ganze Kraft auf die Schaffung von Arbeitsplätzen zu richten.

Es ist ja nicht so, dass es bei Umweltthemen über die Jahrzehnte nicht auch zu Übertreibungen gekommen wäre – und beim Schutz der Umwelt nicht auch zur schieren Regulierungswut. Das kann man korrigieren. Was aber nicht geht, ist eine Gesellschaft, die Werte mal hochhält, mal kleinredet. Sonst verlieren diese Werte jeden Wert. Es ist nämlich ein Irrglaube, dass wir frohe Botschaften allein den Kirchen überlassen können. Die weltlichen Botschaften müssen nicht immer froh sein, aber eindeutig müssen sie sein. Und, natürlich: nicht nur zur Weihnachtszeit.

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